Kreisstadt Roth 950 Jahre - oder doch älter?

6.3.2010, 00:00 Uhr
Kreisstadt Roth 950 Jahre - oder doch älter?

© Nürnberg Luftbild Hajo Dietz




Wenn man sich mit der Frühgeschichte von Roth beschäftigt, dann fällt einem auf, dass die Meinungen über ihre erste urkundliche Nennung nicht einhellig sind. Folgt man den Ausführungen der Heimatforscher Dr. Heinrich Schlüpfinger, Willi Ulsamer und Christoph Haag, so legen sich diese auf das Jahr 1060 fest. Sie berufen sich dabei auf eine Pergamenthandschrift des Eichstätter Diözesanarchives, das sogenannte «Pontificale Gundekarianum«.

In dieser Schrift ist festgehalten, dass Bischof Gundekar II. während seiner Amtszeit insgesamt 126 Kirchen und Kapellen in den Bistümern Eichstätt, Würzburg und Mainz eingeweiht hat. An 41. Stelle dieses Nachweises ist die Weihe einer Kirche «zu Rote« ohne Datumsangabe und Nennung des Patrozinats aufgeführt.

Unter Annahme einer zeitlichen Aneinanderreihung der Aufzeichnungen wird von den Historikern 1060 als wahrscheinliches Weihejahr einer Kirche - oder auch eines Altars - in Roth angenommen. Von dieser Mutmaßung gingen auch die Rother Stadtväter aus und erklärten 2010 zum «950. Jubiläumsjahr«.

Was ist jetzt aber mit der angeblich ersten urkundlichen Erwähnung des damaligen Ortes Roth aus dem Jahre 793? In seinem Buch «Geschichte der Stadt Roth am Sand« schrieb der Heimatforscher Johann Georg Mayer: «Die erste schriftliche Nachricht von Roth besitzen wir aus dem Jahre 793 nach Christi Geburt. Nach einer Urkunde des Klosters Lorch übergaben im 25. Regierungsjahre König Karls (793) Walter und Richlinde an das Kloster Lorch, das den heiligen Nazarius zum Patron hatte, den 3.Teil ihrer Mark Roth und 59 Leibeigene.«

Auch im Rother Museumkurier von 2003 bezieht man sich auf diese Quelle. Ebenfalls enthält die diesjährige Sonderausgabe des «Theatrum Historica« zum 950. Bestehen von Roth einen Hinweis auf genannte Urkunde.

Nach diesen Aussagen wäre die Stadt Roth aber nicht 950 Jahre, sondern schon 1217 Jahre alt und ihre Gründung fiele in die Regierungszeit Karl des Großen (768-814). Es erheben sich daher die Fragen: Gibt es diese zitierte «Lorcher Urkunde« und wenn ja, ist man dieser Quelle jemals ernstlich nachgegangen oder hat man ihren Inhalt ohne jegliche Prüfung einfach so übernommen? Eine Klärung war daher angesagt.

Die dahingehend angestellten Recherchen erbrachten, dass es genanntes Dokument tatsächlich gibt. Der Nachweis befindet sich im sogenannten «Codex Laureshamensis«. Es handelt sich dabei um eine Abschriftensammlung von über 3000 Schenkungsurkunden des Klosters Lorsch (und nicht des Klosters Lorch!) aus dem 8. und 9. Jahrhundert. Unter der Urkunden-Nr. 99 (Regest 2540) steht - aus dem Lateinischen übersetzt - geschrieben:

«Im 25. Jahre der Regierung desselben Königs Karl, zur Zeit des Abtes Richbod, übergaben Walther und Richlint im Batawer Gau, im Dorfe Falburemarca eine Hube mit den darauf stehenden Gebäuden, in der Gemarkung Gent eine Hube mit ihren Baulichkeiten, im Dubla-Gau in der Gemarkung Millinga eine Hube mit ihrem Bauwerk, in Felaowa in Dorf oder Gemarkung Uttiloch eine Hube mit Gebäuden, in Dorf oder Gemarkung Appoldro zwei Anteile einer Hube mit ihren Bauten, in Zegoltmarca eine Drittel-Hube mit Bauwerk und im Nortgowe in Rotheri marca den dritten Teil des Dorfes oder der Mark und alles, was sie in den genannten Orten hatten, ferner 59 Hörige. Geschehen in Lorsch«. - Was sagt nun der Text dieser Schenkungsurkunde aus? Um diese Frage zu beantworten, waren Nachforschungen bei den Universitäten Leiden(NL) und Nijmegen(NL), dem Gelders Archiv in Arnheim(NL), den Klöstern «Lorsch« in Südhessen und «Lorch« in Baden-Württemberg sowie die Korrespondenz mit den auf diesem Gebiet führenden Historikern Prof. Dr. Stefan Weinfurter (Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte in Heidelberg) sowie Prof. Dr. Wolfgang Wüst(Lehrstuhl für bayerische und fränkische Landesgeschichte in Erlangen) erforderlich. Die erhaltenen Auskünfte dieser Professoren und Einrichtungen lassen sich zu folgendem Ergebnis zusammenfassen:

Mit «König Karl« ist Kaiser Karl der Große gemeint, der in der Zeit von 768 bis 814 regiert hat. Somit fällt sein 25. Regierungsjahr auf das Jahr 793.

«Abt Richbod« war zuerst Mönch der Abtei Lorsch und ist von 774 bis 778 als Urkundenschreiber belegt. Er wurde 784 Abt des Klosters und später Erzbischof von Trier.

«Walther und Richlint«: Erstgenannter war vermutlich ein christlicher Ministeriale, der in oder um die ehemalige Reichspfalz Nijmegen (NL) ansässig war. Offenbar war Richlint seine Ehefrau.

«Batawer Gau« ist die heutige «Betuwe« im Mündungsgebiet des Rheines (NL). Die Batawer waren ein germanischer Volksstamm, welcher im 4. Jh. in den Franken aufging. «Dorfe Falburemarca« war der frühere Name von Valburg. Der Ort bildet heute, zusammen mit den ehemaligen Gemeinden und Heteren, die neue Gemeinde Overbetuwe (NL).

«Gemarkung Gent, Gemarkung Millinga, Gemarkung Uttichloch und Gemarkung Appoldro« sind in genannter Reihenfolge die jetzigen Ortschaften beziehungsweise Städte Gendt, Millingen, Uddel und Apeldoorn in der Provinz Gelderland(NL).

«Dubla Gau« und «Felaowa« sind ehemalige Gebiete am unteren Rhein in der sogenannten Rheinprovinz(NL).

«Zegoltmarca« war vermutlich ein Gebiet in der heutigen Veluwe(NL).

«Nortgowe«: Dieses Gebiet kann nicht mehr eindeutig lokalisiert werden. Es handelt sich aber dabei um einen Landstrich, welcher an der nördlichen Grenze der Veluwe (NL) lag. Dies wird auch in der Urkunde Königs Arnulf von Kärnten aus dem Jahre 889 so belegt. Hier ist auf jeden Fall nicht der einstige «Baierische Nordgau« gemeint. «Rotheri marca« ist ein nicht mehr genau definierbarer Bereich an der nördlichen Grenze der Veluwe. Er wird um den Ort Hattem (NL) vermutet.

Unschwer ist also auf der Landkarte zu erkennen, dass alle in der Lorscher Schenkungsurkunde genannten Gebiete oder Orte in den heutigen Niederlanden lagen beziehungsweise liegen. Den eindeutigen Schwerpunkt bildet dabei die Provinz Gelderland, das ehemalige Herzogtum Geldern, ein Territorium des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Dieser Erkenntnisstand lässt daher nur den Schluss zu, dass die immer wieder angeführte Urkundenabschrift aus dem «Codex Laureshamensis« kein Beweis für die erste urkundliche Nennung der Stadt Roth ist.

So können wir mit Recht und ganz beruhigt das 950. Jubiläum von Roth feiern, denn älter wird unsere Heimatstadt von ganz allein.HANSJÖRG HEROLD