Jüdisches Leben

Verschollener Toravorhang kehrt nach Georgensgmünd zurück

9.7.2021, 15:00 Uhr
Der Toravorhang soll von M. B. Selling anlässlich der Geburt seines Sohnes gespendet worden sein.

© Irene Heckel, NN Der Toravorhang soll von M. B. Selling anlässlich der Geburt seines Sohnes gespendet worden sein.

Wir blicken heuer aus verschiedenen Gesichtspunkten auf 1700 Jahre jüdische Geschichte zurück. Georgensgmünd ist einer der Orte, wo seit rund 400 Jahren Judentum stattfindet. Wo mithilfe staatlicher und vieler privater Stellen und von Landkreis und Gemeinde die Zeugen der einstigen jüdischen Mitbürger nie vergessen wurden.

Jetzt ereignete sich mit der Übergabe eines Toravorhangs ein ganz besonderes Ereignis für Georgensgmünd, der Gemeinde mit Jahrhunderte jüdischer Vergangenheit: die Rückgabe eines längst verschollen geglaubten Toravorhangs aus der ehemaligen Synagoge. "Sie haben hier etwas ganz Besonderes", stellte der prominente Gast der kleinen, aber feinen Feier vor der Georgensgmünder Synagoge fest.


Schalom Franken! Jüdisches Leben in der Region


Dr. Ludwig Spaenle war neben vieler Prominenz als Antisemitismus-Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung gekommen. Bürgermeister Ben Schwarz begrüßte ein handverlesenes Publikum: Joino Pollak vom Landesverband Israelitischer Kultusgemeinden in Bayern, Landrat Herbert Eckstein mit weiteren Vertretern des Landratsamtes, Mitglieder von Leader+, der Kirchen, Gerd Berghofer und Dr. Axel Schwaiger, deren Neufassung des Gmünder Geschichtsbuches demnächst erscheinen soll.

Dazu Vertreter aus der Wirtschaft, und Mitglieder eines gemeinsamen Arbeitskreises aus Thalmässing und Pappenheim. Und nicht zuletzt der ehemalige Dekan Immanuel Nau aus Schwäbisch Gmünd, der die ganze Sache "ins Laufen" gebracht hatte.

"Enorme Strahlkraft"

Der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung Spaenle stellte die Frage: Was ist Ashkenasi und beantwortete sie auch gleich: "Das fränkische Judentum steht mittendrin!" Er erinnerte an Antisemiten, die sich ein einfaches Muster suchten, und erinnerte die Juden an eine Aussage: Sage das alles an einem Ort, wo so viel Wunderbares besteht.

Auch der große Friedhof sei ein echter Schatz in der Region, der die Landschaft präge. Spaenle betrachte Ereignisse wie die Übergabe als wichtig. Seine Forderung seit Langem: "Wir müssen den Schutz jüdischen Lebens in das bayerische Grundgesetz aufnehmen! Deswegen haben auch Ereignisse wie das heutige eine enorme Strahlkraft."

Nau brachte den Stein ins Rollen, über den sich Joino Pollak vom Landesverband Israelitischer Kultusgemeinden in Bayern und Dr. Ludwig Spaenle so freuen (v. li.).  

Nau brachte den Stein ins Rollen, über den sich Joino Pollak vom Landesverband Israelitischer Kultusgemeinden in Bayern und Dr. Ludwig Spaenle so freuen (v. li.).   © Irene Heckel, NN

Landrat Herbert Eckstein betonte vor allem das Miteinander. Seit seinem Jugendaustausch mit Israel sensibilisiert, erinnerte er an die Menschen, die sich nach dem Krieg um die Synagoge gekümmert haben. An Fritz Glenk, der gleich nach dem Krieg geforscht und aufgeschrieben habe, an Gerd Berghofer, der sich gefragt habe, warum man damals "die anderen" ausgegrenzt habe.

Es habe seitdem immer Menschen gegeben, die sich um die jüdische Geschichte gekümmert hätten. "Lasst uns das alles miteinander tragen, denn es tut uns gut, wenn wir dazu stehen und es tut uns gut, wenn wir alle die Kraft haben, aufzustehen!", sagte der Landrat.

Ein Ort des Lebens und der Kunst

Georgensgmünds Bürgermeister Ben Schwarz berichtete von der leeren Synagoge, in der immer wieder mal Veranstaltungen und Ausstellungen stattgefunden hätten. Aber als dann der Anruf von Herrn Nau kam, und sich herausstellte, dass der Vorhang wirklich aus Georgensgmünd stammte, sei seine Freude riesengroß gewesen - genau wie das bedeutende Interesse, das die Menschen an diesem "Fund" zeigten. Nach coronabedingten Verzögerungen und Verhandlungen feierte die Gemeinde die Rückkehr eines Toravorhangs, der nach zum Teil immer noch geheimnisvollen Vorgängen wieder in die Georgens-gmünder Synagoge zurückgekehrt ist.

Überraschung am Telefon

Dazu ist eine Ausstellung zur Entstehungsgeschichte und der jahrzehntelangen Odyssee der Textilie vorbereitet. Die Ausstellung wird im Rahmen des LEADER-Kooperationsprojekts "Tachles" realisiert, das die Gemeinde Georgensgmünd gemeinsam mit dem Markt Thalmässing und der Stadt Pappenheim umsetzt. Begonnen hatte die lange Reise 2018 mit einem kurzen und für Gmünd total überraschenden Anruf aus Schwäbisch Gmünd, als der Dekan im Ruhestand, Immanuel Nau, die Georgensgmünder Gemeindemitarbeiterin Shoshana Sauerbier-Tietz informierte, um ihr über den Vorhang, der Schwäbisch Gmünd angeboten worden war, zu berichten.

"Tagelang habe ich gegrübelt" erzählt er, ob und wie er über das Fundstück reden sollte. Damit löste er Aktivitäten aus, die ihren Weg über drei Jahre bis zur offiziellen Übergabe fanden. Angehörige des Jüdischen Forschungskreises suchten sogar eine Stelle in Den Haag auf.

"MKK Gmind" – so steht es auf dem Vorhang. Doch welches "Gmind" beziehungsweise "Gmünd" ist gemeint? Aufschluss gibt das "Pinkas haKehillot", das "Buch der Gemeinden", Band "Württemberg/Bayern", ein Projekt der Gedenkstätte Yad Vashem, in dem alle damaligen jüdischen Gemeinden verzeichnet sind. Es folgten intensive Forschungen nach der Familie von M.B. Selling, die auf dem Vorhang namentlich erwähnt wird.

Doch gab es überhaupt einen jüdischen Anwohner dieses Namens in Georgensgmünd? Es gab ihn tatsächlich 1861/62; er spendete wohl aus Anlass der Geburt seines Sohnes den kunstvoll bestickten Toravorhang aus lila Samt. Inzwischen suchte die Gemeinde nach Sponsoren, die einen Zuschuss zum Erwerb und den entstehenden Kosten der Restaurierung leisten wollten, und fand sie in der Raiffeisenbank und der Dema.

Der Erwerb des Vorhangs vom luxemburgischen Antiquariat "Lux Judaica" erfolgte im August 2018 nach Prüfung der Anbieterreputation, dem Erhalt eines Herkunftsnachweises und dem Ausschluss von Restitutionsansprüchen.

In neuem Glanz

Im Sommer 2019 kehrte der Vorhang nach Georgensgmünd zurück und wurde der Restauratorin Textilrestauratorin Magdalena Verenkotte übergeben, die bereits der früheren Georgensgmünder Genisa Funde instand gesetzt hatte. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Bearbeitung von Gewebeabreibungen, Verstärkung der Aufhängung und Ausbesserungen in den Stickereien. Außerdem musste ein Rahmen für das kostbare Stoffteil in Auftrag gegeben werden. Er hat nun seinen Platz auf einer der Frauenemporen gefunden.

Ausstellung und Vorhang sind noch am 10./11./17. und 18. Juli jeweils von 14 bis 17 Uhr in der Ehemaligen Synagoge Georgensgmünd zu besichtigen. Der Eintritt ist frei.