Polestar 2: Kommt hier der bessere Tesla?

25.7.2020, 15:39 Uhr
Polestar 2: Kommt hier der bessere Tesla?

© Hersteller

Milchigblau leuchtet der Julihimmel über dem Voralpenland, postkartenpittoresk zackt das Bergpanorama über den Horizont, gefräßige Mähdrescher verleiben sich goldenes Getreide ein, der Anfang vom Ende des Sommers. Für Polestar geht es aber jetzt erst richtig los. Nach der Plug-in-Hybrid-Limousine Polestar 1 folgt im August das erste vollelektrische Modell der Marke: Der Polestar 2, den wir im Oberbayerischen bereits erproben konnten.

Auch beim Polestar 2 handelt es sich um eine Limousine, über ihren Gegner muss man nicht lange nachdenken. "Es wäre doch langweilig, wenn es in diesem Segment nur ein Produkt geben würde", sagt Polestar-Chef Thomas Ingenlath und lächelt. Wir haben verstanden: Der Polestar 2 nimmt in erster Linie das Tesla Model 3 ins Visier.

Eigenständig als Elektromarke

Polestar (zu deutsch: Polarstern) hat eine Vergangenheit als Performance-Abteilung von Volvo, vergleichbar mit Mercedes AMG oder der M-Sparte von BMW. Inzwischen ist man in die Selbstständigkeit einer Elektromarke übergewechselt, je zur Hälfte Volvo und dem gemeinsamen chinesischen Mutterkonzern Geely gehörig.

Der nordische Background ist dem 4,61 Meter langen Fließheckmodell anzusehen. Klar und edel gezeichnet steht der Polestar 2 da, bei aller Eleganz auch ein sportliches Statement, schlicht ein sehr schönes Auto.

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Gleich zwei Elektromotoren an Vorder- und Hinterachse übernehmen den Vortrieb, insgesamt erreichen sie eine Systemleistung von 300 kW/408 PS und ein opulentes Drehmoment von 660 Newtonmetern. Ein großer 78-kWh-Akku verspricht laut WLTP eine Reichweite von 470 Kilometern, innerstädtisch, wo es sich besonders effektiv rekuperieren lässt, sollen sogar 560 Kilometer möglich sein.

Als wir uns über Münchens Mittleren Ring arbeiten und im dichten Verkehr immer wieder abbremsen, verlieren wir tatsächlich kaum Reichweite. Im Stop-and-Go ist Zeit, sich im lichten, von einem großflächigen Panoramadach überspannten Interieur umzusehen. Erster Eindruck: Der Polestar 2 wirkt viel wertiger als das Model 3, im Gegensatz zum kalifornischen Konkurrenten entsprechen Materialien, Haptik und Verarbeitung rundherum Premium-Standard. 

Vegane Innenausstattung

Ökologisch orientierte Kunden dürfen sich über eine vegane Kunststoffausstattung freuen, Leder gibt es optional.

Die instrumentale Reduzierung wurde bewusst nicht so radikal auf die Spitze getrieben wie bei Tesla. "Wir wollten nicht einfach Geld sparen und alle Funktionen in ein Display integrieren", sagt Ingenlath spitz. Anders als das Model 3, das als einziges Instrumentarium einen riesigen Touchscreen besitzt und wo selbst das Justieren der Außenspiegel über ein Untermenü erfolgt, besitzt der Polestar 2 noch einige konventionelle Bedienelemente und ein digitales Kombiinstrument hinter dem Lenkrad. Und doch dient als essenzielle Schaltzentrale ein opulenter, hochkant installierter Bildschirm von 11 Zoll Größe, per Klick lassen sich hier auch die Rekuperationsstufen und die Lenkung einstellen.  

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Als weltweit erstes Modell nutzt die neue Elektro-Limousine Googles Betriebssystem Android Automotive OS. "Talk to the car", hat uns Fahrwerks-Ingenieur Joakim Rydholm empfohlen. "Hey Google", rufen wir also, lösen per frei formuliertem Sprachbefehl die Navigation zum Starnberger See aus und informieren uns über die Ankunftszeit. Auf verbalen Wunsch erhält der Fahrer auch Informationen über die nächstgelegenen Ladestationen und kann sein Musikprogramm inszenieren. Das funktioniert vorzüglich, und auch sonst erweist sich der digitale Umgang mit dem Polestar 2 als so problemlos intuitiv wie vom Tablet gewöhnt. Apple CarPlay wird Mitte 2021 "over the air" nachgereicht. Ein Head-up-Display gibt es leider nicht.

Strom macht stark

Wir biegen ab auf die Autobahn Richtung Garmisch. Als das Tempolimit fällt und einladend leere Fahrstreifen vor uns liegen, drücken wir das Fahrpedal durch. Wow: Die schiere Power der beiden Elektromotoren manifestiert sich in famoser Antrittsstärke, druckvoll und direkt erfolgt die Beschleunigung. In 4,7 Sekunden fegt der 2,1-Tonner von 0 auf 100 km/h, als Spitze erreicht er 205 km/h, mehr als es die Volvos nach ihrer Selbstbeschränkung auf 180 km/h draufhaben.

Fabelhaft auch das Fahrverhalten, sportlich-souverän agiert die allradgetriebene Limousine, nie ist sie darum verlegen, ihre Kraft adäqat auf die Straße zu übertragen, auch auf den kurvigen Landsträßchen, die wir nach Verlassen der Autobahn befahren, lässt sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Dem etwas rumpeligen Model 3 ist der Polestar 2 um Längen voraus, auch, was das Zupacken der Bremsen betrifft.

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Relaxt cruisen wir am Ostufer des Starnberger Sees entlang, wunderbar leise obendrein, kein Motorenlärm schreckt die glücklichen oberbayerischen Kühe aus ihrer Nachmittagsruhe mit Seeblick, und die Radfahrer, die eben noch finster dem großen SUV vor uns Platz gemacht haben, schenken uns ein freundliches Lächeln.

Als der Straßenbelag flickenreich wird, stellen wir allerdings fest, dass dem neuen Stromer bei aller lobenswerten Sportlichkeit ein Tick mehr Fahrkomfort gut zu Gesicht gestanden hätte, speziell das Performance-Modell geht zwar keineswegs unerträglich hart, aber doch recht straff zur Sache. Per Videoschalte hat Ingenieur Rydholm erklärt, wie sich die Dämpfer auf mehr Komfort stellen lassen. Das funktioniert nicht über den Bildschirm, sondern per Griff in die Radhäuser und soll einfach vonstatten gehen. Ausprobiert haben wir es nicht, auf Wunsch hilft auch die Werkstatt weiter.

Wir machen Pause und nehmen im dreisitzigen Fond Platz. Ausreichend, aber nicht wirklich üppig sind die Platzverhältnisse dort. Auch das Kofferraumvolumen (405 bis 1095 Liter) ist nicht die ganz große Nummer, auch wenn sich – wie beim Model 3 und anderen Elektroautos – unter der Fronthaube ein zweites, kleines 35-Liter-Fach findet.  

Das automobile Leben kann so einfach sein: Über einen Sensor im Fahrersitz weiß der Polestar 2, dass wir wieder vorne Platz genommen haben und bereit zur Weiterfahrt sind. Einen Starterknopf gibt es nicht, es genügt, den Gang einzulegen und aufs Fahrpedal zu drücken, um die Limousine in Bewegung zu setzen.

Schnell nachgeladen

Wenn der Wagen Strom nachtanken muss, kann er dies entweder an der Wechselstrom-Wallbox oder -Ladesäule tun, wo er vorbildlich dreiphasig und mit 11 kW lädt. Daneben beherrscht er auch Gleichstrom-Schnellladen mit bis zu 150 kW, wobei er das CCS-System nutzt und den Akku binnen 40 Minuten zu 80 Prozent befüllt. Als Stromverbrauch werden 19,3 kWh/100 km genannt, ein guter Wert.

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Die Launch-Edition des Polestar 2 war ursprünglich mit 57.900 Euro eingepreist, abzüglich Mehrwertsteuersenkung und Innovationsprämie ergeben sich nach Herstellerangaben aktuell 48.450 Euro. Zur ellenlangen Serienausstattung gehören unter anderem Zweizonen-Klimaautomatik, beheizbare Vorder-und Rücksitze, Lenkradheizung, elektrische Hecklappe, Panoramadach, vielerlei Assistenzsysteme, Verkehrszeichenerkennung, 360-Grad-Kamera, Multimediasystem, Harman-Kardon-Premiumsoundsystem und Digitalradio. Als Optionen bleiben das Performance-Pack (5849 Euro), spezielle Lackfarben und – bei Elektroautos nicht selbstverständlich – eine Anhängerkupplung (1072 Euro).

Basismodell folgt

Alexander Lutz, Geschäftsführer von Polestar Deutschland, stellt bereits Familienzuwachs in Aussicht. Nächstes Jahr soll eine frontgetriebene Basisvariante mit kleinerem Akku und lediglich einem E-Motor folgen, die dann wohl ab 39.000 Euro zu haben ist. Auch die Kombination aus Frontantrieb und großem Akku ist denkbar. Zudem, sagt Lutz, stünden eine Erweiterung der maximalen Reichweite auf 500 Kilometer, die weitere Verbesserung der Ladeinfrastruktur und der teilautonomen Fahrfähigkeiten auf der Agenda. Wohl 2022 ist dann mit dem Crossover Polestar 3 zu rechnen.

Verkauf nur übers Internet

Beim Vertrieb folgt Polestar dem Vorbild von Tesla. Er erfolgt ausschließlich online, konventionelle Händler gibt es nicht. Dafür werden noch in diesem Jahr sieben Showrooms in Innenstadtlagen eingerichtet, "Spaces" genannt. Die Eröffnung des ersten kündigt Lutz für den 20. August in Düsseldorf an. Auch Stuttgart, Köln, München, Berlin, Hamburg und Frankfurt bekommen eine solche Dependance.

Mit langen Lieferfristen ist übrigens nicht zu rechnen: Wer jetzt bestellt, soll Ende Oktober/Anfang November beliefert werden.

Ulla Ellmer

 

Polestar 2 in Kürze:

Wann er kommt: Ist bereits bestellbar, Marktstart im August  

Wen er ins Visier nimmt: Tesla Model 3

Was ihn antreibt: Zwei Elektromotoren, Systemleistung 300 kW/408 PS

Was er kostet: 57.800 Euro, nach Abzug der Mehrwertsteuersenkung und aller Prämien ab 48.540 Euro