Interview

Führen auf Augenhöhe - der neue Chef der Erlanger Wohnungsbaugesellschaft Gewobau Tobias Stöhr

Markus Hörath

Erlanger Nachrichten

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23.7.2023, 06:00 Uhr
Tobias Stöhr steht seit 1. April an der Spitze der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewobau in Erlangen.  

© Gewobau, NN Tobias Stöhr steht seit 1. April an der Spitze der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewobau in Erlangen.  

Herr Stöhr, wie fühlt sich ein Nürnberger in Erlangen? Sind Sie angekommen?

Ich bin hier sehr, sehr herzlich aufgenommen worden – intern wie auch extern, also von sämtlichen Menschen, mit denen ich zukünftig beruflich zu tun haben werde. Es ist für mich erst einmal wichtig, alle Mitarbeitenden kennenzulernen und einen guten Draht zur Stadtverwaltung zu entwickeln, um hier auch weiterhin eng zusammenarbeiten zu können. Eigentlich war ich nur beruflich ein Nürnberger und Erlangen hat für mich die perfekte Größe. Ich mag es, wenn man sich auf der Straße kennt.

Die ersten 100 Tage haben Sie jedenfalls schon mal hinter sich. Was sind Ihre nächsten Ziele?

Weiterhin einen Überblick zu bekommen und möglichst viele Entscheidungsparameter zusammenzutragen, um die Dinge nach bestem Wissen entscheiden zu können.

Ich habe die Gewobau als Unternehmen kennengelernt, das tief in der Region verwurzelt ist und die Bedürfnisse der Menschen vor Ort gut kennt - die beste Voraussetzung, um gemeinsam vorhandene sowie neue Wege zu beschreiten. Ich freue mich darauf, die vor uns liegenden Aufgaben und Herausforderungen gemeinsam mit dem motivierten und professionellen Team und Partnern der Gewobau anzugehen. Das Ziel aller Wohnungsunternehmen sollte es sein, die Klimaneutralität zu erreichen, da in der Wohnungswirtschaft einfach ein großer Hebel liegt.

Die Gewobau steht vor großen Herausforderungen: der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen in Erlangen ist immer noch hoch, außerdem gilt es einige Großprojekte zu stemmen. Stichwort: Energiesprong und Gewo-Land. Ist die Gewobau diesen Herausforderungen gewachsen?

Auf jeden Fall. Für mich ist es wichtig, dass wir, trotz aller Herausforderungen, weiter bauen. Wenn wir das nicht tun, wer denn dann? Um Klimaneutralität bezahlbar und zügig umzusetzen, ist es wichtig, vorhandene Potenziale im Bestand zu nutzen.

Ein Schlüssel dafür kann die serielle Sanierung sein. Die Gewobau zählt zu den ersten im Bundesgebiet, die erste Schritte gewagt haben, was uns in die Situation bringt, dass wir die guten und weniger guten Erfahrungen bereits gemacht haben und machen, die andere vielleicht noch vor sich haben. Die Gewo-Land kommt mit den ersten realisierten Projekten – zum Jahresende startet die Vermietung in Weisendorf – in Fahrt. Wir haben hier verlässliche Partner in einem funktionierenden Netzwerk, die mit uns gemeinsam die Projekte umsetzen.

Noch einmal nachgefragt: Wie ist derzeit der Stand der Dinge beim Projekt Energiesprong?

Aktuell verfolgt die Gewobau mehrere Pilotprojekte mit unterschiedlichen Anbietern nach dem „Energiesprong“-Prinzip und lotet damit die Möglichkeiten der Sanierungssysteme aus: Das erste „Energiesprong“-Pilotprojekt in „Erlangen Süd“ mit der Sanierung von 475 Wohnungen und Aufstockung in Holzmodulbauweise mit 135 Wohnungen ist in der Umsetzungsphase. Wenn man neue Wege beschreitet, kann man nicht auf den Erfahrungsschatz eigener Projekte oder auf die Erfahrungen anderer zurückgreifen. Das ist die Natur eines Pilotprojektes, aus dem wir vieles lernen, was in die neuen Bauabschnitte und Projekte einfließt. Das zeigt der neue Bauabschnitt. Die Arbeiten dort sind sehr gut angelaufen. Aktuell werden in der Paul-Gossen-Straße die Fassadenelemente geliefert und montiert. Im Schnitt ist ein Haus in zirka zwei Wochen von außen gedämmt und hat neue Fenster und eine neue Fassade. Für weitere Projekte läuft die Planungsphase. Im Arbeitskreis „Energiesprong“ tauschen wir uns sogar direkt mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und der Deutschen Energie-Agentur über unsere Erfahrungen aus.

Gibt es außerhalb Erlangens Interesse an dem Projekt?

Massenhaft. Es melden sich Delegationen aus dem Ausland, Wohnungsbaugesellschaften, Kommunen und auch die Politik ist interessiert.

Im Vorfeld der Neubesetzung des Geschäftsführerpostens gab es einige Unruhe. Haben sich die Wogen mittlerweile geglättet?

Ich bin gerade dabei alle Mitarbeitenden kennenzulernen, die Themen, die sie bewegen aufzugreifen. Dabei habe ich die Gewobau als professionelles Unternehmen kennengelernt. Der Auswahlprozess für die Geschäftsführungsstelle verlief für mich sehr transparent, gut strukturiert und ich bin stolz, dass ich den Schritt gewagt habe.

Wenn man merkt, dass die eigenen Entscheidungen nach einem Projektabschluss die richtigen waren, dann will man den nächsten Schritt gehen, aus der zweiten in die erste Reihe wechseln. Im Rahmen meiner letzten Aufgabe war ich aktiv an einem Programm beteiligt, „Führen auf Augenhöhe“ umzusetzen. Das muss von oben nach unten und von unten nach oben gelebt werden und geht auch nicht von heute auf morgen.

Was wollen, was machen Sie anders als Ihr Vorgänger?

Wichtig ist mir und uns, dass wir das, was durch meinen Vorgänger mit großem Einsatz angestoßen wurde, auch realisieren. Ich will dabei den Blick verstärkt auf das Wohnumfeld und die Wohnqualität lenken, die Quartiere im Blick haben. Solche Arbeit ist ja stadtbildprägend für sehr viele Jahre. Ich weiß, dass sich die Gewobau bislang hervorragend um jeden und jede gekümmert hat. Diese Qualität will ich mit der Mannschaft fortführen. Natürlich wird es aber auch – wie immer im Leben – Veränderungen geben. Zum Beispiel werden wir das Thema Digitalisierung noch stärker in unsere Kundschaft tragen. Menschen sind unterschiedlich, im Kern geht es aber darum, ein Wohnungsunternehmen zu führen.

Zuvor waren Sie Prokurist und Leiter des Bereichs Immobilien des Wohnungsunternehmens Evangelisches Siedlungswerk in Bayern GmbH (ESW) in Nürnberg. Inwieweit können Sie von den Erfahrungen, die Sie in dieser Funktion gemacht haben, bei der Gewobau profitieren?

Besonders prägend im ESW war für mich der soziale Anspruch der kirchlichen Gesellschafter des ESW, der mich auch bei meiner Bewerbung damals beim ESW angezogen hat. Hauptunterschied ist aber ganz einfach, dass der Wohnungsbestand nun nicht mehr bayernweit verteilt, sondern auf Erlangen mit Umland begrenzt ist. Die Erfahrungen, die ich mit der Baukompetenz des ESW machen durfte, helfen mir hier bei den aktuell anstehenden Themen weiter. Verantwortung ist mir wichtig.

Ich spreche lieber von Verantwortlichkeit als von Zuständigkeit. Die mit dieser Stelle verbundenen Möglichkeiten, Verantwortung für breite Schichten der Bevölkerung in einem Stadtgebiet und in den Umlandgemeinden zu übernehmen und wesentliche Prozesse aktiv und maßgeblich mitgestalten zu können, waren für mich die motivierenden Faktoren für meine Bewerbung.

Wie stellen Sie sich die Zukunft der Gewobau vor?

Die Wohnungswirtschaft erlebt gerade einen Strukturwandel. Sie ist dabei, weitreichende Digitalisierungs- und neue Mitarbeitendenkonzepte zu entwickeln und wurde mit Erwartungen und Anforderungen überhäuft. Insofern ist es wichtig, dass wir auf der Höhe der Zeit bleiben und uns weiterentwickeln. Die Aufgabe, mit der die Gewobau gegründet wurde ist aktueller denn je, der Auftrag ist klar und wir arbeiten an der Erfüllung dieses Auftrages. Es wird sich ja heute häufig die Frage nach dem Sinn einer Aufgabe gestellt. Da haben wir als Gewobau ein sehr großes Pfund – aber diese gesellschaftlich wichtige Aufgabe des Schaffens und Erhaltens von bezahlbarem Wohnraum kann man sicherlich noch deutlicher nach außen tragen. Mein Ziel ist es, dass wir hier alle stolz auf das sind, was wir tun und das auch für neue Kolleginnen und Kollegen spürbar ist.

Inwieweit grätscht Ihnen das Gebäudeenergiegesetz der Bundesregierung in die Zukunftsplanung?

Die Herausforderung Klimaneutralität ist ja nicht neu. Das Gesetz gibt dem Weg zur Klimaneutralität, den ja auch die Gewobau geht, eine Struktur. Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, also nicht nur Umwelt und Soziales, sondern auch die Wirtschaftlichkeit müssen dabei im Einklang sein.