Für Nihan gibt es kaum Geld

5.6.2019, 08:08 Uhr
Für Nihan gibt es kaum Geld

© André De Geare

Während ihre gleichaltrigen Spielkameraden schon mehr oder weniger flott auf den eigenen Beinen unterwegs sind, kann Nihan im Moment nur liegen - und auch das nur auf dem Bauch. Sie kam mit einem offenen Rücken auf die Welt, schon in den ersten Wochen ihres Lebens musste sie mehrere Operationen hinter sich bringen.

Trotzdem ist sie vom Nabel abwärts gelähmt. Und weil sie zusätzlich einen Buckel hat, kann sie derzeit nicht mal auf dem Rücken liegen. Ein Korsett würde helfen, doch aus dem alten ist sie längst herausgewachsen. Auf das neue, mit dessen Unterstützung sie sitzen und vielleicht auch stehen könnte, wartet die Familie schon seit fünf Monaten. Mittlerweile sei die Genehmigung der Krankenkasse endlich da, sagt Karen Steinle von der Familienhilfe der Arbeiterwohlfahrt, die Nihan und ihre Familie betreut. "Doch ohne unsere Hilfe würde sie immer noch warten."

Kampf um Hilfsmittel

Denn Nihan ist zwar in Deutschland geboren worden, doch ob sie mit ihren Eltern hierbleiben darf, ist ungewiss. Die kurdische Familie ist aus dem Irak geflüchtet, ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Derzeit läuft eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Ansbach, so lange darüber nicht entschieden ist, hat es Nihan mit ihrer Behinderung in den Augen ihrer Betreuerinnen besonders schwer. Das gilt für den Kampf um die nötigen Hilfsmittel, das gilt aber auch für die Förderung in einer Krippe. Denn derzeit ist ihre Betreuung für die Einrichtung ein Draufzahlgeschäft.

Nihan besucht den inklusiven Kinderladen Jenaplan. Weil sie behindert ist, würde die Krippe für sie eigentlich deutlich mehr Geld bekommen als für ein "normales" Kind. Die Förderung richtet sich dabei nach einem sogenannten Basiswert, für ein Kind mit einem Handicap erhält eine Krippe normalerweise mehr als doppelt so viel wie für gesunde Gleichaltrige. Der Gesetzgeber berücksichtigt damit unter anderem den höheren Aufwand, der dazu führt, dass eine Einrichtung mehr Personal beschäftigen muss. Nur: Für Kinder mit Asylbewerberstatus gibt es diese höhere Förderung nicht.

"Uns sind dadurch seit März 2018 bereits Verluste in Höhe von rund 12 000 Euro entstanden", sagt die Leiterin des Kinderladens, Schirin Hoffmann. Der Hintergrund sei schlicht eine Lücke im Gesetz, wie auch das Jugendamt einräumt, das eine Änderung für dringend geboten hält. "Für uns sind alle Kinder gleich", sagt Amtsleiterin Kerstin Schröder. Die Stadt, die sich ebenfalls an der Finanzierung der Kitas beteiligt, könne das Loch in der Kasse nicht schließen. "Wenn das Land nicht zahlt, haben wir keine gesetzliche Grundlage dafür."

"Ein Unding"

Manche Kitas haben den betroffenen Kindern deswegen schon abgesagt. "Wenn es irgendwie geht, versuchen wir zwar eine Lösung zu finden", sagt Lena Klink, Fachberaterin für Kindertagesstätten bei der Lebenshilfe. "Doch manchmal ist es finanziell einfach nicht möglich."

In ihren Augen ist das "ein Unding". Das Jugendamt sieht es ähnlich, laut Schröder haben die Kommunen schon mehrfach eine gesetzliche Änderung gefordert. "Das muss dringend gelöst werden." Eine entsprechende Novelle des Bayerischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetzes ist laut Sozialministerium für 2020 geplant. Die Stadt hat andere Informationen, "in absehbarer Zeit" sei keine Änderung in Sicht, heißt es im Jugendamt.

Vorerst bleiben Einrichtungen wie der kleine Kinderladen in der Südstadt also auch weiter auf ihren Kosten sitzen. Man habe ihr geraten, den Vertrag mit der Familie zu kündigen, sagt Hoffmann. Doch das haben sie und ihre Kolleginnen nicht übers Herz gebracht. Solange es die Rücklagen der Kita zulassen, wollen sie Nihan weiterbetreuen. Unter anderem, weil sie sehen, wie gut sich die Kleine trotz all ihrer körperlichen Einschränkungen bereits entwickelt hat.

Rollbrett hilft

"Sie hat sehr viel Energie und will ganz viel machen", sagt die Heilpädagogin Angelika Snoppek von der Frühförderung der Lebenshilfe, die einmal pro Woche in die Kita kommt. Derzeit stoße die Förderung leider an Grenzen, weil das stützende Korsett fehle. "Das ist tragisch, weil sie einen sehr großen Willen hat."

Wenigstens kann sich Nihan auf einem Rollbrett fortbewegen, manchmal helfen ihr die anderen Kinder dabei. Dass die Kleinen so gleich noch lernen, Rücksicht zu nehmen, sei ein weiterer Vorteil, findet Hoffmann. Angesichts der Ungleichbehandlung des Mädchens ist sie aber immer noch fassungslos. "Offenbar gibt es hier Menschen zweiter
Klasse."

Wer helfen will, kann unter dem Stichwort "Nihan" spenden auf das Konto des Kinderladens Jenaplan, Deutsche Skatbank, IBAN: DE87 8306 5408 0004 7896 01, BIC GENODEF1SLR

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