"Ihr kriegt mich nicht": Täglicher Wahnsinn am Sör-Servicetelefon

2.4.2021, 05:57 Uhr
Barbara Wolfinger am Sör-Sorgentelefon.

© Michael Matejka, NNZ Barbara Wolfinger am Sör-Sorgentelefon.

Eine Großpackung mit einem Mix beliebter Schokoriegel liegt auf dem Tisch in der Mitte des Büros: Erste Hilfe, Nervennahrung, wenn es mal wieder nötig ist. Manchmal treffen sich die Mitarbeiter sehr häufig, an dieser Zuckertankstelle.

Normalerweise sind am Rathenauplatz vier Arbeitsplätze für das Sör-Servicetelefon der Stadt vorgesehen. Wegen Corona sitzt Barbara Wolfinger derzeit allein hier, während die Kolleginnen von zu Hause aus Anrufer entgegen nehmen.

Ein Bier am Spielplatz

Das Telefon hat weitaus mehr Tasten als ein Standardmodell. Routiniert fliegt Barbara Wolfinger mit den Fingern über die Knöpfe. Morgens wird als erstes der Anrufbeantworter abgehört. Denn sogar nachts rufen Leute an und erzählen der Maschine ihr Anliegen. Auch wenn sie getrunken haben, wenn sie einsam sind oder wenn ihnen langweilig ist. Kürzlich hat um 23.30 Uhr ein - der Stimme nach - junger Mann angerufen: "Ey, ich sitze gerade am Spielplatz und trink ein Bier. Ich scheiß’ auf euere Ausgangssperre. Ihr kriegt mich nicht..." Für echte dringende Fälle verweist die automatische Ansage an andere Stellen.

Mit welchen Anrufern hat es Barbara Wolfinger sonst zu tun? "50:50", sagt die 58-Jährige und es klingt, als würde sie einen Joker ziehen. Gut die Hälfte der Menschen, die hier am Telefon rauskommen, seien freundlich, mit einem klaren Anliegen. Mit ihnen kann man locker reden, auch mal scherzen.

Eine schneidig klingende Frau meldet gerade grußlos auf dem AB, dass die Laterne in ihrer Straße nicht funktioniere. Sie erwarte, dass das heute gemacht wird - und nicht erst in zwei Jahren! Ohne sich weiter mit Höflichkeiten aufzuhalten beendet die Frau ihre Ansage. "Und so", sagt Barbara Wolfinger, die gerade das Anliegen in den Computer eintippt und an die zuständige Abteilung weiterleitet, "klingen die anderen 50 Prozent."

Man muss sein wie Teflon

Im Laufe der 12 Jahre, die Barbara Wolfinger diesen Job schon macht, hat sie gelernt mit allem umzugehen. Das ging nicht von heute auf morgen. Wenn Anrufer von "totalen Trotteln" sprachen oder von einem "unfähigen Haufen" - etwas davon blieb haften. Das sägt an den Nerven und macht sich auch im Privatleben bemerkbar. "Einmal hat mein Mann sich nur über Schlaglöcher in der Straße beklagt, ich bin direkt ausgerastet", erinnert sie sich. Heute kann sie darüber lachen. Mittlerweile ist die freundliche Telefon-Frau wie mit Teflon beschichtet: Da haftet kaum mehr was an.


Sör und der ewige Kampf gegen die Schlaglöcher


Sör-Mitarbeiter stopfen Schlaglöcher in der Gustav-Adolf-Straße.

Sör-Mitarbeiter stopfen Schlaglöcher in der Gustav-Adolf-Straße. © André Winkel/Sör, NNZ

Lernen kann man das in Seminaren. Barbara Wolfinger verlässt sich aber gern auf ihre Intuition. Selten bringt sie heute noch etwas an die Grenzen. Etwa wenn ein Anrufer sie als "alte F... " beschimpft. Nicht abgekürzt, wohlgemerkt. Da musste sie erstmal Pause machen, tief durchatmen. Und hat sich dann bei Kollegen erkundigt: "Wie ist das eigentlich, wenn ich Anzeige erstatten möchte?"

Alles in allem ein sinnvoller Job

Warum sie den Job dennoch schon lange macht? "Weil ich ihn sinnvoll finde und hier gut aufgehoben bin", sagt sie - und klingt ernsthaft überzeugt. Der Dialog mit den Bürgern sei schließlich eine wichtige Sache. Und da gibt es eine Lücke zu füllen: "Ich vermittle zwischen den Bürgern und den einzelnen Abteilungen, gebe Anliegen weiter und Rückmeldungen." Ungefiltert würden die vielen Anrufer die Abteilungen zu sehr blockieren.

Diese Anliegen sind vielfältig, aber auch saisonal bestimmt. Im Winter geht es naturgemäß um den Winterdienst, im Frühling um Straßenschäden, im Sommer viel um Baustellen und im Herbst um Laub. Dazwischen Dauerbrenner wie Baumfällungen, Schrottfahrräder und Müll. Die Zahl der Anrufer habe in der Corona-Zeit nicht signifikant zugenommen. "Doch der einzelne Anrufer kommt derzeit gleich mit mehreren Anliegen auf uns zu". Mittlerweile sogar per App.

Einbahnstraße bitte anders herum!

André Winkel von Sör.

André Winkel von Sör. © Foto: Sör

Außerdem hat sie gern mit Menschen zu tun. Dass während ihrer Arbeit heute auch noch ein Journalist nebendran sitzt und ein Fotograf Bilder macht, stört sie keineswegs. Und nicht vergessen: 50 Prozent sind die Guten. Mit denen kann man lachen. Das macht Barbara Wolfinger gern: Lachen.


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Vor ein paar Jahren hat sich ein lokaler Radiosender einen Scherz mit ihr erlaubt. Die Frau am Telefon wollte eine Straße kaufen, um dann die Einbahnstraße in die andere Richtung zu setzen - das würde ihr weitaus besser passen, befand sie. "Da wusste ich zunächst nicht, was ich antworten sollte", sagt Barbara Wolfinger. Aber als die Auflösung kam war die Erleichterung groß. "Mein Lachen hat man noch wochenlang als Einspieler im Radio gehört".

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