Bunte Zeppelintribüne

Jetzt reden die Macher des Nürnberger "Regenbogen-Präludiums"

28.10.2021, 05:55 Uhr
In einer illegalen Nacht-und-Nebelaktion wurde die Zeppelintribüne vor einem Jahr kurzfristig in das "Regenbogen-Präludium" verwandelt.

© Peter Kunz, NN In einer illegalen Nacht-und-Nebelaktion wurde die Zeppelintribüne vor einem Jahr kurzfristig in das "Regenbogen-Präludium" verwandelt.

War Ihnen vor der Aktion klar, welche Wellen sie schlagen würde?

Zwei Mitglieder der Gruppe Arquus: Wir hatten schon die Hoffnung, dass sie in hohem Maße wahrgenommen wird und den Zeitpunkt für ein Maximum an Aufmerksamkeit ganz bewusst gewählt: Das schmale Zeitfenster, in dem die Jury bereits über die Kulturhauptstadt 2025 entschieden, das aber noch nicht publik gemacht hatte. Sie konnte diese Aktion also nicht mehr positiv oder negativ in ihre Entscheidung mit einbeziehen. Weil wir uns nicht in den Auswahl-Prozess einmischen wollten, blieb uns nur diese eine Nacht.

Wann genau sind Sie in dieser Nacht zum 28. Oktober losgezogen und mit welchen Gefühlen?

So etwas macht man zwischen halb zwei und halb fünf, weil die meisten Menschen dann schlafen. Wir waren weniger Leute als Farb-Streifen, deswegen sind Orange, Gelb und Magenta auch nicht ideal gelungen. Es war dunkel, es hat geregnet, es musste schnell gehen, die Gruppe hatte Angst. Es war abenteuerlich und aufregend, einige haben gemalt, andere standen Schmiere.

Was war der Auslöser, der Grundgedanke dieser Aktion?

Auslöser war ein konkreter Vorfall auf der Steintribüne. Freunde von uns wurden von Neonazis bedroht. Diese Ewiggestrigen haben unsere Freunde des Selfie-Hintergrundes verwiesen, sinngemäß: "Geht uns aus dem Bild! Ihr passt da nicht rein!" Das hat dann zu der Idee des "Regenbogen-Präludiums" geführt. Denn Selfies mit Hitlergruß auf der Tribüne mit einem Regenbogen im Hintergrund funktionieren nicht!

Wie groß ist Ihre Gruppe, die sich Arquus nennt?

Das ist schwer zu sagen, weil sich das ständig verändert und Leute mehr oder weniger intensiv dabei sind. Arquus ist keine Gruppe, die schon vorher jahrelang gemeinsam gearbeitet hat, um dann diese Aktion zu starten. Aber einzelne Akteure arbeiten sehr wohl schon seit einer Weile zusammen und kennen sich gut. Es gibt ein großes Netzwerk von fast 100 Leuten. Die Altersspanne von den Jüngsten zu den Ältesten umfasst mehr als 30 Jahre.

Die Stadt hatte das "Regenbogen-Präludium" blitzschnell entfernen lassen. War dieses übereilte und von vielen kritisierte Handeln die beste PR für den Regenbogen?

Es war für die starke Auseinandersetzung sicherlich förderlich. Und es hatte einen gewissen Witz, weil das Abkärchern der Farbe mit dieser Geschwindigkeit ein bisschen panisch wirkte, dann aber auch sehr städtisch. Denn drei Farben waren ja noch über das Wochenende stehen geblieben. Warum das so war, dazu kursieren zwei Geschichten: Erstens, dass der Kärcher kaputt gegangen ist. Zweitens, dass am Freitagmittag schlichtweg Feierabend war für die städtischen Mitarbeiter.

Was ist aus den angedrohten rechtlichen Konsequenzen wegen Sachbeschädigung geworden?

Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft wegen Mangel an Beweisen eingestellt. Das bedeutet, das Verfahren kann innerhalb von fünf Jahren - so lang ist die Verjährungsfrist - wieder aufgenommen werden, wenn neue Beweise vorliegen. Es wird aber nicht weiter ermittelt.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Stadt heute?

Ambivalent. Es gibt Ämter und Einzelpersonen, die uns sehr zugewandt sind. Andere verhalten sich neutral, eine dritte Fraktion steht uns negativ gegenüber.

"Rathausart"

Bei der Nürnberger "Rathausart" wurden von der Galerie Bode kürzlich eine Fotoedition, Grafiken und Prägedrucke des Präludiums ausgestellt. Wie kam es dazu?

Der Kontakt zu Herrn Bode wurde uns von einem Förderer vermittelt, der uns von Beginn an ideell, personell und finanziell unterstützt hat. Es war sein Wunsch, die Bilder des "Regenbogen-Präludiums" zu verbreiten und zu verfestigen. Die wurden natürlich medial stark verbreitet, aber bislang noch nicht auf dem Kunstmarkt. Also haben wir klassische Druckgrafik hergestellt. Klaus Bode hat uns nach anfänglicher Skepsis enorm unterstützt.

Und hat bei der Rathaus-Art auch Ihr neues Projekt vorgestellt...

Ja, das war uns enorm wichtig. Wir wollten nicht einfach schöne Bilder vertreiben. Das wäre der Ausverkauf der Aktion gewesen. Unser neues Werk ist deutlich leiser, zurückhaltender: Eine große Infotafel aus Metall die genauso aussieht wie die Stelen des Geländeinformationssystems, die auf dem Reichsparteitagsgelände verteilt sind. Allerdings mit einem anderen Inhalt. Die Stele soll im Frühjahr 2022 im öffentlichen Raum aufgestellt werden und einen wechselnden Inhalt haben, den wir umsorgen, betreuen und verwalten.

Warum eine Kopie dieser Tafeln?

Weil sie per se schon einmal alle Voraussetzungen erfüllt, um auf dem Reichsparteitagsgelände stehen zu können. Wir haben uns bewusst für keine eigene Formensprache entschieden, sondern sie genau so hergestellt, wie die 23 Tafeln, die dort bereits stehen. Das macht sie niederschwellig und entspricht den städtischen Leitlinien von 2004 zum Umgang mit dem Gelände. Und sie hat Überraschungspotenzial.

Wer soll sie wie gestalten?

Jeder, der möchte, kann Ideen liefern. Konkret kann sie zum Beispiel Ankündigungsfläche sein für eine Performance oder Dokumentationsfläche für eine Aktion, die stattgefunden hat. Sie kann aber auch Fotografien oder Bilder, auch Text zeigen. Es geht darum, immer wieder Neues darauf zu präsentieren, das sich mit dem so vielschichtigen Gelände, aber auch mit allen Fragen, die damit zusammenhängen, auseinandersetzt. Der Wunsch ist aber schon, dass es viele künstlerische Arbeiten sind.

Wie wollen Sie die Bevölkerung einbinden?

Jeder Mensch kann uns Vorschläge an unsere Emailadresse schicken. Außerdem wird es im Germanischen Nationalmuseum im Rahmen des im November beginnenden "Global Art Festivals" Arbeitskuben geben, in denen Besucherinnen und Besucher Gedanken entwickeln können. Das ist kein Beitrag von uns. Unsere Stele wird aber parallel dazu am Kornmarkt vor dem GNM stehen. Kosten für die Betreuung der Stele, also Plakatdruck, Verwaltung und Honorare für die Beiträge, bezahlen wir im Idealfall unter anderem aus Kunstverkäufen durch das Präludium.

"documenta 15" in Kassel

Setzt einen solch ein Knaller wie das Präludium nicht arg unter Druck, bei der Frage, wie man weitermacht?

Es war von Anfang an klar, dass der zweite Schritt schwer wird. Es gab und gibt verschiedene Ideen, wie man weiterarbeiten kann. Wir haben auch Kontakte zur "documenta 15" in Kassel. Es wurde ja ein Kollektiv von Künstlerinnen und Künstlern eingesetzt, um die nächste Weltkunstausstellung zu verantworten. Die binden weitere Gruppen ein, die wieder weitere.

Wird auch Arquus nächstes Jahr in Kassel mit dabei sein?

Allenfalls in der Besenkammer, also in kleinerem Rahmen.

Mut und permanente Unruhe

Vor 50 Jahren fand in Nürnberg das damals viel beachtete und diskutierte "Symposion Urbanum" mit Kunst im öffentlichen Raum statt. Fühlen Sie sich als Enkel dieser Pioniere?

Jein. Der Kunstbegriff hat sich seither extrem erweitert: Was heute nicht mehr uneingeschränkt geht, sind dauerhaft aufgestellte Skulpturen. Kunst im öffentlichen Raum entwickelt sich längst in Richtung Aktion und Performance.

Welchen Umgang wünschen Sie sich mit dem Reichsparteitagsgelände?

Wir wünschen uns dort permanente Unruhe. Es muss die ganze Zeit etwas passieren. Unsere Stele wäre ein kleiner Auftakt für so eine permanente Unruhe, wenn sie immer wieder neue und zum Denken anregende Fragen stellen kann. Kleine Dinge könnte sich jeder selbst überlegen. Dinge, für die man keine Genehmigung und keine Erlaubnis braucht. Man könnte einen bunten "Aufmarsch” machen oder dort tanzen und das dokumentieren, oder, oder, oder.

Und welche Rolle sollte die Stadt dabei spielen?

Der Kommune kann man nur empfehlen, Mut zu haben. Sie sollte einen Rahmen bieten, in dem auch Provokatives, Schwieriges und Kontroverses stattfinden kann und in dem Fehler passieren dürfen. Wenn man darauf verzichtet, für das ehemalige Reichsparteitagsgelände eine einzige, homogene Lösung zu finden, dann fällt das Scheitern eines Einzelprojekts nicht mehr so stark ins Gewicht. Wir wünschen uns einfach, dass man eine Menge zulässt. Die ganze Zeit. Es gibt ein unglaubliches Potenzial an Leuten. Sie alle haben einen riesigen Blumenstrauß an wunderbaren Ansätzen parat. Man müsste sie einfach nur machen lassen.

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