Aktionsbündnis startet dreitägige Veranstaltung

Nach den NSU-Morden: Nürnberg hält an Pfingsten ein Tribunal mit Flashmob und Workshops ab

Elke Graßer-Reitzner

Textchefin und Rechercheteam

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2.6.2022, 05:50 Uhr
Im Mai 2017 fand in Köln das erste Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ statt. Angehörige und Opfer rassistischer Gewalt, Initiativen und Interessierte kamen damals zu Wort. Auch in Nürnberg stehen Angehörige und Opfer beim vierten Tribunal im Mittelpunkt.

© NSU-Tribunal-Köln / Dörthe Boxberg, NNZ Im Mai 2017 fand in Köln das erste Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ statt. Angehörige und Opfer rassistischer Gewalt, Initiativen und Interessierte kamen damals zu Wort. Auch in Nürnberg stehen Angehörige und Opfer beim vierten Tribunal im Mittelpunkt.

An diesem Donnerstag treffen sich die Mitglieder des neuen bayerischen Untersuchungsausschusses in München zu ihrer ersten regulären Sitzung, um die Hintergründe des Bombenanschlags und der Morde der Rechtsterroristen des "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) in Bayern aufzuarbeiten.

Ab Freitag steht dann Nürnberg bis zum Pfingstsonntag ganz im Zeichen des NSU-Komplexes: Mit Workshops, Vorträgen, Diskussionen, kritischen Stadtspaziergängen, Flashmob und Performance will ein Aktionsbündnis darauf aufmerksam machen, dass noch viele Fragen nach dieser ungeheuren Verbrechensserie offen sind.

Die Frage nach den Helfern bleibt

Die rechte Terrorzelle NSU hat in den Jahren 2000 bis 2007 zehn Menschen in Deutschland getötet, allein drei der Morde geschahen in Nürnberg, zwei weitere in München. Auch das Sprengstoffattentat auf einen türkischen Kneipenwirt im Jahr 1999 in der Nürnberger Südstadt geht auf das Konto des NSU. "Die Hauptfrage schlechthin ist und bleibt die nach den regionalen Helfern und Helferinnen bzw. Unterstützern vor Ort, die die Morde und Bombenanschläge möglich gemacht haben, vor allem in Bayern und insbesondere hier in Nürnberg", sagen die Initiatoren des Aktionsbündnisses.

Zum Bündnis "Tribunal - NSU-Komplex auflösen" gehören Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen aus Berlin, München, Leipzig, Hamburg, Erlangen und Nürnberg, darunter die Föderation Demokratischer Arbeitervereine e.V (DIDF), in Nürnberg, die Cultfactory Luise, der Kulturladen Villa Leon, das Künstlerhaus der Stadt Nürnberg, die Falken Nürnberg, die Desi und das Heizhaus Nürnberg.

Viertes Tribunal in fünf Jahren

Während des NSU-Prozesses gegen Beate Zschäpe und weitere Angeklagte entwickelten die Initiativen solch ein "Tribunal", um gesellschaftlichen Rassismus anzuklagen und die Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen. Wie schon beim ersten Tribunal im Mai 2017 in Köln, beim Tribunal in Mannheim 2018 oder der dritten Veranstaltung dieser Art 2019 in Chemnitz und Zwickau soll auch das vierte Tribunal in Nürnberg den Angehörigen der Verbrechen Raum geben.

So werden am Samstag, 4. Juni, um 16 Uhr im Staatstheater Nürnberg Semiya Simsek, die Tochter des in Nürnberg vom NSU ermordeten Blumenhändlers Enver Simsek, zusammen mit Gamze Kubasik, Tochter des getöteten Mehmet Kubasik, mit Mehmet O. sprechen, dem jungen Kneipenwirt aus der Scheurlstraße in Nürnberg, der durch den Bombenanschlag schwer verletzt wurde.

Auch Betroffene des Anschlags im Olympia-Einkaufszentrum in München 2016, bei dem ebenfalls ein rechtsradikal motivierter Hintergrund bekannt wurde, werden sprechen. "Lückenlos Aufklären!" heißt ihre Forderung, übrigens auch die des gesamten Tribunals.

Seda Basay-Yildiz wurde vom "NSU 2.0" bedroht

Von 19.45 Uhr bis 22 Uhr wird am Samstag im Staatstheater aber auch darüber diskutiert, wie die Spaltung der Gesellschaft überwunden werden kann und wie Veränderungen sichtbar werden.

Vertreter verschiedener Initiativen, aber auch Seda-Basay-Yildiz, die Frankfurter Rechtsanwältin, die die Familie Simsek im NSU-Prozess vertreten hat und selbst von einem "NSU 2.0" bedroht worden ist, kommen zu Wort.

Den Auftakt bildet am Freitag, 3. Juni, die Aktion "TRBNL goes Nürnberg" an drei Orten in der Stadt: In der Wiesenstraße 86 bei DIDF, in der Villa Leon (Philipp-Korber-Weg 1) und in der Luise - The Cultfactory (Scharrerstraße 15) stellen Gruppen vor, wie sie antirassistische Arbeit leisten und sich solidarisch gegen einen Rechtsruck stellen, vor allem aber postmigrantische Lebensrealitäten verteidigen.

Um 20 Uhr treffen sich Teilnehmer und Interessierte auf dem Vorplatz des Staatstheaters, um ihren Forderungen Raum zu geben. In den Kammerspielen laufen danach Filme zum Thema.

Rechte Gewalt hat lange Geschichte in Bayern

Der Samstag, 4. Juni, ist Workshops und Diskussionen gewidmet. Um 10 Uhr geht es im Staatstheater beispielsweise um die lange Geschichte rechter Gewalt in Bayern und Perspektiven des Widerstands. Mit auf dem Podium sitzen Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, Robert Andreasch von aida-Archiv München und BR-Journalist Jonas Miller.

Marsch zu den Gedenk-Orten

Um 10 Uhr formiert sich auch der Critical Walk, der vom Glasbau des Künstlerhauses zu Tat- und Gedenk-Orten rassistischer Gewalt zieht.

Workshops, Filme und ein Mani-Fest im Staatstheater bilden am Sonntag, 5. Juni, den Abschluss des Tribunals. Mitglieder des Landtagsuntersuchungsausschusses zum NSU-Komplex werden bei alldem gut zuhören. Cemal Bozoglu, Grünen-Vertreter im Ausschuss aus Augsburg, hat bereits angekündigt, zu den Veranstaltungen nach Nürnberg zu kommen.

Zum Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ gibt es auch ein Rahmenprogramm mit Ausstellungen und Filminstallationen. Das gesamte Programm ist über https://www.nsu-tribunal.de/nuernberg/ abrufbar.

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