Netzausbau - nur eine teure Lüge?

9.5.2013, 15:16 Uhr
Netzausbau - nur eine teure Lüge?

© Der Bote

Die Energiewende ist in vollem Gange. Auch im Landkreis. Um die Windenergie aus dem Norden in den Süden zu transportieren, ist ein massiver Netzausbau nötig. Sagen die Politiker. Vollkommen unnötig, meint hingegen Lorenz Jarass – und rennt in Winkelhaid offene Türen ein. Schließlich wäre die Gemeinde vom Netzausbau eventuell enorm betroffen. Der geborene Deggendorfer ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule RheinMain. „Der Netzausbau ist nur dazu da, um die Kohlekraftwerke weiter zu betreiben.“ Der Professor war nach Winkelhaid gekommen, um das Publikum auf eloquente Art wachzurütteln.

Netzausbau - nur eine teure Lüge?

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Für die Energiewende setzt sich der 62-Jährige schon seit Jahrzehnten ein. Aber der Netzausbau ist für ihn ein Unding. Ein Umbau reicht aus. Die Kraftwerks-Betreiber haben einen Rechtsanspruch darauf, ihren Strom ins Netz zu speisen. Ist das nicht möglich, weil die Sonne stark scheint oder der Wind heftig bläst, erhalten sie Ausgleichszahlungen. 160 Millionen Euro allein im vergangenen Jahr. Eben deshalb, so Jarass, werden die Netze ausgebaut: Damit zu der fossilen zusätzlich die gesamte erneuerbare Energie eingespeist werden kann. Auch die Windspitzen an einem böigen Tag.

Allein in Schleswig-Holstein entsteht ein Windpark, der jährlich 9000 Megawatt Strom liefern soll. Zudem wird auch der fossile Sektor weiter ausgebaut: In Nordrhein-Westfalen sind weitere Werke geplant. Die ausgebauten Stromtrassen lägen nicht von ungefähr oft an Braunkohlevorkommen in ganz Deutschland, meint Jarass.

Doch wohin mit der ganzen Menge an Energie? „Wir exportieren unseren überzähligen Strom ins Ausland – für wenig Geld“, antwortet Jarass und blickt in entsetzte Gesichter. „Was wir nicht verbrauchen, muss nicht erzeugt werden“, hatte zuvor Winkelhaids Bürgermeister Michael Schmidt ausgerufen.

Das, was erzeugt wird, muss zum Verbraucher gelangen: 19.000 Kilometer Starkstromleitungen führen bislang durch Deutschland, laut NEP soll nochmal ein Drittel, rund 6.600 Kilometer, hinzukommen. Kosten: 20 Milliarden Euro. Eben das ist ein weiterer Kritikpunkt von Jarass: Die Kosten interessierten beim Netzausbau nicht, schließlich kommt der Bürger dafür auf. „Das konterkariert die Energiewende“ und sorge für schwindende Akzeptanz in der Bevölkerung.

Der Netzausbau könnte die Winkelhaider besonders hart treffen: Führt doch bereits eine 220-kV-Leitung durch den Ort. Zwar kam erst der Strom in die Gemeinde und später die Siedlung, doch die Anwohner sorgen sich, dass die Leitung weiter ausgebaut werden könnten. Eine Sorge, die ihnen auch Jarass nicht nehmen kann. Er kenne die Trasse zwar nicht, aber allgemein kann er sagen: „Zuerst werden dort die Leitungen ertüchtigt, wo es schon 220kV-Leitungen gibt.“ Ein Ausbau auf 380-kV erscheint wahrscheinlich.

Brutal und unterhaltsam sei er auf Defizite in der Berichterstattung aufmerksam gemacht worden, sagt Herbert Fuehr über die klaren Worte von Jarass. Der ehemalige Redakteur der Nürnberger Nachrichten moderierte den Abend. Kopfschütteln hat Jarass Vortrag auch im Bundestag verursacht. Dennoch: „Der Bundestag hat den NEP abgesegnet“, berichtet der Professor.

Während es Windpark-Betreibern im Norden vor allem darum geht, viel Strom in den Süden zu liefern, will die Bürgerinitiative „Runder-Tisch-Energie Winkelhaid“ auf dezentrale Pläne setzen. Sie will konkrete Projekte in der Region fördern und die Bürger mit ins Boot holen. Schließlich gibt es im Landkreis noch einiges zu tun.

Das weiß auch Landrat Armin Kroder, der an diesem Abend auf das jüngst veröffentlichte Integrierte Klimakonzept des Landkreises hinweist. Das Potential bei der regionalen Stromerzeugung ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Kroder selbst sagte, dass er Jarass Vortrag „erschreckend“ fand. „Wenn wir im Süden genügend Strom erzeugen, dürfte sich die Frage mit den Stromtrassen aus dem Norden für die Windenergie weniger stellen.“ Für diese Worte erntete der Landrat den Applaus des Publikums.

Eine dezentrale, bürgernahe und zukunftsfähige Energieversorgung zu schaffen, das ist die Vision von Naturstrom, führt Thilo Jungkunz, Mitglied der Geschäftsleitung, aus. Das Unternehmen arbeitet mit Bürgerinitiativen wie der in Winkelhaid zusammen, um Haushalte regional mit Strom zu versorgen.

Dass ein Umdenken in der Bevölkerung stattfindet und Deutschland bereits mitten in der Energiewende steckt, zeigen die Zahlen, die Jungkunz präsentiert. Sein Unternehmen liefert zu 100 Prozent Ökostrom. Ein Konzept, das funktioniert: Seit 2008 stieg die Anzahl der Kunden stark an. Zuletzt auf 230.000. 

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