Ermittlungen laufen weiter
Tödliche Schüsse in Nürnberg: Was wir zum Fall in der Heisterstraße wissen
12.06.2025, 19:35 Uhr
Ein Beamter hat am 4. März bei der Vollstreckung eines Haftbefehls in der Heisterstraße im Nürnberger Süden zur Dienstwaffe gegriffen und einen 38-Jährigen tödlich getroffen. Die genauen Umstände sind noch Gegenstand laufender Ermittlungen und werden derzeit von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth und vom Landeskriminalamt geprüft. Der Fall wirft einige Fragen auf.
Wer wurde getötet?
Der 38-jährige Qabel A. war Vater von zwei Kindern. Er lebte seit 26 Jahren in Deutschland und arbeitete als Kampfkunstlehrer an einer Kampfsportschule in Nürnberg. Dort lehrte er Wing Tsun, eine Kampfkunst, die auf Selbstverteidigung ausgelegt ist.
Warum war die Polizei am 4. März in der Heisterstraße?
Eine Polizeistreife sollte einen Haftbefehl vollstrecken. Der basierte auf einer Körperverletzung von Qabel A. gegen zwei erwachsene Mitglieder einer anderen Kampfsportschule. Die beiden sollen Verletzungen mittleren Grades erlitten haben. Weitere Details konnte Heike Klotzbücher, Oberstaatsanwältin und Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, nicht nennen. Wie genau die Situation aussah, ist nicht bekannt.
Im Oktober 2023 war die Körperverletzung angezeigt worden, im Mai 2024 wurde der Haftbefehl beantragt, am 15. Juli 2024 erlassen. An diesem Tag gab es nach Informationen von „NN.de“ bereits einen Versuch der Vollstreckung, der aber gescheitert ist, weil Qabel A. Widerstand geleistet haben soll.
Warum ist der Haftbefehl umstritten?
Ausgesprochen wurde der Haftbefehl, weil eine Fluchtgefahr vorgelegen habe. Die wird darauf zurückgeführt, dass Qabel A. keinen festen Wohnsitz gehabt habe. Dem widersprechen seine Angehörigen. Belegt ist nach Informationen von „NN.de“, dass Qabel A. seit September 2024 mit der Wohnanschrift Heisterstraße 24 beim Nürnberger Einwohneramt gemeldet war.
Das sei laut Klotzbücher aber erst kurz vor dem 4. März bekannt geworden. Eine gemeldete Adresse bedeute außerdem noch keinen festen Wohnsitz, die Person müsse dort auch erreichbar sein. Wäre bei der Vorführung bei einem Ermittlungsrichter aber ein fester Wohnsitz festgestellt worden, hätte der Haftbefehl aufgehoben werden können. Klotzbücher betont außerdem, dass der Erlass eines Haftbefehls bei nicht allzu schweren Delikten immer sorgfältig geprüft werde.
Qabels Angehörige zweifeln zusätzlich die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls an. Nach ihren Angaben sei er nicht von einem Ermittlungsrichter unterzeichnet worden. Laut Klotzbücher liege das daran, dass nie der originale Haftbefehl herausgegeben werde. Das Dokument, das der Familie vorliegt, sei nur eine Ausfertigung, auf der eine Unterschrift nicht nötig sei. „Ein nicht unterschriebener Haftbefehl wird grundsätzlich nicht zum Vollzug gebracht“, erklärt sie.
Was ist am 4. März in der Heisterstraße passiert?
Gegen 8 Uhr kam eine Polizeistreife in der Heisterstraße 24 an, um den besagten Haftbefehl zu vollstrecken. Nach Darstellung der Behörden habe Qabel A. Widerstand geleistet und sich mit einem Küchenmesser bewaffnet. Einer der beiden eingesetzten Beamten habe schließlich geschossen. Die Situation soll sich laut Informationen von „NN.de“ im Eingangs- und Küchenbereich der insgesamt 34 Quadratmeter großen Einzimmerwohnung abgespielt haben.
Lange war die Anzahl der Schüsse nicht bekannt, inzwischen gibt die Staatsanwaltschaft heraus, dass der Polizist zweimal abgedrückt hat. Über den Obduktionsbericht konnte Klotzbücher auf Anfrage unserer Redaktion keine Auskunft geben. Die Schüsse seien aber klar als Todesursache identifiziert worden.
Genauer äußert sich die Pressesprecherin nicht zu dem Geschehen in der Wohnung. Die Polizei hat im Anschluss Spuren gesichert und danach für die Ermittlungen ausgewertet. Auch mit Zeuginnen und Zeugen wurde gesprochen.
Die Rekonstruktion des Geschehens in der Wohnung sei laut Klotzbücher Gegenstand laufender Ermittlungen. Ebenso wie die Frage, ob der Einsatz der Dienstwaffe gerechtfertigt war.
Was wissen wir bislang nicht?
Wie die Situation innerhalb von etwa 15 Minuten so eskaliert ist, dass ein Beamter auf den 38-Jährigen schießt, ist unklar. Vom Verlauf des Geschehens können nur die beiden Polizisten berichten, außer ihnen und dem Getöteten war nach aktuellem Ermittlungsstand niemand in der Wohnung.
Sollte die Polizei wirklich schon mal gescheitert sein, den Haftbefehl gegen Qabel A. zu vollstrecken, ist außerdem unklar, warum beim zweiten Versuch am 4. März trotzdem nur zwei Polizisten geschickt wurden. Das zuständige Präsidium Mittelfranken äußert sich wegen der laufenden Ermittlungen nicht dazu.
Auch warum zwischen der Anzeige, dem Haftbefehl und dem zweiten Versuch der Vollstreckung so viel Zeit verging, ist nicht ganz klar. Es sei aber auch „nicht komplett ungewöhnlich“, sagt Klotzbücher. Genaue Gründe kann sie nicht nennen.
Wie lange dauern die Ermittlungen noch?
Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt in dem Fall, wie es nach einem Dienstwaffengebrauch Standard ist. Gewöhnlich dauern die Ermittlungen mehrere Monate an, erklärt Klotzbücher. In diesem Fall hoffe man aber, dass es sich nicht mehr allzu lange hinziehen wird. Die Pressesprecherin rechnet aber noch mit mindestens zwei Wochen.
Häufen sich gerade tödliche Polizeischüsse?
Der Dienstwaffengebrauch durch die Polizei ist zuletzt deutlich angestiegen. Im Jahr 2025 sind in Deutschland bereits 13 Personen durch Schüsse der Polizei gestorben. Das besagt eine inoffizielle Statistik der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/Cilip, die seit 1976 Fälle zusammenträgt, in denen Menschen durch Kugeln der deutschen Polizei gestorben sind. Offizielle Statistiken zu diesem Thema sind nicht zu finden.
Die Zahl der tödlichen Polizeischüsse erreichte 2024 einen Rekordwert seit der Zählung von Cilip. 22 Menschen sind demnach im vergangenen Jahr durch die polizeiliche Dienstwaffe getötet worden.
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