"Sänger vögeln nicht mehr"

Geänderte Liedtexte: Wie ernst nimmt Rammstein die Vorwürfe wirklich?

Cora Krüger

Online-Redaktion

E-Mail zur Autorenseite

19.7.2023, 16:47 Uhr
"Alle haben Angst vorm Lindemann": Gleich zweimal änderte der Rammstein-Frontsänger in Berlin einen Songtext - und spielte damit wohl auf die aktuelle Situation an.

© IMAGO/Carlos Santiago/ Eyepix Group "Alle haben Angst vorm Lindemann": Gleich zweimal änderte der Rammstein-Frontsänger in Berlin einen Songtext - und spielte damit wohl auf die aktuelle Situation an.

Ungeachtet der immer lauter werdenden Vorwürfe ist die Band weiter auf Stadiontour quer durch Europa, fast 20 Konzerte spielte Rammstein seit dem Posting von Shelby Lynn. In diesem behauptete die Nordirin, bei einem Konzert der Band in Vilnius unter Drogen gesetzt worden zu sein. Dadurch hat sie eine Welle an Vorwürfen angestoßen. Immer mehr Frauen meldeten sich in den sozialen Netzwerken zu Wort und berichteten, negative Erfahrungen mit der Band gemacht zu haben. In ihren Geschichten geht es vor allem um Alkohol, um Drogen, um das Ausnutzen ihrer Machtpositionen und um nicht einvernehmlichen Sex.

Zunächst beschränkte sich der Skandal auf Frontsänger Till Lindemann, inzwischen gibt es auch Anschuldigungen gegen Keyboarder Christian Lorenz, auch bekannt als "Flake". Eine Betroffene gibt an, bei den vermeintlichen Vorfällen noch minderjährig gewesen zu sein. Und die Band? Spielt ihre Konzerte munter weiter. Und ist von der Situation natürlich schockiert. Zumindest, wenn man einem Statement von Rammstein auf Instagram Glauben schenken darf. Dort heißt es unter anderem: "Die Vorwürfe haben uns alle sehr getroffen und wir nehmen sie außerordentlich ernst." Zwei der insgesamt drei geplanten Auftritte in Berlin, die die Musiker in den letzten Tagen vor tausenden Fans im Olympiastadion über die Bühne gebracht haben, sprechen jedoch eine andere Sprache.

Sprüche über Missbrauchsvorwürfe

Gleich zweimal änderte Lindemann während der Auftritte einen Liedtext. Dass er mit den angepassten Zeilen auf die aktuellen Kontroversen anspielt, lässt sich annehmen. Am Samstag war es zunächst das Lied "Angst", in dem es normalerweise heißt: "Der Rücken nass, die Hände klamm, alle haben Angst vorm schwarzen Mann." Stattdessen sang der Frontmann: "Alle haben Angst vorm Lindemann."

Am Sonntag traf es dann die Ballade "Ohne dich". Die Zeile "Und die Vögel singen nicht mehr" wurde diesmal kurzerhand durch "Und die Sänger vögeln nicht mehr" ausgetauscht. An beiden Abend lassen ihn seine Bandkollegen gewähren. Dabei wirken Lindemanns Aussagen angesichts der aktuellen Situation nicht nur unpassend und geschmacklos, sie verhöhnen auch weit über seinen Fall hinaus die Opfer sexueller Übergriffe, die mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit gehen.

Eingeschritten ist von Lindemanns Bandkollegen niemand, an keinem der beiden Abende. Stattdessen bedankte sich Gitarrist Richard Kruspe auf Instagram "für die magischen Vibes gestern". Und natürlich, Rammstein ist seit jeher bekannt für das Austesten von Grenzen und Provokation und ja, es gilt die Unschuldsvermutung. Angesichts der aktuellen Situation vermittelt die ganze Band den Zuschauern bei ihren Berliner Konzerten jedoch vor allem eines, egal ob bewusst oder unbewusst: Den Eindruck, dass Rammstein die betroffenen Frauen und die aktuellen Vorwürfe nicht ernst nimmt. Da spielt es keine Rolle, was auf dem offiziellen Instagram-Account der Band oder auf dem privaten Profil von Schlagzeuger Christoph Schneider, der erklärte, "als Mensch tief erschüttert" zu sein, zuvor geteilt wurde. Die Auftritte machen die Statements unglaubwürdig.

Doch egal, wie daneben Lindemanns Aussagen und die Reaktion seiner Kollegen für viele Außenstehende wirken dürften. Vonseiten der Community gibt es eine Menge Rückhalt. Etwa dreihundert Gegendemonstranten standen am Olympiastadion tausenden Fans gegenüber. Einige möchten jetzt erst recht zu den Konzerten gehen, andere feiern Lindemanns Sprüche gar als kreativ. Die Reaktion auf die Anschuldigungen ist vor allem eine Frage des Anstands. Nach fast 20 gespielten Konzerten seit dem Aufkommen der Vorwürfe ist bei der Band angesichts des immensen Rückhalts im Publikum aber vielleicht auch einfach der Eindruck aufgekommen, dass man diesen gar nicht nötig hat.

Verwandte Themen