"Abendessen für Mädchen"
"Girl Dinner": Harmloser TikTok-Trend oder Verherrlichung von Essstörungen?
25.07.2023, 12:55 Uhr
Hinweis: In diesem Artikel geht es unter anderem um das Thema Essstörungen.
Sie sind alleine zuhause, haben einen knurrenden Magen, keine Lust zu kochen und zumindest heute keine Kinder oder Partner, deren Essenswünsche sie berücksichtigen müssen. Für viele Userinnen auf TikTok ist dann höchste Zeit für ein "Girl Dinner" - übersetzt also ein "Abendessen für Mädchen".
Unter dem Hashtag finden sich tausende Videos von Frauen, die ihr vermeintliches Single-Abendessen teilen, das für die meisten wohl nicht als klassische Mahlzeit gelten würde. Mal sind es hauptsächlich Reste, wie ein populäres Video, das die Überbleibsel einer mexikanischen Bowl, eine Karotte, Erdnussbutter und Nüsse zeigt. Oft sind es wahllos zusammengewürfelte Snacks: Erdbeeren, Gurken, Salami, Guacamole, Käse. Manchmal auch nur Popcorn, Chips oder ein Kaffee. Gemeinsam haben die Videos vor allem eines: Sie zeigen auf den ersten Blick chaotisch anmutende Essenskombinationen, die keinerlei Aufwand bereiten und für eine Person gedacht sind.
Der virale Trend geht zurück auf die US-Amerikanerin Olivia Maher. Im Mai teilte sie ein Video, in dem sie Brot, Käse, Wein, Trauben und Gewürzgurken zeigt. "Das ist mein Abendessen. Ich nenne es 'Girl Dinner' oder 'Bauer im Mittelalter'", erklärt sie dazu. Die Idee dazu habe sie bei einem Spaziergang mit einer Freundin gehabt. Das Video ging viral, hat inzwischen etwa 200.000 Likes. Und ist der Beginn eines Trends. Tausende Frauen teilten ihr typisches "Girl Dinner", mehr als 150 Millionen Mal wurde der Hashtag inzwischen angeklickt, sogar Songs zum Thema wurden kreiert. Die Videos sollen vor allem belustigen und "relatable", also nachempfindbar, sein.
Begünstigt der Trend Essstörungen?
Doch was als harmloser Trend begonnen hat, geriet bei einigen Nutzerinnen und Nutzern der Plattform nach und nach in die Kritik. Sie äußerten unter anderem Bedenken, dass der eigentlich als Witz gedachte Hashtag dazu missbraucht werden könnte, restriktives oder gar gestörtes Essverhalten zu fördern. Ihre Sorge rührt vor allem daher, dass einige Clips extrem kleine Portionen zeigen oder die Erstellerinnen gar damit scherzen, das Abendessen ausfallen zu lassen und das Ganze mit dem Modewort "Girl Dinner" versehen.
So zeigt eines der viralsten Videos mit über 1,2 Millionen Likes eine Frau, die anstatt zu essen einfach schlafen geht. Die Kommentare darunter reichen von "Mein Lieblingsessen, wenn ich am verhungern bin" bis "Das ist mein 'Girl Dinner' und auch mein Frühstück". "Ich weiß, dass das eigentlich als Scherz gedacht ist, aber es verherrlicht Essstörungen als niedliche kleine Mädchensache", kritisiert ein User, "Ein 'Girl Dinner' bedeutet nicht, dass man unterernährt ist".
Auch bei Expertinnen und Experten gehen die Meinungen auseinander. Während Kathrine Kofoed, Ernährungsberaterin aus Oregon, den Trend gegenüber der New York Times als "angenehme Abkehr von der Diätkultur und von all den starren Erwartungen, was Essen sein sollte" beschreibt, ist Esther Tambe, Diätassistentin aus New York, kritischer. Gegenüber BuzzFeed gibt sie zu bedenken, dass die Videos auch einen potenziell problematischen Aspekt aufweisen können, je nachdem, wer sie zu sehen bekommt.
"Nehmen wir an, ein Teenager oder jemand, der überhaupt nichts weiß, sagt: 'Okay, das ist das, was ich zum Abendessen essen muss'. [...] Das ist der Punkt, an dem ich denke, dass es problematisch werden kann", so Tambe. Sobald man anfange, Regeln über Art und Menge des Abendessens in den Köpfe der Nutzerinnen und Nutzer zu verankern, könne dies unter Umständen zu Essstörungen führen. Grundsätzlich sei ein "Girl Dinner" aber besser, als gar nichts zu essen: "Ich kann es mir als Snack-Teller vorstellen."
"Girl Dinner" im Fast-Food-Restaurant
Ungeachtet der Bedenken einiger Userinnen und User werden täglich unzählige neue Clips zum Thema in den sozialen Medien geteilt. Und der virale Trend ist inzwischen sogar bei Großkonzernen angekommen: Die US-amerikanische Fast-Food-Kette "Popeyes" bietet seit kurzem ein "Girl Dinner"-Menü an, bei dem unterschiedliche Beilagen nach Belieben ausgewählt werden können.
Für Personen, die unter einer Essstörung leiden und ihre Angehörigen gibt es verschiedene Anlaufstellen, die niederschwellig Hilfe anbieten. So bietet unter anderem die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ein umfangreiches Beratungsangebot (sowohl telefonisch als auch online und vor Ort) an, bei dem über Essstörungen aufgeklärt und bei der Suche nach Hilfe und Therapien unterstützt wird. Sie ist unter 0221 892031 zu erreichen.