Negative Schaltsekunde

Klimawandel bremst Drehung der Erde - Wissenschaft muss bei Zeitmessung einschreiten

Stefan Besner

Online-Redaktion

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7.4.2024, 05:00 Uhr
Ein Tag hat 86.400 Sekunden. Wie lange eine Sekunde dauert, bestimmen präzise Atomuhren, die auf Basis von Zustandsänderungen eines Cäsiumatoms den Takt vorgeben.

© IMAGO Ein Tag hat 86.400 Sekunden. Wie lange eine Sekunde dauert, bestimmen präzise Atomuhren, die auf Basis von Zustandsänderungen eines Cäsiumatoms den Takt vorgeben.

Wer hat an der Uhr gedreht? Um es kurz zu machen: Die Erde - und zwar, weil sie sich um sich selbst dreht, während sie sich um die Sonne bewegt; allerdings nicht immer mit der selben Geschwindigkeit. Entgegen der allgemeinen Annahme, dass ein Tag stets 24 Stunden dauert, variiert diese Zeit. Ähnlich wie beim Kalender, dem alle vier Jahre im Februar ein Tag hinzugefügt werden muss, damit die Schokoosterhasen nicht irgendwann unter der Sommersonne zerschmelzen, ist das Einfügen von sogenannten “Schaltsekunden“ längst Usus. Nun jedoch verkehrt sich dieser Effekt ins Gegenteil. Durch die beschleunigte Erdrotation könnte es nötig werden, Sekunden zu entfernen. Ein solches Verfahren stellt insbesondere die Technik vor gewaltige Herausforderungen. Ausgerechnet der Klimawandel gewährt nun eine Galgenfrist.

Was sind Schaltsekunden?

Ein Tag hat 86.400 Sekunden, ein Gemeinjahr Gemeinjahr = 31.536.000. Wie lange eine Sekunde dauert, bestimmen präzise Atomuhren, die auf Basis von Zustandsänderungen eines Cäsiumatoms den Takt vorgeben. Damit die Weltzeit synchron mit unseren Tageslängen bleibt, gleicht nach Informationen von “scinexx“ das Internationale Büro für Maß und Gewicht (BIPM) sie zusätzlich mit der Erdrotation ab. Wird diese schneller oder langsamer, ist notwendig, eine Schaltsekunde hinzuzufügen oder abzuziehen. Dann würden die Uhren von 23:59:58 Uhr direkt auf 0:00:00 Uhr springen (negative Schaltsekunde) oder blieben zwei Sekunden lang auf 23:59:59 Uhr stehen (positive Schaltsekunde).

Tage werden wieder kürzer

Durch den Einfluss des Mondes, des Erdkerns und Prozessen an der Erdoberfläche hat unser Planet seit der Ära der Dinosaurier seine Rotation sukzessive verlangsamt. Die Tage wurden länger. Um diese Diskrepanz auszugleichen, wurden immer wieder Schaltsekunden eingefügt – die Silvesternacht war eine Sekunde länger. Seit 2016 beschleunigt sich die Erdrotation allerdings und eilt der Weltzeit inzwischen voraus. 2026 wäre deshalb erstmals die Einführung einer negativen Schaltsekunde notwendig gewesen. Ausgerechnet der Klimawandel verschiebt diesen Zeitpunkt nun nach hinten.

Klimawandel verlangsamt Rotation

Wer schon einmal eine Pirouette gedreht hat oder zumindest jemanden dabei beobachtet hat, zum Beispiel beim Eiskunstlauf, weiß: Streckt man die Arme weg vom Körper, dreht man sich langsamer, werden sie angezogen wird man schneller. Die Erde dreht sich aufgrund komplexer Prozesse im Erdkern seit 2016 schneller - der menschengemachte Klimawandel wirkt diesem Prozess nun entgegen. Wie “ srf“ berichtet, verteilen sich durch das Abschmelzen des Eises enormen Wassermassen um und sammeln sich am Äquator.

Der Geophysiker Duncan Agnew von der University of California in San Diego hat diesen Effekt untersucht und seine Ergebnisse im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht. Agnews Kalkulationen zeigen, dass die steigenden Meeresspiegel und die damit einhergehenden Massenverlagerungen wie eine Bremse für die Erdrotation wirken. Wir erinnern uns an die Pirouette: Das Trägheitsmoment nimmt bei ausgestreckten Armen, die an dieser Stelle das Wasser symbolisieren, zu, wodurch sich der Körper, in diesem Fall die Erde, langsamer dreht.

Extreme technische Probleme bei Negativ-Schaltsekunde

Was kratzt mich eine Sekunde pro Jahr weniger oder mehr, könnte sich an dieser Stelle der ein oder andere fragen. Vor tausend oder sogar erst hundert Jahren würde die klare Antwort lauten: Kein Stück. Da wir inzwischen allerdings in einer hochtechnisierten, digitalisierten Welt leben, sieht die Sache gänzlich anders aus. Schaltsekunden synchron in die Weltzeit zu übernehmen, ist alles andere als trivial. Immerhin: Die meisten Computersysteme haben inzwischen die Möglichkeit, die Schaltsekunden nach Bedarf einzufügen. Kaum ein System ist dagegen darauf ausgelegt, eine Sekunde zu entfernen. Agnew erwartet diesbezüglich erhebliche Schwierigkeiten. Wegen der Eisschmelze an den Polkappen ist der Tag für die Probe aufs Exempel nun aber erstmal um voraussichtlich drei Jahre nach hinten gerutscht.

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