Tierschutz

Küken-Schreddern verboten - jetzt verschwinden die Tiere wohl einfach spurlos

Isabel Pogner

Online-Redaktion

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30.12.2022, 14:36 Uhr
Foodwatch vermutet: Männliche Küken, die in Deutschland geboren werden, sterben weiterhin. 

© Jens Büttner/zb/dpa Foodwatch vermutet: Männliche Küken, die in Deutschland geboren werden, sterben weiterhin. 

Seit einem Jahr ist es in Deutschland verboten, männliche Küken zu schreddern oder zu vergasen. Für die Produzenten ist die Aufzucht der Tiere allerdings nicht wirtschaftlich. Die Organisation Foodwatch vermutet, dass sich durch das Gesetz die Lage für die Küken sogar verschlechtert hat: Vermutlich werden die frisch geschlüpften Hahnenbabys ins Ausland gekarrt, um dort getötet zu werden, erklärt Foodwatch-Geschäftsführer Chris Methmann am Freitag gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

"Fast neun Millionen männliche Küken sind in den ersten neun Monaten des Jahres in Deutschland geschlüpft - und niemand weiß oder will wissen, was mit den Tieren passiert", sagt Methmann. Selbst der Zentralverband der Geflügelindustrie wisse nicht, was mit den Tieren passiert, auch die Behörden seien ratlos. "Entsprechende Kontrollen finden bisher offenbar nicht statt", sagt Methmann. Foodwatch habe Indizien dafür, dass die Küken ins Ausland gebracht und dort getötet werden.

Eigentlich müssen männliche Küken seit Januar entweder noch vor dem Schlüpfen aussortiert, oder als so genannte Bruderhähne aufgezogen werden. Beim Geschlechtsbestimmungsverfahren werden die Eier etwa vier Tage lang gebrütet, erklärt das Landwirtschaftsministerium: "Dann wird ein spezieller Lichtstrahl in das Ei-Innere geschickt. Das Geschlecht wird durch eine Analyse des reflektierten Lichts bestimmt." Ist das Küken ein Männchen, zerstört der Betrieb das Ei. Allerdings ist das aufwendig und kostenintensiv, stellt das die Wissens-Sendung Quarks des WDR fest. Das macht die Eier für den Verbraucher teurer.

Hähne landen meistens im Ausland

Die Alternative heißt "Bruderhahn". Das bedeutet, dass die Hähne bis zu sieben Monate lang gemästet und dann geschlachtet werden. Das passiert laut der Tierschutzorganisation Peta aber oft nicht in Deutschland, sondern in Osteuropa. Denn in Deutschland gibt es nur wenige Betriebe, die Bruderhähne mästen. Die werden auch nicht schlagartig mehr werden, denn in Deutschland gibt es keinen Absatzmarkt für das Fleisch der Tiere. Die frisch geschlüpften Kükenmännchen werden also ins Ausland transportiert, wachsen dort oft auf engstem Raum auf und werden dann nach spätestens sechs Monaten geschlachtet. Davor werden sie betäubt, indem sie kopfüber in ein stromführendes Wasserbad getaucht werden. Reißen sie vor dem Wasserbecken den Kopf hoch, trennt die Säge ihnen bei vollem Bewusstsein den Kopf ab. Andere Hähne werden mithilfe eines schleimhautreizenden Gases betäubt - die Tiere bekommen vor der Bewusstlosigkeit das Gefühl, zu ersticken. Damit, erklärt Peta, hat das neue Gesetz das Leid der Hähne nicht verhindert, sondern eher verzögert. Die Organisation findet: "Die Bruderhahn-Initiative dient dazu, das Gewissen von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu manipulieren."

Warum Legehennen selten glücklich sind

Neben der ungewissen Situation für die Hähne kritisiert Foodwatch das Tötungsverbot aus noch einem anderen Grund. Denn das Gesetz ändere nichts an den "unerträglichen Zuständen in deutschen Hühnerställen". Die Bundesregierung "doktert nur an Symptomen eines kaputten Tierhaltungssystems herum, das möglichst billig möglichst viele Eier produzieren will", sagt Methmann. Wirklich helfen würde den Hühnern nur ein Umbau des ganzen Systems, bei dem die "tierquälerische Hochleistungszucht" abgeschafft wird.

Legehennen führen in Deutschland meistens kein glückliches Leben auf einer großen Wiese. Zehn Prozent der Eier stammen aus Kleingruppen-Käfigen, erklärt der Deutsche Tierschutzbund. Dort hat ein Tier 800 Quadratzentimeter Platz - das ist etwas mehr als eine DIN-A4-Seite. Die Tiere können sich kaum bewegen. Deshalb bekommen sie Fußballengeschwüre, Fettlebern und brüchige Knochen. Und sie entwickeln Aggressionen, die sie an ihren Artgenossen auslassen. Sie reißen sich die Federn aus oder kannibalisieren sich gegenseitig.

Die meisten deutschen Eier stammen von Hennen aus der Bodenhaltung. Dort sitzen die Tiere überwiegend auf Latten- oder Gitterrosten. Neun Hennen pro Quadratmeter. Da in den Gruppen bis zu 6.000 Tieren gehalten werden dürfen, können die Tiere keine Rangordnung bilden. Das führt ebenfalls dazu, dass die Hennen ihre Aggressionen unwillkürlich an Artgenossen auslassen. Außerdem sterben viele Tiere durch den massiven Stress, den das Gedränge auslöst, erklärt die Tierschutzorganisation Vier Pfoten.

In der Freilandhaltung dürfen maximal 3.000 Tiere in einem Auslauf leben. "Bei dieser Haltungsform können die Grundbedürfnisse der Hennen wesentlich besser umgesetzt werden als im Käfig", erklärt Vier Pfoten. Doch auch bei dieser Haltungsform werden vielen Hennen die Schnabelspitzen ohne Betäubung abgeschnitten, damit sich die Tiere weniger verletzen. Außerdem ist der Hühnerkörper nicht darauf ausgelegt, jeden Tag ein Ei zu produzieren. Dass Hühner etwa 300 Eier im Jahr legen, liegt an der speziellen Zucht. Die ursprünglichen Rassen haben nur wenige Eier im Jahr gelegt, erklärt Peta.

Die 300 Eier, die eine Henne im Jahr legt, kosten sie viel Kalzium. So viel kann das Tier aber nicht über das Futter aufnehmen, deshalb zieht der Körper das Kalzium aus den Knochen, "was dazu führt, dass nahezu alle Hühner in der Eierindustrie an Mehrfachbrüchen des Brustbeins leiden", erklärt Peta. Hühner, die wenige Eier pro Jahr legen, können bis zu 15 Jahre alt werden. Die für die Eiproduktion gezüchteten Rassen sterben allerdings schon nach zwei Jahren, weil die Körper die Belastung nicht aushalten. Vier Pfoten erklärt: In der Industrie werden die Legehennen in der Regel nach 1,5 Jahren geschlachtet.

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