200 Festnahmen

Proteste eskalieren extrem: Autofahrer zieht Klimaaktivistinnen an den Haaren von der Straße

Johanna Mielich

Online-Redaktion

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25.4.2023, 15:45 Uhr
Polizisten tragen eine Aktivistin der Letzen Generation am Montag von der Straßenblockade an der Danziger Strasse weg. 

© IMAGO/JOCHEN Polizisten tragen eine Aktivistin der Letzen Generation am Montag von der Straßenblockade an der Danziger Strasse weg. 

Mitten im Berufsverkehr gegen 7.30 Uhr am Montagmorgen begannen die ersten Straßenblockaden der Klimagruppe Letzte Generation in Berlin. Wenig später waren es nach Angaben der Polizei bereits Dutzende. Was folgte war ein stundenlanges Katz- und Maus-Spiel auf Berlins Straßen. Die Demonstranten versuchten, wie schon vor Tagen angekündigt, die Hauptstadt zum Stillstand zu bringen. Die Polizei tat alles, dies zu verhindern - mit bis zu 500 Einsatzkräften und einem Hubschrauber.

An einigen Orten drängten die Beamten die Klimaaktivisten von der Straße. An anderen schafften es die jungen Leute, sich festzukleben. Nachmittags zog Innensenatorin Iris Spranger eine vorläufige Bilanz: "Bisher wurden rund 200 Personen an 35 Orten festgenommen."

Es kam zu teils stundenlangen Staus und Behinderungen, auch im Busverkehr, wie es von der Verkehrsinformationszentrale (VIZ) hieß. Auf der Stadtautobahn A100 wurde der Verkehr zeitweise lahmgelegt. Autos standen bis zu zwei Stunden im Stau. Durch die Straßenblockaden standen nach Angaben von Innensenatorin Spranger 17 Rettungswagen im Stau. Die Feuerwehr hatte am Nachmittag von 15 gemeldeten Behinderungen von Einsatzfahrzeugen wegen Demonstrationen im Straßenverkehr gesprochen. "In 7 Fällen waren unsere Einsatzkräfte auf dem Weg zum Notfallort", erklärte die Feuerwehr auf Twitter.

Mann zieht Klima-Aktivistinnen an Zöpfen von der Fahrbahn

An mehreren Orten verloren Autofahrer die Beherrschung, teils entlud sich die Wut auch an den Klima-Aktivisten. So versuchten einige etwa auf der A100, Aktivisten von der Straße zu zerren. Zahlreiche Videos auf Twitter zeugen davon. In einem Video, das die "Letzte Generation" selbst auf Twitter veröffentlicht hat, ist zu sehen, wie ein Autofahrer offenbar mindestens einen Protestierenden unsanft an die Straßenkante schmeißt. Anschließend packt er zwei Aktivistinnen gleichzeitig von hinten an deren Zöpfen und zerrt sie von der Straße. Einer der Frauen gibt der Mann noch einen Stoß auf den Hinterkopf, bevor er davonläuft.

Die Polizei appellierte erneut an Verkehrsteilnehmer, nicht zur Selbstjustiz zu greifen, weil sie sich selbst strafbar machen würden. "Wir kommen und wir lösen die Situation", betonte die Sprecherin.

Der Berliner Stressforscher Mazda Aldi erklärte in der "Berliner Zeitung", das Versperren des Weges löse bei Menschen enormen Stress aus. Der Ur-Instinkt der Verteidigung des Territoriums werde geweckt. So erkläre sich, dass einige Menschen völlig aus der Haut fahren. "Das sind Emotionen, die natürlich auch durch die Aktivisten eingeplant sind", erklärte Mazda Aldi.

Laut Berliner Staatsanwaltschaft hat die Polizei bislang acht Vorfälle geprüft, bei denen Autofahrer Klimademonstranten angegriffen haben sollen. Bei der Staatsanwaltschaft seien davon bisher drei gelandet, zwei seien wegen unbekannter Täter eingestellt worden.

Gewaltvorwürfe: Strafanzeige gegen Polizisten eingeleitet

Inwiefern das Verhalten von Polizisten angemessen war bei einer Aktion von Klimademonstranten ist ebenfalls Gegenstand von Ermittlungen. Aufgrund eines im Internet kursierenden Videos werde der Verdacht der Körperverletzung im Amt geprüft, sagte die Polizeisprecherin. Eine entsprechende Strafanzeige sei von Amts wegen eingeleitet worden gegen die betroffenen Einsatzkräfte.

Der Videomitschnitt wurde bei Twitter verbreitet. Die Letzte Generation teilte es ebenfalls, zunächst ohne eigenen Kommentar. Im Video ist zu sehen, wie ein Polizist einen Demonstrant an Hals und Kinn nach oben zieht. Nach einem Schnitt ist zu sehen, wie zwei Polizisten versuchen, den Mann von der Straße zu bringen. Sie wenden dabei Griffe an, in deren Folge der Aktivist laut aufschreit.

Die Letzte Generation kritisierte in einer Zwischenbilanz des Tages: Neben der "sehr professionellen Polizeiarbeit heute" sei es auch wieder "zu absichtlicher Zufügung von Schmerzen" gekommen.

Die Gruppe ist seit vergangenen Mittwoch wieder verstärkt in Berlin aktiv. Die Aktionen am Montag beurteilte sie so: "Unsere höchsten Erwartungen wurden deutlich übertroffen! An 27 Verkehrsknotenpunkten in Berlin kam es heute zu Protesten, drei Mal so viele wie noch im letzten Herbst."