Schlecht gealtert

Sexismus, Rassismus und Gewalt: Warum das Kult-Hörspiel TKKG in der Kritik steht

Johannes Lenz

Nordbayern-Redaktion

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19.10.2023, 09:13 Uhr
Ob das Kind auf diesem Symbolbild auch schon einmal den Abenteuern von TKKG gelauscht hat? Unwahrscheinlich ist es angesichts des großen Erfolges der Serie nicht.

© IMAGO / Westend 61 Ob das Kind auf diesem Symbolbild auch schon einmal den Abenteuern von TKKG gelauscht hat? Unwahrscheinlich ist es angesichts des großen Erfolges der Serie nicht.

Tim, Karl, Klößchen und Gaby haben seit den 1980er Jahren in unzähligen Kinderzimmern im deutschsprachigen Raum ermittelt. Seit fast 40 Jahren lösen die vier Jungdetektive Fall um Fall, bringen Gauner und Verbrecher hinter schwedische Gardinen und kämpfen für Recht und Ordnung. Doch in der jüngeren Vergangenheit sind die Spürnasen von TKKG selbst ins Visier geraten - ihnen werden sexistische Äußerungen und rassistische Vorurteile unterstellt. Die einst unschuldige Kinderserie wirkt aus heutiger Sicht schlicht reaktionär.

Das hat auch das Label Europa erkannt, unter dem die Hörspiele bis heute veröffentlicht werden. Drei der frühen Folgen wurden aus dem Retro-Archiv verbannt, und vor zahlreiche alte Folgen hat man einen Disclaimer - eine Art Warnhinweis - geschnitten. Auf der Homepage des Labels heißt es dazu: "Wir haben einige Hörspiele, die bereits vor vielen Jahren aufgenommen wurden. Sie sind ein Produkt ihrer Zeit. Daher können sie teilweise diskriminierende Darstellungen enthalten, die damals in der Gesellschaft zu wenig in Frage gestellt wurden." Dennoch habe sich das Label dazu entschieden, kritische Passagen nicht zu entfernen, sondern die Folgen unverändert zu lassen - auch, um "die kulturellen Versäumnisse der Vergangenheit nicht zu verbergen."

Kulturelle Versäumnisse der Vergangenheit - in einer Kinderserie? Im ersten Moment mag man das vielleicht nicht recht glauben, vor allem wenn die Mitglieder der TKKG-Bande als Helden der eigenen Kindheit in Erinnerung geblieben sind. Doch hört man den Hobby-Detektiven heute bei der "Arbeit" zu, fällt schnell auf: Ihre Abenteuer strotzen geradezu vor Sexismus, Rassismus und Gewaltorgien.

"Mädchen gehören nachts ins Bett" - fragwürdiges Frauenbild

Zum einen ist das Frauenbild der Hörspielreihe aus heutiger Sicht mehr als fragwürdig. Gaby beispielsweise ist nur auf den ersten Blick ein gleichwertiges Mitglied der Bande - ihre primäre Aufgabe ist es hübsch und beschützenswert zu sein. Wird eine Aktion "gefährlich", wird diese schnell zur "Männersache" (Folge: X7 antwortet nicht). Das einzige Mädchen der Gruppe wird dann kurzerhand von den Ermittlungen ausgeschlossen oder sogar ins Bett geschickt (Auf der Spur der Vogeljäger).

Was für Gaby im Speziellen gilt, gilt für Mädchen und Frauen bei TKKG auch im Allgemeinen: Ihnen wird wenig bis nichts zugetraut. Nach einem Judo-Kampf mit einer weiblichen Gegnerin bemerkt Tim, dass diese "für eine Frau auch nicht schlecht" sei (Die Stunde der schwarzen Maske). In einer anderen Folge sinnieren die Tim, Karl und Klößchen darüber, "ob die Mädchen wohl ein Zelt richtig aufstellen können" (In den Klauen des Tigers).

Wird eine junge Frau nachts auf einer unbeleuchteten Straße überfallen, ist sie - zumindest laut den männlichen TKKG-Mitgliedern - selbst Schuld: "Du warst sehr leichtsinnig, davon spricht dich keiner frei" (Ufos in Bad Finkenstein). Eine Praxis, die als victim blaming oder auch Täter-Opfer-Umkehr bekannt ist: Opfern von Gewaltverbrechen wird mindestens eine Mitschuld attestiert, beispielsweise durch ihr Verhalten oder ihre Kleidung.

Werden Frauen nicht auf ihre angeblichen Unzulänglichkeiten oder ihre Kochkünste reduziert ("Worauf es bei einem Mädchen ankommt, weiß ich jetzt: Sie muss Torte backen können!" - Todesfracht im Jaguar), können sie sich sicher sein, zur Zielscheibe sexistischer Beleidigungen zu werden - etwa als "blondes Stiefelweib" (Banditen im Palasthotel) oder schlicht als "Schlampe" (Nachts, wenn der Feuerteufel kommt).

"Racial profiling" und Vorurteile: Verbrecherjagd (zu) leicht gemacht?

Die gängigste Ermittlungsmethode der TKKG-Bande bezeichnet man heutzutage als "racial profiling": Potenzielle Straftäter werden aufgrund äußerlicher Merkmale wie der Hautfarbe ins Visier genommen. In der Folge Trickdieb auf Burg Drachenstein beispielsweise misstrauen die vier Detektive dem Sohn eines Tunesiers und einer Deutschen: Von der Mutter habe er "die hellen Flecken in der Haut", der Junge sehe aus "wie ein blutarmer Sohn der Wüste." Auf diese Beschreibung folgt sofort der Hinweis: "Haltet eure Geldbeutel fest, wenn er in eure Nähe kommt."

An anderen Stellen werden Ausländer wie Griechen oder Chinesen als "verschlagen" aussehend beschrieben (Die weiße Schmuggler-Jacht, Todesgruß vom Gelben Drachen), die auffälligsten Merkmale eines Arabers in der Folge Unternehmen Grüne Hölle sind "der tiefbraune Teint und die Hakennase."

Besonders jedoch haben es TKKG auf Italiener abgesehen: dass es in der Folge Todesfracht im Jaguar der italienischen Polizei nicht gelungen ist, den Fall zu lösen, verwundert Klößchen beispielsweise nicht: "Alles Mafia da unten. Mafia in Uniform, Mafia in Zivil." An anderer Stelle reicht es aus, Besitzer einer Trattoria zu sein, um von der Bande als Mitglied der Mafia verdächtigt zu werden (Der blinde Hellseher). Einstecken können TKKG dafür weniger gut - als ein Italiener in Hinterhalt im Eulenforst die Frage stellt, was Deutschland nur für ein Land sei, kontert die Gruppe ironischerweise: "Bitte, keine nationalen Kränkungen."

Auch Sinti und Roma haben es bei TKKG nicht leicht: Sie werden in der Serie durchweg stigmatisiert und als kriminell dargestellt. Als in der Folge Das Geheimnis der chinesischen Vase ein Kind gekidnappt wird, drohen die Entführer damit, es an "Zigeuner" zu verkaufen. In Der Schatz in der Drachenhöhle antwortet ein Mann, angesprochen auf eine Gruppe Sinti und Roma: "Das Gesindel wurde gestern Abend von der Polizei verhaftet. Einbrecher sind das, Räuber und Diebe. Gebt euch bloß nicht mit denen ab!"

Ansonsten findet sich eine Menge Alltagsrassismus in den Folgen: Beleidigungen wie "Spinatneger" oder "Kümmeltürken" finden sich ebenso wie geschmacklose Vergleiche. In einer Folge bemerkt Tim: "Morgen können Sie mich anschwärzen, dass ich wie der Mohr von Uganda aussehe" (Schwarze Pest aus Indien).

Erst schlagen, dann reden: Mit Gewalt zum Erfolg

Nicht nur verbal teilen die TKKG-Kids aus, auch körperliche Gewalt ist oft das Mittel der Wahl bei ihren Ermittlungen. Insbesondere Tim (der bis zu einem Markenrechtsstreit des Labels Europa übrigens "Tarzan" genannt wurde) fällt in zahlreichen Folgen durch regelrechte Gewaltexzesse auf. Regelmäßig macht er von seinen Kampfkünsten - neben Judo beherrscht er Karate, Kung-Fu und Thai-Boxen - Gebrauch. Nicht immer geht es dabei um Notwehr oder Selbstverteidigung.

Manchmal bleibt es lediglich bei der Androhung von Schlägen ("Das würde ich an deiner Stelle nicht so laut sagen, sonst fährst du heute im Notarztwagen nach Hause" - Das Paket mit dem Totenkopf) oder anderer Formen von Gewalt ("Wer sich rührt, dem zerschieße ich die Kniescheibe" - Ufos in Bad Finkenstein). Oft genug schlägt Tim aber direkt zu.

Etwa in Hexenjad in Lerchenbach, wo er munter Ohrfeigen und blaue Augen verteilt, oder in der Folge In den Klauen des Tigers, als er jemanden mit einem Gewehrkolben k.o. schlägt - begleitet von einem lapidaren "der schläft erst mal für 'ne Weile". An anderer Stelle sprüht Tim mit Tränengas um sich und droht seinen geschundenen Kontrahenten im Anschluss noch "eine Tracht Prügel" an (Kampf der Spione).

Und wie reagieren seine Kollegen? Oft mit Bewunderung: Als Tim jemanden mit einem Ellenbogenschlag gegen das Kinn ausknockt, erntet er ein ehrfurchtsvolles "Mann, das war ein Schlag!" (Gefährliche Diamanten). Auch ansonsten scheinen die restlichen Mitglieder der Bande Gewalt gegenüber nicht abgeneigt. Nicht selten gehen die vier Detektive bewaffnet auf Verbrecherjagd. In der Folge Um Mitternacht am schwarzen Fluß entpuppen sie sich als regelrechte Waffennarren: Ein Bandenmitglied zeigt der Gruppe stolz die "hochwertigen Faustfeuerwaffen", die er organisiert hat, was mit einem "Wow" und Gelächter quittiert wird. In Unternehmen Grüne Hölle gehören sogar Maschinenpistolen zum TKKG-Arsenal.

In der Folge Wer raubte das Millionenpferd wird auch dem letzten Hörer klar, dass Tim auf Verbrecherjagd sämtliche Skrupel über Bord zu werfen scheint: Ein verdächtiger Araber wird kurzerhand in der Toilette gewaterboarded - dass Tim ihm dabei die Rippen bricht, verkommt angesichts der grausamen Foltermethode fast schon zur Nebensache. Als ein Komplize des Geschundenen hinzueilt, wird dieser selbstverständlich k.o. geschlagen - begleitet von den Worten "Schlaf schön, du Sohn der Wüste."

"Andere Zeit" oder reaktionäres Weltbild?

Aber woher kommen die vielen gewaltverherrlichenden, rassistischen und sexistischen Inhalte der Kinderserie? Einen Ansatz dafür liefert ein Interview des Autors Rolf Kalmuczak, der unter dem Pseudonym "Stefan Wolf" die Abenteuer der TKKG-Bande entwarf. Im Gespräch mit dem Journalisten David Sarkar aus dem Jahr 2005 erzählt Kalmuczak: "Ich gebe mir schon große Mühe, meine Philosophie rüberzubringen. Und diese Philosophie enthält auch die Erhaltung tradierter Werte, ohne die wir in dieser Gesellschaft nicht auskommen."

Ob der Ansicht des Autors nach auch das reaktionäre Frauenbild der Serie zu diesen Werten gehört? Auf die klischeehafte Darstellung des Charakters Gaby angesprochen, antwortet Kalmuczak: "Wie viele Möglichkeiten hat man denn, ein Mädchen zu schildern? Sie ist entweder blond und blauäugig, dunkelhaarig mit braunen Augen, oder sie ist eine Rothaarige mit grünen Katzenaugen."

Eher entschuldigend äußerte sich Klößchen-Sprecher Manou Lubowski in einem Interview mit der dpa: "Die damaligen Dialoge waren naiver als jetzt. Was die politisch unkorrekten Ausdrücke angeht: (...) Er war sehr normal. Es war eine andere Zeit." Dennoch schränkt Lubowski ein, dass es richtig sei, Begriffe wie "Zigeunersoße" heute zu ändern. Für die Debatte um die alten TKKG-Folgen zeigt der Sprecher Verständnis: "Wenn ich in alten Folgen solche Ausdrücke hören würde, würde ich mich wahrscheinlich auch ein bisschen fremdschämen, weil es so fern von der jetzigen Zeit ist."