Kommentar

Sind kinderlose Frauen egoistisch? Nein, sagen unsere Autorinnen - sie sind verantwortungsbewusst

Erika Balzer

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11.3.2023, 16:37 Uhr
Das größte Glück der Frau - ein Babybauch? Nicht unbedingt, finden drei nordbayern.de-Autorinnen.

© Fredrik von Erichsen, NN Das größte Glück der Frau - ein Babybauch? Nicht unbedingt, finden drei nordbayern.de-Autorinnen.

Emanzipation bedeutet nicht nur, genauso viel zu verdienen wie ein Mann, sich genauso zu kleiden oder genauso viel zu arbeiten. Die Gleichstellung von Frauen bedeutet auch, dass Frauen entscheiden können, ob sie sich fortpflanzen wollen - oder eben nicht. Gesetze, Praktiken und gesellschaftliche Normen setzen Frauen allerdings massiv unter Druck, berichtet Autorin Nadine Pungs in einem Interview mit dem Stern.

Pungs schildert: Vier von fünf Frauen haben in Deutschland ein Kind. "Die Nichtmutter ist also eher die Ausnahme. Eine Art Wackelkontakt in der gesellschaftlichen Ordnung." Die Autorin glaubt: "Zwischen der Entscheidungsfreiheit einer jeden Frau und der Erwartungshaltung der Gesellschaft an unser Geschlecht liegt noch immer eine riesige Kluft."

Reproduktive Selbstbestimmung: Verhütung und Abtreibung

Vor der gesellschaftlichen Stigmatisierung kinderloser Frauen steht noch eine andere Hürde: Frauen haben es durch Verhütungs- und Abtreibungsmechanismen in Deutschland schwerer als Männer, kinderlos zu bleiben. Die reproduktive Selbstbestimmung findet ihre Grenzen zum Beispiel in der deutschen Gesetzgebung. 1993 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass es in Deutschland eine grundsätzliche Pflicht zum Austragen eines Embryos gibt, erklärt Pungs im Interview. Abtreibungen sind in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen zwar straffrei, grundsätzlich aber illegal.

Und auch bei der Verhütung sind Männer und Frauen nicht gleichgestellt. Da Männer neben dem Kondom keine massentaugliche Option zur Verfügung steht, liegt die Verantwortung dafür meist bei den Frauen. Studien zu hormonellen Verhütungsmitteln für den Mann zeigten zwar hohe Wirksamkeit, allerdings kamen die Präparate wegen ihrer Nebenwirkungen wie Akne, Gewichtszunahme oder Depressionen nicht auf den Markt. Nebenwirkungen, die Frauen bei hormoneller Verhütung in Kauf nehmen müssen.

Auch beim Fortpflanzungs-Stopp durchs Skalpell haben es Männer leichter. Während für sie die Vasektomie kein großes Ding ist, berichten besonders junge Frauen davon, dass die verantwortlichen Ärzte ihnen diese Entscheidung nicht zutrauen, berichtet der Verein selbstbewusst steril und schreibt: "Nur wenige Gynäkolog*innen führen diese Operation durch oder operieren Personen erst, wenn diese ein gewisses Alter (teilweise 35 oder älter) erreicht und Kinder geboren haben. Manche setzen sogar ein psychologisches Gutachten voraus."

Erika findet: Frauen sollten sich für Kinderlosigkeit nicht rechtfertigen müssen

Es ist eine völlig legitime Entscheidung, keine Kinder haben zu wollen. Man muss das Kinderkriegen nicht romantisieren. Das heißt nämlich Freiheit abgeben, für die Frauen meist ein Einschnitt in die Karriere, Ausnahmesituation für Körper und Psyche durch die Schwangerschaft, vollumfängliche Verantwortung für eine weitere Person, eine zusätzliche finanzielle Belastung. Allein wenn ich nur diese wenigen Punkte aufzähle, kann ich voll und ganz verstehen, wieso sich Menschen gegen Kinder entscheiden. Und sie sind dafür niemandem Rechenschaft schuldig.

Ich hätte zwar gerne irgendwann Kinder, aber habe das Gefühl, vielen fehlt eine gewisse Sensibilität für das Thema. Der Druck der Gesellschaft spiegelt sich einer eigentlich klitzekleinen Frage wider: Und, wann ist es bei dir soweit?

Es sei ja nur Neugier. Irgendwann müsse man als Frau ja anfangen. Die biologische Uhr ticke. Sätze, die gerne noch nachgeschoben werden. Dabei verstehen viele nette Bekannte oft nicht, welche Dimension diese Frage für den Menschen haben kann, der sie gestellt bekommt. Die Antwort kann ganz einfach sein: Wir lassen uns noch etwas Zeit, erstmal Karriere, noch ein bisschen Reisen.

Aber was, wenn die Antwort nicht so einfach ist? Wie oft hört man von Paaren, die es schon ewig versuchen, es aber einfach nicht klappen will. Oder von Frauen, die schwanger waren, aber der Embryo nicht überlebt hat. Jede sechste schwangere Frau erleidet schließlich eine Fehlgeburt und verliert das Baby vor der 24. Schwangerschaftswoche oder solange es weniger als 500 Gramm wiegt. Das gehört nämlich auch zur Dimension der Frage, wann es denn soweit sei. Und was ist mit den Menschen, die sich ein Kind wünschen, es für sie aber aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist?

Kinderkriegen ist für diejenigen, die das wollen, ein kleines Wunder. Es passt nicht immer perfekt in den Lebensplan. Und das muss es auch nicht. Kinder müssen überhaupt nicht in einem Lebensplan auftauchen. Wenn sich Frauen endlich für die Kinderlosigkeit entscheiden können, ohne verurteilt zu werden, ist das auch ein kleines Wunder. Egal, wie sich die Frau entscheidet, niemand hat das Recht, darüber zu urteilen.

Isabel findet: Bewusst nicht Mutter sein ist nicht egoistisch, sondern verantwortungsbewusst

Mädchen lernen früh, dass Babys etwas Süßes und Erstrebenswertes sind. Sie spielen mit Puppenbabys und Kinderwagen und erfahren bei "Mutter, Vater, Kind", wo später einmal ihr Platz ist. Kaum verwunderlich, dass viele Frauen die Familienplanung nicht groß hinterfragen. Heiraten, Haus bauen, Kind kriegen - glücklich sein. Das macht man halt so.

Doch was, wenn der Faktor Kind eben nicht glücklich macht? Laut einer Studie aus dem vergangenen Jahr bereuen 20 Prozent der Befragten (ja, auch Männer), ihre Elternschaft. Doch während Väter eher damit durchkommen, weniger Begeisterung für den Nachwuchs zu zeigen, ist die Reue über die Mutterschaft ein Tabuthema. Die Problematik erfuhr zum ersten Mal 2015 Konjunktur, als die israelische Soziologin Orna Donath zum Thema "Regretting Motherhood" forschte. Pungs definiert den Begriff so: "Sie lieben ihre Kinder zwar, aber sie hassen das Mutterdasein." Diese These sorgte weltweit erst einmal für Unverständnis und Entsetzen, wandelte sich bald aber - zumindest in bestimmten Blasen - zu Aufmerksamkeit und Solidarität: Immer mehr Mütter sprechen über ihre negativen Gefühle. 2023 sind die sozialen Medien voll von Posts, versehen mit dem Hashtag #regrettingmotherhood.

Mütter schreiben darüber, dass sie nicht damit zurechtkommen, sich selbst aufzugeben. Dass sie gerne wieder lange schlafen, abends weggehen oder viel arbeiten wollen. Und dass es für sie nicht der absolute Lebenstraum ist, Erbrochenes wegzuwischen und Gekreische zu ertragen. Wenn Frau nun schon vor der Schwangerschaft weiß, dass sie nicht bereit ist, ihr Leben für den Nachwuchs radikal zu ändern, ist es dann egoistisch, kein Kind zu kriegen? Pungs erklärt im Stern-Interview: "Ich bin ein besserer Mensch ohne Kinder. Und das ist auch in Ordnung, finde ich. Nichtmuttersein ist eben nicht egoistisch, sondern verantwortungsbewusst."

Eva findet: Die Frage, wann eine Frau glücklich ist, kann nur sie selbst beantworten

Je weniger Druck die Thematik "Kinder kriegen" vermittelt und je freier und bewusster die Entscheidung für oder gegen Kinder am Ende ist, desto erfüllter und glücklicher werden Frauen in ihrem Leben damit. Oftmals können sich Einstellungen auch ändern. Wer sich mit 25 noch keine Kinder vorstellen kann, verspürt den Wunsch vielleicht mit 35. Am Ende profitiert davon die gesamte Gesellschaft: Denn glückliche Mütter, die voll und ganz hinter ihrer Entscheidung stehen, sind die besten Mamas.

Und ja, es gibt Frauen, deren größtes Glück ein eigenes Kind oder eine große Familie ist. Viele Frauen sind dafür auch bereit, andere Dinge hinten anzustellen, um dieses Glück zu erreichen. Zum Beispiel eigene Bedürfnisse, die Karriere oder Spontanität und Flexibilität im Alltag. Wenn Frauen sich bewusst dafür entscheiden, die traditionelle Familienrolle einzunehmen, sollte dem auch im aktuellen Zeitgeist nichts entgegenstehen. Denn Glück und Zufriedenheit sind ganz individuelle Werte. Jede Frau muss diese für sich selbst definieren – und zwar komplett unabhängig von gesellschaftlichen Erwartungen oder der Meinung von Freunden, Bekannten, Familienangehörigen oder dem Partner.

Für andere Frauen ist das Kinderkriegen nicht der größte Herzenswunsch. Sie haben andere Ziele im Leben, für die sie mehr brennen und die ihnen persönlich mehr Sinn geben. Und genau diese bewusste Entscheidung sollten andere Menschen respektieren – Männer wie Frauen, alt und jung.