Weniger Mitglieder, weniger Geld: Kirche in der Krise
06.08.2020, 05:55 UhrDie Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat jetzt elf Leitsätze für ihre Zukunftsperspektive verfasst. Überschrieben ist das Papier mit dem Titel "Kirche auf gutem Grund". Mehrfach wird dort darauf hingewiesen, dass Christen in Zukunft in einer pluralen Gesellschaft in der Minderheit sein werden. Man kann die Leitsätze deshalb getrost als die evangelischen elf Gebote in Zeiten des Mangels lesen. Während der EKD-Synode im November sollen sie beraten werden.
Mehr Flexibilität in Sachen Kirchensteuer
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm – er ist zudem bayerischer Landesbischof - hat kürzlich in der Zeitung Die Welt ein Detail aus dem Zukunftspapier bekanntgegeben. Da geht es um das bestehende System der Kirchensteuer, die den beiden Kirchen zusammen jährlich rund zwölf Milliarden Euro beschert. Die Abgabe, die das Finanzamt einzieht, beträgt in der Regel neun Prozent der Lohn- oder Einkommensteuer. In Bayern und Baden-Württemberg sind es acht Prozent. Der Staat behält für seine Dienstleistung drei Prozent dieses Steueraufkommens ein.
In Sachen Kirchensteuer überlege man, so Bedford-Strohm, flexibler zu werden. So könne man zum Beispiel bei Berufseinsteigern mit der Kirchensteuer noch etwas warten oder sie reduzieren. Der Landesbischof sieht darin einen möglichen Beitrag, die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen in möglichst großer Zahl in der Kirche zu halten. Viele junge Menschen seien mit Ausbildung oder Studium beschäftigt und verlören womöglich den Kontakt zur Kirche. "Und wenn sie dann ihr erstes Gehalt bekommen, fragen sie sich, warum sie Kirchensteuer zahlen sollen, und treten aus."
Ähnliche Neuerungen könne man sich für andere Menschen "in bestimmten Lebenssituationen" vorstellen, "die das Kirchenrecht bisher nicht vorsieht, die menschlich aber nachvollziehbar sind". Welche Lebenssituation das sein könnten, ist ebenso offen, wie die Summe, auf die die Kirche dann verzichten würde. Konkrete Finanzberechnungen spielten in dieser Phase des Diskussionsprozesses auch noch keine Rolle, betonte ein Sprecher der EKD auf Anfrage. "Es handelt sich um reine Ideen."
Es hat vielleicht seinen Grund, dass in einer breiteren Öffentlichkeit bisher allein die Frage der Kirchensteuer zur Sprache kommt. Sie ist wohl der häufigste äußere Anlass, der Kirche am Ende eines Entfremdungsprozesses den Rücken zu kehren.
Schnuppern für Interessierte
Heinrich Bedford-Strohm hat damit einen Aspekt der Leitlinie 7 des EKD-Zukunftspapiers herausgegriffen. Die geht aber weiter in die Tiefe. Unter der Voraussetzung einer flexiblen und fließenden Beteiligung von Menschen an kirchlicher Arbeit gelte es, Räume zu eröffnen, in denen auch ohne formelle Mitgliedschaft Beheimatung in der Kirche erlebt werden kann, heißt es da, also eine Art Schnupperangebot für Kircheninteressierte in der Hoffnung auf nachhaltige Bindung, spätere Kirchensteuerzahlung nicht völlig ausgeschlossen. Auch eine Möglichkeit der Mitbestimmung bei der Verwendung der Kircheneinnahmen wird angedeutet. Aufmerksamkeit verdient in dem Papier "für eine aufgeschlossene Kirche", so lautet der Zusatz des Titels, aber nicht nur das Thema Geld.
Im Leitsatz 1 erlegen sich die Protestanten eine Art beschränktes Schweigegelübde auf. Die Kirche werde "sparsamer und konkreter zu gesellschaftlichen Prozessen öffentlich Stellung nehmen", steht da. Die finanziellen und personellen Ressourcen der Kirche für die Arbeit in Gremien, Instituten oder Arbeitszweigen würden geringer, "so dass sie ihr öffentliches Reden stärker und gezielter konzentrieren wird auf das, was sie vom Evangelium her unbedingt zu sagen hat". Von Rückbezug wird da gesprochen, Rückzug klingt aber still mit.
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Einiges Gewicht hat auch Leitsatz 4, in dem es um die Ökumene geht, also im Kern um die Zusammenarbeit mit den katholischen Schwestern und Brüdern. "Gemeinsames und stellvertretendes Handeln" soll in der Mittelpunkt gestellt werden. Festgehalten wird in aller Deutlichkeit: "Konfessionelle Streitigkeiten, Abgrenzungen, Profilierungsversuche auf Kosten des anderen schaden der Glaubwürdigkeit des Evangeliums. Konfessionelle Alleingänge sind aber auf vielen Gebieten nicht mehr finanzierbar."
Signale der Annäherung
Man würde schon viel erreichen, wenn in der Seelsorge für Polizisten, Soldaten oder Gefangene nicht jeweils ein katholischer Priester und ein evangelischer Pfarrer tätig wäre. Solche "Doppelungen" könnten abgebaut werden. Die Rede ist sogar von neuen Formen ökumenischer Gemeindearbeit "bis hin zu mehrkonfessionellen Gemeinden". Protestanten und Katholiken ein Herz und eine Seele in einem Gottesdienst oder in einer Messe?
Jedenfalls müsse, so der Text, die Überwindung theologische Verurteilungen auf dem Weg zu einer "gegenseitigen eucharistischen Gastfreundschaft" - gemeint ist damit das Abendmahl - mit Respekt vor der Gewissensentscheidung eines jeden Menschen "sichtbar Gestalt gewinnen in gemeinsamem Handeln".
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Unabhängig von der Frage, ob solche weitreichenden Pläne im Kirchenvolk beider Konfessionen ankommen oder nicht, braucht es für deren Umsetzung einen Partner. Ob die katholische Weltkirche diese Rolle übernehmen möchte, ist mehr als ungewiss. Und ob deren Repräsentanten die elf Leitsätze schon gelesen haben, ist nicht bekannt.
Reaktionen in Deutschland gibt es von katholischer Seite lediglich zu der Frage möglicher Steuerrabatte für bestimmte Gruppen. Die lehnt sie ab. Es zahlten ohnehin nur die Kirchenmitglieder, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dazu in der Lage seien.
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