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Beleidigungen und Drohungen

Wenn aus Leidenschaft Hass wird: Was ist Toxic Fandom?

Christian Urban

Online-Redakteur

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13.06.2025, 05:00 Uhr
Emily Armstrong, die neue Sängerin von Linkin Park, wird von vielen Fans der Band nach wie vor abgelehnt und angefeindet.

© Christian Charisius/dpa Emily Armstrong, die neue Sängerin von Linkin Park, wird von vielen Fans der Band nach wie vor abgelehnt und angefeindet.

Am 20. Juli 2017 wurde die musikalische Welt für einen Moment ganz still: Der charismatische Sänger Chester Bennington, das Gesicht und die Hauptstimme der US-Band Linkin Park, hatte sich umgebracht. Das Ende der Band schien besiegelt, schließlich lebte die Musik von Linkin Park nicht zuletzt von Benningtons Fähigkeit, seinen ganzen Weltschmerz in seine Stimme zu legen - meistens sehr laut, manchmal aber auch sehr leise.

Band-Mitgründer und Co-Sänger Mike Shinoda verkündete zwar nach Benningtons tragischem Tod, dass die Band weiter bestehen soll, doch in der Fan-Szene herrschte die Befürchtung, dass Linkin Park ein ähnliches Schicksal drohen würde wie den britischen Rock-Giganten Queen: Bands, die ungewöhnlich talentierte und charismatische Stimmen verlieren, vegetieren anschließend häufig nur noch vor sich hin oder lösen sich auf.

Umso größer war die Überraschung, als Linkin Park, die seit dem Tod von Chester Bennington keine neue Musik mit Gesang mehr veröffentlicht hatten, 2024 verkündeten, dass nun doch jemand Benningtons Platz einnehmen sollte: Emily Armstrong, Frontfrau der Alternative-Rockband Dead Sara, wurde als neue Sängerin der Band vorgestellt. Armstrong brachte nicht nur eine kraftvolle Stimme und eine Menge Bühnenerfahrung mit, sondern ihre Stimme wies auch gewisse Ähnlichkeiten mit der von Chester Bennington auf – eigentlich ideale Voraussetzungen.

Doch ein Teil der Fanbase reagierte mit Ablehnung. In sozialen Medien wurde Armstrong als „fehlbesetzt“, „respektlos“ oder gar als „Verrat“ an Benningtons Erbe bezeichnet. Dabei war sie von den verbliebenen Bandmitgliedern persönlich ausgewählt worden, wobei die Band selbst mehrfach betonte, dass es nicht darum gehe, ihren ehemaligen Sänger zu ersetzen, sondern das musikalische Erbe weiterzuentwickeln.

Gelegt hat sich die Ablehnung bis heute nicht. Wer auf Facebook die Kommentare unter der von vielen Medien geposteten Ankündigung von Linkin Park als Headliner bei Rock im Park und Rock am Ring 2026 liest, findet auch jetzt, über ein Jahr nach Armstrongs Einstieg in die Band, unzählige negative und teils hasserfüllte Kommentare. Auch auf unserer Facebook-Seite erschienen einige davon: „Amateur-Sängerin“ war noch eine der eher zurückhaltenden Formulierungen.

Sexismus und Drohungen

Hierbei handelt es sich um ein typisches Muster: Einige Fans glauben, ein Anrecht auf die kreative Richtung „ihrer“ Band zu haben. Künstlerische Entscheidungen werden nicht als Ausdruck von Weiterentwicklung gesehen, sondern als Angriff auf die eigene Nostalgie. „Toxic Fandom“, also „toxisches Fan-sein“ wird dieses Phänomen genannt.

Besonders auffällig ist hier, dass sich der Hass nicht gegen die Band als Ganzes richtete, sondern fast ausschließlich gegen Emily Armstrong – eine Frau, die in eine bis dahin männlich dominierte Rolle tritt. Die Angriffe reichten von sexistischen Kommentaren über ihre Stimme und ihr Aussehen bis hin zu persönlichen Beleidigungen und Drohungen. Armstrong selbst äußerte sich in Interviews zurückhaltend, aber deutlich: „Ich wusste, dass es nicht einfach wird – aber ich mache Musik, weil ich sie liebe, nicht um Erwartungen zu erfüllen.“

Der grenzenlose Hass der Star-Wars-Fans

Dass sich Toxic Fandom gegen eine Frau richtet, ist kein Zufall: Ähnliches erlebte auch die Schauspielerin Kelly Marie Tran, die in Star Wars: Episode VIII die Figur Rose Tico spielte.

Die neuen Star-Wars-Episoden VII bis IX haben es bei den Traditionalisten ohnehin nicht leicht, aber während Regisseur J. J. Abrams mit Episode VII noch auf Nummer sicher ging und im Prinzip den ersten Star-Wars-Film, Episode IV, neu auflegte (nur in schöneren Bildern und ein paar Nummern größer), ist der von Regisseur Rian Johnson gedrehte Episode VIII in den Augen vieler Fans ein Sakrileg.

Johnson brach bewusst mit den Erwartungen: Luke Skywalker war nicht der strahlende Held, sondern ein gebrochener Mann; viele der tragenden Rollen wurden von Frauen verkörpert - und neue Figuren wie Rose, gespielt von Tran, rückten in den Fokus.

Was folgte, war eine beispiellose Welle des Hasses. Kelly Marie Tran wurde online beleidigt, rassistisch angegriffen und schließlich sogar aus sozialen Medien gedrängt. Sie wurde nicht für ihre schauspielerische Leistung kritisiert, sondern für ihre bloße Existenz im Franchise. Kommentare wie „sie passt nicht ins Star Wars-Universum“ oder „sie zerstört die Saga“ waren noch die harmloseren. Viele Angriffe zielten darüber hinaus direkt auf ihre asiatische Herkunft, ihr Aussehen und ihre Rolle als Frau in einer zentralen Position. In einem Essay für die New York Times schrieb Tran später, sie habe sich „nie weniger wertvoll gefühlt“ als in dieser Zeit.

Auch andere Beteiligte wurden angegriffen: Hauptdarstellerin Daisy Ridley (Rey) verließ Instagram, John Boyega (Finn) wurde rassistisch beleidigt, und Regisseur Rian Johnson erhielt Morddrohungen. Dabei war der Film keineswegs ein Flop: Er spielte über 1,3 Milliarden Dollar ein und wurde von der Kritik nicht zuletzt wegen seines neuen Ansatzes häufig gelobt.

Bei Episode IX übernahm dann übrigens wieder J. J. Abrams die Regie - und Kelly Marie Trans Rose wurde zur völlig bedeutungslosen Nebenrolle.

Rassistischer Shitstorm wegen „Resident Evil“

Einen rassistischen Shitstorm gab es auch, als der Schauspieler Lance Reddick 2022 als Albert Wesker in der Netflix-Serie Resident Evil gecastet wurde. Der Grund? Nicht seine schauspielerische Leistung, sondern seine Hautfarbe. In den Videospielen, in deren Universum die Serie spielte, ist Wesker weiß, Reddick dagegen war schwarz. Für viele Fans war das allein Grund genug, die Serie zu boykottieren oder Reddick persönlich anzugreifen.

Dabei war Reddick, den nicht wenige Menschen aus dem John-Wick-Franchise als Concierge des Hotels Continental kennen dürften, ein erfahrener Schauspieler mit einer beeindruckenden Präsenz, der der Figur eine neue Tiefe verlieh. Seine Darstellung war kühl, kontrolliert und charismatisch – Eigenschaften, die perfekt zu Wesker passen. Doch all das wurde von einem Teil der Community ignoriert. Stattdessen wurde seine Besetzung als „woke Agenda“ diffamiert, als „Zerstörung der Vorlage“ oder gar als „Provokation“.

Dabei ist die Figur Wesker fiktiv und ihre Hautfarbe ist für die Handlung irrelevant. Doch für manche Fans war die bloße Abweichung von der Vorlage „Verrat“.

Review-Bombing - was ist das?

Neben vernichtenden Kommentaren in den sozialen Netzwerken, verwenden toxische Fans noch ein weiteres - besonders perfides - Mittel, um ihre Agenda durchzusetzen: Organisiertes „Review-Bombing“. Plattformen wie IMDb, Rotten Tomatoes, Metacritic oder YouTube ermöglichen es Nutzern, Inhalte zu bewerten. Doch von toxischen Fans wird diese Möglichkeit gezielt missbraucht, um Werke oder Personen abzustrafen.

Beispiele dafür gibt es viele: Noch vor dem offiziellen Kinostart von Captain Marvel (2019) wurde der Film auf Rotten Tomatoes mit Tausenden negativen Bewertungen überflutet – nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der feministischen Haltung von Hauptdarstellerin Brie Larson. Ähnliches geschah bei The Last of Us, She-Hulk, Ms. Marvel oder auch bei Videospielen wie The Last of Us Part II.

Das Ziel solcher Review-Bombing-Kampagnen ist nicht die ehrliche Meinungsäußerung, sondern die gezielte Rufschädigung. Zu diesem Zweck werden häufig Bots oder koordinierte Gruppen in Foren wie Reddit oder Discord eingesetzt, um Bewertungen zu manipulieren. Die Folge: Ein verzerrtes Bild der öffentlichen Meinung, das sowohl Konsumenten als auch Produzenten beeinflusst.

Review-Bombing ist besonders tückisch und damit gefährlich, weil es auf den ersten Blick wie legitime Kritik wirkt. Doch wenn tausende 1-Sterne-Bewertungen innerhalb weniger Stunden auftauchen – oft mit identischen, ähnlichen oder auch komplett inhaltsleeren Kommentaren – wird klar: Hier geht es letztlich nicht darum, einer legitimen Meinung Ausdruck zu verleihen. Es geht schlicht und ergreifend um die Ausübung von Macht.

Überproportionale Aggression

Ein zentrales Muster bei Toxic Fandom ist die überproportionale Aggression gegenüber Frauen, People of Color und queeren Personen. Auch dafür gibt es diverse Erklärungen:

Viele Franchises der modernen Popkultur entstanden in einer Zeit, in der weiße Männer die Hauptrollen spielten – und zwar vor und hinter der Kamera. Wenn sich das ändert, empfinden manche Fans das als „Verlust“ oder „Verrat“ - oder als Teil einer „woken“ Agenda. Darüber hinaus sehen sich Fans oft als „Mitbesitzer“ eines Werks und fühlen sich übergangen, wenn neue Figuren oder Perspektiven eingeführt werden.

Die vermeintliche Anonymität im Netz wirkt außerdem auf viele Menschen vollkommen enthemmend - und nicht zuletzt haben auch die Algorithmen der gängigen Sozialen Netzwerke ihren Anteil: Diese Algorithmen belohnen Empörung, wodurch sich toxische Inhalte schneller verbreiten als sachliche Diskussionen. Kurz gesagt: Wer laut schreit, wird gehört - und fast niemand schreit lauter als toxische Fans.

Anmerkung der Redaktion: Menschen, die an Depressionen oder Suizidgedanken leiden, sind nicht allein. Betroffene erhalten zum Beispiel bei der Telefonseelsorge niederschwellige Hilfe. Die Nummer 0800 111 0 111 ist rund um die Uhr besetzt, die Beratung ist kostenfrei und anonym. Auch der Krisendienst Mittelfranken ist 24 Stunden am Tag unter 0800 655 3000 oder 0911 42 48 55 0 erreichbar. Beratungen können auch Online oder vor Ort erfolgen. In schweren Notfällen verständigen Sie bitte den Rettungsdienst unter 112.

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