Abrechnung mit Schröders Reform-Agenda

3.9.2008, 00:00 Uhr
Abrechnung mit Schröders Reform-Agenda

© Jo Seuß

«Die Einkommensverteilung klafft so weit auseinander wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik«, heißt es zu Beginn des Textes. Die Autoren beziehen sich dabei auf den offiziellen Armuts- und Reichtumsbericht der Regierung. Dem kann man entnehmen, dass die Hälfte der Bevölkerung nahezu nichts besitzt (nur zwei Prozent des Vermögens), andererseits aber die oberen zehn Prozent der Gesellschaft über weit mehr als das halbe Volksvermögen verfügen.

Schere geht auseinander

Dass diese Schere immer weiter auseinander gehe, so kritisieren die linken Sozis, liege an Bund und Ländern. Beide Ebenen der Politik würden «immer weniger ihrer Aufgabe gerecht, durch eine entsprechende Finanz-, Steuer-, Verrmögensbildungs- und Sozialpolitik die Einkommen je nach soziale Belastbarkeit und zum Wohl der Allgemeinheit umzuverteilen«. Kleines Problem für die Verfasser des Papiers: Sie sind allesamt Sozialdemokraten - also Mitglieder jener Partei, die seit zehn Jahren im Bund regiert. Was ein wenig an den Nonsens-Spruch erinnert «Die schlimmsten Kritiker der Elche waren früher selber welche«.

Aber im Ernst: Wie geht man als Co-Autor eines solchen Textes mit dem Problem um, doch selbst irgendwie auch für die kritisierte Politik mitverantwortlich zu sein? Martin Burkert, Bundestagsabgeordneter aus dem Nürnberger Süden und einer von drei mittelfränkischen Unterzeichnern, nimmt sich das durchaus zu Herzen. Er verweist allerdings auf neue Herausforderungen: «Mir begegnen immer häufiger Normalfamilien, bei denen das Geld hinten und vorne nicht reicht. Denen muss man doch helfen.« Die Rezepte der linken Sozialdemokraten sind nicht neu, allenfalls die aktuelle Zusammenstellung hat Neugkeitswert: Flächendeckender Mindestlohn, Rücknahme der Rente mit 67, weit höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern als bisher. Vom Agenda-Programm Gerhard Schröders blieben nur noch Ruinen stehen.

Monatelang war das Positionspapier - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - ein wichtiges Thema bei Gesprächsrunden eher links orientierter Sozis gewesen. Die jetzige Veröffentlichung hat etwas damit zu tun, dass am kommenden Wochenende die Parteispitze am Schwielowsee in Brandenburg über das Programm zur Bundestagswahl 2009 berät. Da soll die Forderungen ein Denkanstoß und eher wohl noch eine dringende Mahnung sein.

Beck: «Wichtiger Beitrag«

Vorsitzender Kurt Beck hatte am Montag, als der Text im Parteivorstand vorgestellt wurde, pflichtschuldig von einem «wichtigen Beitrag« zur aktuellen Diskussion gesprochen. Obwohl er doch wissen musste, dass so ziemlich der komplette Inhalt dem wahrscheinlichen Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier nicht gefallen kann. Konservative SPD’ler in nicht so hohen Ämtern äußerten demnach auch offen ihre Kritik. Thüringens Landeschef Christoph Matschie etwa sagte: «Rot-Grün hat unter Gerhard Schröder gute Politik gemacht. (...) Die Arbeitslosigkeit ist deutlich zurück gegangen. Ich finde, die SPD sollte zu diesen Erfolgen stehen.«

Rainer Wend, wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, griff die Autoren und gleichzeitig auch Kurt Beck an. «Ich verstehe nicht«, wetterte er, «dass der Parteivorsitzende das als wichtigen Beitrag bezeichnen kann. Es ist das genaue Gegenteil. Auf diese Weise führt uns der Parteivorsitzende direkt in die Opposition.« Einen schlimmeren Vorwurf als Wend kann man gegenüber dem eigenen Chef kaum erheben.

Drei Mittelfranken dabei

Unter den 60 Unterzeichnern sind vor allem zwei Gruppen stark vertreten - Gewerkschafter wie Klaus Wiesehügel, Chef der IG Bau, und politische Ruheständler. So setzten der Ex-Abgeordnete Horst Schmidbauer (Nürnberg) und die im eigenen Wahlkreis nie sonderlich erfolgreiche Kanzler-Gegnerin Sigrid Skarpelis-Sperk ebenso ihre Unterschrift unter das Dokument wie der frühere Münchner OB Georg Kronawitter. Aus Mittelfranken unterzeichnete auch der Vize der Landtagsfraktion, Thomas Beyer.

Apropos Bayern. «Über den Zeitpunkt kann man streiten«, gibt Martin Burkert zu. Denn wenige Wochen vor der Landtagswahl wird die Diskussion über den Text mit dem Titel «Reichtum nutzen, Armut bekämpfen, Mittelschicht stärken« zumindest eines tun - in der SPD wieder für Streit sorgen. Realos wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Peer Steinbrück verweisen nämlich seit langem darauf, dass man die Linkspartei auf dem Feld sozialer Versprechungen sowieso nicht schlagen könne. Im Zweifel legten diese einfach immer noch mehr nach, um die Wähler zu begeistern.

Oskar Lafontaine tat das gestern nicht. Der Partei- und Fraktionschef der Linken lobte seine ehemaligen Genossen ausnahmsweise nur. «Die Forderungen sind richtig«, sagte er in Potsdam. Der Verweis auf das Urheberrecht war ihm aber dann doch noch wichtig: «Es sind Forderungen, die wir immer wieder stellen.«