Abschottung ist keine Lösung

22.4.2015, 21:45 Uhr
Abschottung ist keine Lösung

© Büro Dagmar Wöhrl

NZ: Frau Wöhrl, warum tut sich die EU so schwer, sich auf geeignete Maßnahmen zu einigen?

Dagmar Wöhrl: Die EU muss begreifen, dass die Flüchtlingsfrage eine europäische Schicksalsfrage ist. Ich erwarte, dass die EU dem Friedensnobelpreis, den sie verliehen bekommen hat, gerecht wird. Es muss eine nachhaltige Aktion aller EU-Mitgliedsstaaten stattfinden. Aber es müssen alle mitmachen. Das war bisher nicht der Fall. Es kann nicht sein, dass 18 EU-Länder überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen.

NZ: Kann eine Neuauflage von „Mare Nostrum“ dazu beitragen, die Situation in den Griff zu bekommen?

Wöhrl: Ich habe die Einstellung von „Mare Nostrum“ sehr bedauert. Das war der richtige Weg, es wurden innerhalb eines Jahres über 150 000 Leben gerettet, 350 Schleuser konnten festgenommen werden. Ich bin dafür, „Mare Nostrum“ wieder ins Leben zu rufen. Viele haben sich erhofft, dass die Flüchtlinge weniger werden – aber das hat sich nicht bewahrheitet.

NZ: Stattdessen ist die Situation im Mittelmeer eskaliert.

Wöhrl: Das Mittelmeer wird zum Friedhof. Eine Million Flüchtlinge warten an der Küste Libyens, die gehen nicht mehr zurück. Die haben den extrem gefährlichen Weg durch die Wüste auf sich genommen – in der mittlerweile noch mehr Menschen ihr Leben lassen als im Mittelmeer. Die werden alles tun, um nach Europa zu kommen. Die wichtigste Aufgabe heißt jetzt: Menschenleben retten.

NZ: Ein Ansatzpunkt könnte sein, die Flüchtlingsboote zu stoppen, noch bevor sie in See stechen.

Wöhrl: Der Schlüssel zur Eindämmung liegt in den Herkunfts- und Transitländern. Wir brauchen ein europäisches Entwicklungskonzept, dass dabei hilft, Lebensperspektiven vor Ort zu schaffen. Der Großteil der Flüchtlinge kommt aus Krisen- und Kriegsgebieten. Wir müssen dazu beitragen, dass diese Gebiete sich wirtschaftlich und politisch stabilisieren. Und wir müssen die afrikanischen Staaten mit ins Boot holen – die Afrikanische Union ist bisher untätig.

NZ: Wie kann man diese Untätigkeit erklären?

Wöhrl: In einigen Staaten hat man mit Boko Haram und dem IS ganz andere Probleme, in anderen ist es eine extreme Gleichgültigkeit der Elite gegenüber der eigenen Bevölkerung.

NZ: Bereits vor einem Jahrzehnt hat Otto Schily Asylzentren im Ausland vorgeschlagen. Eine Idee, die nun wieder aufgegriffen wird.

Wöhrl: Asylzentren auf afrikanischem Boden können nur dort funktionieren, wo die Länder funktionieren. Weder Libyen noch Syrien haben im Moment staatliche Strukturen, Regierungen oder Behörden, mit denen man zusammenarbeiten könnte.

NZ: Was schlagen Sie stattdessen vor?

Wöhrl: Ich plädiere dafür, in den jeweiligen Ländern Informationszentren einzurichten, in denen die Menschen in Erfahrung bringen können, ob sie überhaupt eine Chance auf Asyl haben, ob sie nicht sogar auf legalem Weg nach Europa reisen können, was sie hier erwartet – und was eben nicht. Das löst das Problem nicht, aber es lockert es vielleicht. Vielleicht würden dann einige, denen die Schlepper das Blaue vom Himmel versprechen, gar nicht erst ins Boot steigen.

NZ: Australiens Premier Tony Abbott rät der EU zu einer viel härteren Flüchtlingspolitik.

Wöhrl: Diese Art der Abschottung hat man doch schon versucht mit den Zäunen auf Lampedusa und in Marokko. Das ist vom humanitären Standpunkt aus nicht machbar.

 

 

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