Aiwanger und seine Freien Wähler: Im Schatten Söders

11.6.2020, 05:55 Uhr

Neben Ministerpräsident Markus Söder wirkt der Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger teils überfordert.  © Peter Kneffel, dpa

Markus Söder müssen die Ohren klingen. "Stolz" sei er auf diese Regierung, verkündet Florian Streibl. "Die Zusammenarbeit ist hervorragend", sagt der Fraktionschef der Freien Wähler über das Verhältnis zum Koalitionspartner CSU.

Als ob das nicht reiche, legt Florian Mehring noch einen drauf. "Söder ist der klarste, professionellste Politiker in Deutschland, in Europa." "Entschlossen und gut" habe die Regierung während der Coronakrise gehandelt, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler. "Sie ist immer vorangegangen. Das ist die Benchmark der Krisenbewältigung."

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Natürlich erwarten sie in der CSU nichts anderes. Die Freien Wähler, sagt etwa der Schwabacher CSU-Abgeordnete und Landtagsvize-Präsident Karl Freller, seien Teil dieser Regierung. "Die stellen fünf der 18 Kabinettsmitglieder. Die haben bisher noch jeden Beschluss mitgetragen."

Es ist dennoch ein überraschender Kurswechsel, den die Freien Wähler da vollziehen. Nur Tage zuvor hatte ihr Chef Hubert Aiwanger eine ganz andere Linie ausgegeben. Aiwanger sieht, wie seine Partei allmählich unter die Räder kommt in der Koalition. Er will gegensteuern, "robuster" auftreten, wie er das nennt. Das sei, sagt er und offenbart ein etwas eigenwilliges Verständnis von Partnerschaften, "wie in einer Beziehung: Auch dort ist Bewegungsfreiheit für Beine und Ellenbogen wichtig."

Aiwanger wirkt überfordert

Seit Beginn der Corona-Pandemie läuft es nicht mehr für Aiwangers Truppe. Hatte der Niederbayer mit seinem rustikalen Auftreten bis dahin ein wohlwollendes und angenehm amüsiertes Publikum gefunden, wendet sich das Blatt. Der Kontrast ist allerdings auffällig: Hier der staatstragende, entschlossene, moderierende Markus Söder. Dort der überfordert wirkende Hubert Aiwanger, der sich durch seine freien Reden stammelt und wilde Geschichten erzählt von halben bratfertigen Hähnchen und Kumpel-Biertischen.

Der Kontrast könnte schärfer kaum sein. Söder jagt von Interview zu Interview. Er ist präsent auf allen Fernsehkanälen, gibt den entschlossenen Macher und gleichzeitig den Menschenversteher. Kaum ein Tag vergeht ohne ein Statement von ihm. Aiwanger dagegen findet sich, wenn überhaupt, in den Satiresendungen wieder; sein niederbayerisches Idiom und seine Formulierungen machen ihn zum Gespött der Nation.

Schrumpfende Umfragewerte

Das schlägt sich in den Zahlen der Demoskopie nieder, in der für Politiker vom Schlag eines Aiwangers einzig wahren Währung. Söder, einst einer der unbeliebtesten Politiker Deutschlands, muss sich plötzlich gegen die Kanzlerkandidatur wehren. Seine CSU steht in Bayern seit Mitte April in den Umfragen so weit oben, dass sie von einer absoluten Mehrheit träumen könnte. Aiwangers Freie Wähler dagegen verschwinden im Schatten Söders und schrumpfen von Umfrage zu Umfrage. Bei der Landtagswahl hatten sie ein zweistelliges Ergebnis eingefahren. Aktuell können sie froh sein, wenn sie auf sieben Prozentpunkte kommen.

Also fährt Aiwanger die Ellenbogen aus und tritt gegen Söders Schienbein. Woche für Woche fordert er neue Lockerungen der Corona-Regeln. Nichts geht ihm schnell, nichts weit genug. Manchmal gibt ihm der Zeitlauf tatsächlich recht, etwa bei den Biergärten, für die er früh einen Neustart gefordert hatte. Doch selbst das dringt in der Öffentlichkeit kaum durch und zahlt nicht auf das Konto der Freien Wähler, sondern auf das der CSU ein. In anderen Fällen lässt die CSU ihn und seine Freien Wähler lächelnd am ausgestreckten Arm verhungern.

Als dieser Tage Fraktionschef Florian Streibl fordert, die Hotels sollten ihre Bäder öffnen dürfen, die Maskenpflicht müsse im Grenzgebiet gelockert und Einreisen vor Fronleichnam erleichtert werden, kommt aus der Staatskanzlei – nichts. Kein Kommentar, heißt es nur. Kein Kabinett tagt, kein Beschluss im Rundrufverfahren folgt. Streibls Forderungen verpuffen unbeachtet. Das schmerzt.

Für den CSU-Politiker Karl Freller ist der Kurs der Freien Wähler dennoch riskant. "Mit dieser Widersprüchlichkeit kommt kein Partner zurecht", sagt er, "dass sie in der Regierung alles mittragen und dann dagegen angehen. Das geht nicht." Aiwangers Truppe "ist nicht in der Opposition, sie ist Teil der Regierung." Und so solle sie sich benehmen.



Dabei trifft der Spott die Freien Wähler und Aiwanger nicht immer zu recht. Die Wischmopp-Affäre etwa. Aiwanger hat als Wirtschaftsminister zu Beginn der Corona-Pandemie Berge von Material für Quarantänelager eingekauft, darunter 90 000 Wischmopps. 16 Millionen Euro hat er ausgegeben. Aiwanger sei "im Hamsterkaufrausch mit der Steuergeld gedeckten Platincard" gewesen, spottet Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann, der Regeln fordert, wie solches Material künftig beschafft werden soll.

Zum Kauf berechtigt gewesen

Doch schon die Frage, ob Aiwanger zum Einkauf berechtigt gewesen war, beschäftigt mehrere Ministerien. Ergebnis: Er war es. Fachleute bestätigen, dass wegen der Pandemie der Kauf von Einweg-Artikeln sinnvoll sei, was die hohen Zahlen erklärt. Eine Arbeitsgruppe entwickelt nun Regeln, wie die Materialbeschaffung künftig organisiert wird.

Für eine Affäre taugt das kaum, das sieht auch Karl Freller so. "In der damaligen Zeit und bei der Sorge, das Material könne ausgehen, war das nicht falsch", sagt er. Doch für Aiwanger wird die "Wischmopp-Frage", wie das manche nennen, zu einem Problem. Der Spott führt ihm vor Augen, warum sich seine Freien derzeit schwer tun mit der CSU.

Denn Aiwanger, der sich als Macher sieht, steckt in der Defensive fest. Söder nicht. Der korrigiert seine Positionen ständig, oft genug auf Drängen der Freien Wähler. Bei ihm klingt das stets, als sei er selbst zur Einsicht gelangt, ausschließlich zum Wohle der Bevölkerung. Söder hat die Staatsregierung zu seiner One-Man-Show umgebaut. Und das besorgt nicht nur Aiwanger. Doch weil der sich jetzt allzu sehr nach vorne rempeln will, gehen seine Parteifreunde in Deckung und loben Söder über die Maßen. Dass der kein Wort gegen Aiwanger oder die Freien Wähler verlauten hat lassen, werten sie als gutes Zeichen. "Wenn da Wogen da sind", sagt Florian Streibl, "werden die sich von allein glätten."


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