Hilfsorganisationen warnen

Besonders Frauen leiden: In Afghanistan droht eine humanitäre Katastrophe

11.10.2021, 05:55 Uhr
Junge Afghanen sammeln Plastikflaschen aus einem vermüllten Fluss in Kabul, um sie als Recyclingmaterial zu verkaufen. Viele von ihnen leben auf der Straße.  

© Oliver Weiken, dpa Junge Afghanen sammeln Plastikflaschen aus einem vermüllten Fluss in Kabul, um sie als Recyclingmaterial zu verkaufen. Viele von ihnen leben auf der Straße.  

Schon jetzt ist die humanitäre Lage für über 14 Millionen Menschen katastrophal, sie haben zu wenig zu essen, kaum sauberes Wasser, keine medizinische Versorgung und oft kein Dach über dem Kopf. Sinken nun die Temperaturen demnächst auf weit unter null Grad, wird sich die Lage für viele Afghanen dramatisch verschlechtern, warnt die Deutsche Welthungerhilfe.

Die Nato hat ihren Militäreinsatz vor wenigen Wochen beendet und das Land verlassen. Nach der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban mussten auch internationale Hilfsorganisationen ihre Projekte stoppen und alle ausländischen Mitarbeiter abziehen. „Zwei Dürreperioden und etwa 630.000 Flüchtlinge, die wegen der Kämpfe ihre Dörfer verlassen mussten, haben die Versorgungslage in Afghanistan zusätzlich zu den Folgen der Corona-Pandemie noch verschärft“, berichtet Simone Pott von der Welthungerhilfe.

Dazu kommen noch etwa eine Million Menschen, die in Nachbarländer wie Iran geflüchtet waren und jetzt zurückkehren. Viele von ihnen stranden ebenfalls ohne Hilfe und Perspektive in der Hauptstadt Kabul. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef warnt, dass bis Ende des Jahres allein eine Million Kinder unter fünf Jahren so schwer mangelernährt sind, dass ihr Leben in Gefahr ist.

Die Vereinten Nationen sagen einen baldigen Zusammenbruch der Wirtschaft Afghanistans voraus. „Das Land steht vor dem wirtschaftlichen Kollaps“, beschreibt auch Thomas tenBoer, Landesdirektor der Welthungerhilfe, die dramatische Lage. „Die Menschen befinden sich in einem Teufelskreis. Das Bankensystem funktioniert nicht, es fehlt Bargeld, die Preise für Nahrungsmittel sind gestiegen und vor allem alleinstehende Frauen wissen nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Sie haben kein Einkommen mehr und dürfen ihr Haus nicht ohne männliche Begleitung verlassen.“ Dazu wurden viele Häuser und Wohnungen durch die Kämpfe der letzten Monate zerstört und bieten im Winter keinen Schutz vor der Kälte, berichtet tenBoer.


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Aus diesem Grund ist es nun dringend notwendig, die Hilfe für die Menschen in Afghanistan wieder anlaufen zu lassen. Mitte Oktober sollen zunächst zwei Vertreter der Welthungerhilfe nach Kabul zurückkehren und können mit 170 lokalen Mitarbeitern kooperieren, berichtet Simone Pott. Noch gibt es zahlreiche Probleme zu bewältigen, etwa die Finanzierung. So sind etwa Überweisungen aus dem Ausland nach Afghanistan derzeit nicht möglich.

Doch die Taliban hätten durchaus Interesse daran, dass die humanitäre Hilfe für ihr Land fortgesetzt werde - allerdings unter ihren Bedingungen. Es gebe aus diesem Grund Absprachen mit den Taliban, berichtet Pott. Dazu zählt etwa die Auflage, dass Mitarbeiterinnen nur mit männlichen Begleitern unterwegs sein dürfen. „Da muss man sehr pragmatisch sein“, sagt Pott und zeigt sich zuversichtlich, dass die Zusammenarbeit mit den Taliban gelingen kann.

Warme Kleidung

Dabei liegt eine enorme Aufgabe vor den Helfern. Knapp 60.000 Menschen will die Welthungerhilfe in den nächsten Wochen mit Nothilfe unterstützen.

In verschiedenen Provinzen, vor allem im Norden Afghanistans, sollen Familien mit warmer Kleidung und Decken versorgt werden. Außerdem werden Nahrungsmittel wie Mehl, Reis, Öl und Linsen sowie Pakete mit Hygieneartikeln verteilt. Und natürlich ist es nicht mit einmaligen Aktionen getan, die Nothilfe muss den gesamten Winter über aufrechterhalten werden.

„Wir müssen jetzt erst einmal die Menschen durch die kalte Jahreszeit bringen“, erklärt Simone Pott das Ziel ihrer Organisation. Sie hofft, dass bald wieder langfristige Entwicklungshilfe etwa durch die Vereinten Nationen und die Geldgeber der internationalen Geberkonferenz stattfinden kann. Doch noch ist es nicht soweit.

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