Biden zeigt, wie Politik auch Mut machen kann

12.3.2021, 13:47 Uhr
Es war seine erste große Fernsehansprache: Joe Biden im Weißen Haus.

© Andrew Harnik, dpa Es war seine erste große Fernsehansprache: Joe Biden im Weißen Haus.

Was für ein Kontrast - in mehrfacher Hinsicht. Zum einen zu seinem Amtsvorgänger: Donald Trump beherrschte die fragwürdige Kunst, zu spalten und zu polarisieren. In seinen Reden versuchte er nicht, Amerika zu einen. Er arbeitete mit Feindbildern, die er schürte.

Joe Biden dagegen sah sich von Beginn seiner Amtszeit an als Versöhner, als Brückenbauer. So sprach er nun auch in seiner ersten großen Rede an die Nation. 20 Minuten mit einem Mix aus Pragmatismus und Pathos, aus Ärmel-Aufkrempeln und Mut machen waren das.

"My fellow americans"

Ein Sound, den US-Präsidenten meist perfekt beherrschen. "My fellow americans", meine amerikanischen Mitbürger: So begann nun Biden seine Rede - und diese Worte verwendete auch Franklin D. Roosevelt in seiner Inaugurations-Ansprache am 4.März 1933, mitten in der Weltwirtschaftskrise.

"Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst": Das war der Kernsatz dieser Rede. Auch das ein Satz voller Pathos - und doch oder deswegen ungeheuer wichtig für die Stimmungslage in einem Land. Und die lässt sich auch durch solche Ansagen beeinflussen - dann umso mehr, wenn sie verbunden sind mit konkreter Politik.

Die lieferte Roosevelt mit seinem "new deal", die liefert auch Biden. Mit einem 1,9-Billionen-Hilfspaket gegen die Folgen der Pandemie, das die US-Wirtschaft ankurbeln und die sozialen Härten etwas abfedern wird.

"Ich brauche euch"

"Licht in der Dunkelheit" will Biden suchen, gemeinsam mit den Bürgern. "Ich brauche euch", rief er den Amerikanern zu.

Was für ein Kontrast zu der aktuell ziemlich ratlos wirkenden deutschen Politik! Da stehen die von Biden eingebundenen Bürger zu oft unter Generalverdacht, werden eher wie Untertanen behandelt.

Zu beobachten ist in Deutschland ein Klima des Misstrauens. Ein Beispiel: Rund zwei Drittel der Menschen sind dagegen, dass Geimpfte früher als Nicht-Geimpfte ihre Freiheiten zurückbekommen. Wobei da die Wortwahl viel aussagt: Es dürfe keine "Privilegien" oder "Vorrechte" für Geimpfte geben, sagen manche. Es geht aber eben nicht um Privilegien, sondern um die möglichst gute Rückkehr in so etwas wie die Normalität, samt der dazu gehörenden Freiheits- und Grundrechte.

Bei uns schauen zu viele erst einmal, was nicht geht

Dafür braucht es möglichst rasch möglichst viele Impfungen. Da sind die USA viel weiter, wo in Stadien oder Supermärkten geimpft wird. Dort wird gemacht, was geht - eine Frage der Einstellung. Bei uns schauen zu viele erst einmal, was nicht geht. Das Ergebnis ist leider ablesbar.

"Wir schaffen das" hat Angela Merkel auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 gesagt. Das war einer der wenigen Momente, in denen die Kanzlerin so etwas wie Pathos zeigte. Ähnlich war es während der Finanzkrise, als sie den Deutschen zusicherte, ihre Konten seien sicher.

Eine Rede von Merkel blieb hängen

Zu Beginn der Pandemie hielt sie eine Rede, die hängen blieb: "Es ist ernst, nehmen Sie es auch weiterhin ernst", rief sie den Deutschen zu. Möglich, dass solche eindringlichen Sätze ebenso viel bewirken wie die Corona-Regeln - oder sogar mehr, wenn Vorschriften derart kompliziert werden wie momentan.

Da macht die deutsche Politik keinerlei Mut. Ja, die Zahlen steigen. Aber das Hin und Her bei den Schulen oder die sehr unklaren Perspektiven für bedrohte Branchen erhöhen Frust und Verzweiflung bei zu vielen Menschen.

Und wer die aktuellen Auftritte der Kanzlerin verfolgt, wird dadurch keineswegs ermutigt, sondern eher depressiv. Weil da, bei aller verständlichen, ja notwendigen Vorsicht eben so gar kein Stück Hoffnung skizziert wird, kein "Licht in der Dunkelheit".

Visionen? Fehlanzeige gerade im Wahljahr

Politik muss aber auch versuchen, Menschen mitzunehmen, ihnen Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben - mit machbaren Visionen. Davon ist wenig zu sehen in Deutschland - gerade in einem Wahljahr, wo es um die besten Konzepte für die Republik gehen müsste. Da hat Merkels Stil abgefärbt auf fast alle Politiker.

Zugespitzt: Nichts wünschen, nichts hoffen, nichts wagen - so unambitioniert wirkte der Kurs der Kanzlerin in den meisten ihrer 16 Amtsjahre. Alles wünschen, alles hoffen, alles wagen: Das ist das Gegengift, auf das Biden mit dem amerikanischen Optimismus setzt. Ein ordentliche Portion davon wünscht man sich doch sehr auch für Deutschland.

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