Wem maßlose Kritik nützt

Bitte kein Bashing: Wir sollten Staat und Demokratie nicht niederreden

Alexander Jungkunz

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17.9.2023, 12:00 Uhr
Heftigste Attacken gegen die Regierung: AfD-Co-Chefin Alice Weidel spricht beim Politischen Frühschoppen Gillamoos auf der Bühne.

© Pia Bayer/dpa Heftigste Attacken gegen die Regierung: AfD-Co-Chefin Alice Weidel spricht beim Politischen Frühschoppen Gillamoos auf der Bühne.

Steht das Land vor dem Kollaps? Ist die Bundesrepublik ein "failed state", ein gescheiterter Staat? Regiert von Unfähigen, Korrupten, Verrückten, Idioten, die "den Arsch offen" (Hubert Aiwanger) haben?

Zu diesem Schluss kann kommen, wer viel in den sogenannten sozialen Netzwerken (die oft eher asozial sind) unterwegs ist. Aber es genügt leider auch, Nachrichten zu hören. Denn da sind die oben zitierten Attacken zu erleben. Nicht nur von der AfD, deren Chefin Alice Weidel regelmäßig maßlos austeilt, sondern auch vom Chef der Freien Wähler und anderen Politikern, die das Land, aber auch ihre Kolleginnen und Kollegen anderer Parteien verunglimpfen, herabwürdigen, niederreden.

Ganz klar muss dabei sein: Selbstverständlich ist Kritik erlaubt, ja elementar für eine funktionierende Demokratie. Missstände sind zu benennen. Und aktuell läuft vieles schief in Deutschland. Das Bild vom "kranken Mann" Europas, ja der Welt geht um, es ist die Neuauflage einer Beschreibung, die das britische Wirtschaftsblatt "The Economist" 1999 lieferte.

Dieser Patient schaffte dann die Genesung - durch Schröders umstrittene Reformen. Gerade griff der "Economist" das Thema wieder auf: "In Anbetracht der Tatsache, dass alle vier Kolben des Wirtschaftsmotors der Merkel-Ära nicht mehr richtig funktionieren – keine russische Energie mehr, Chinas Markt ist schwach, Osteuropa kann nicht genug Arbeitskräfte liefern, und es gibt größere Anforderungen an die Verteidigung – sollten die Deutschen sogar ein wenig stolz darauf sein, wie gut es ihrer Wirtschaft in Anbetracht der aktuellen Weltlage geht."

Heilung natürlich möglich, bilanziert das Blatt - mit kluger, mutiger Politik. Die müssen und dürfen wir einfordern, sie wird zu wenig geliefert. Aber wir müssen aufpassen, dass jenes allseits zu hörende Deutschland-Bashing nicht eskaliert. Kürzlich warnte eine Studie vor den "invasiven Arten": Tiere und Pflanzen, die neue Gebiete erreichen und dort alteingesessene Arten verdrängen, ja zerstören. So kann das auch der Demokratie gehen, wenn sie durch Aggression beschädigt wird.

Das ist eine Frage der politischen Kultur, des menschenwürdigen Umgangs mit anderen - und auch des Anstands. All das ist gefährdet, wenn sich Parteien gegenseitig ausgrenzen. Wenn etwa Markus Söder sagt, die Grünen passten nicht zu Bayern - beinahe eine Ausbürgerung. Wenn andere zu leichtfertig die Nazi-Keule schwingen. Wenn Attacken persönlich werden: Was da gerade Grüne (Ricarda Lang vor allem) im Netz aushalten müssen, das überschreitet Grenzen.

Demokratie braucht Pflege, sie braucht harten, aber fairen Streit. Sie nimmt Schaden, wenn Demokraten sich gegenseitig niedermachen - sehr zur Freude der Feinde der liberalen Demokratie.

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