Juristischer Gegenwind

Braucht es die Impfpflicht wirklich? Bayerische Experten positionieren sich klar

10.1.2022, 17:11 Uhr

© Nicolas Armer/dpa

Schwere Bedenken gegen eine allgemeine Impfpflicht kommen sowohl aus medizinischer wie verfassungsrechtlicher Seite in Bayern. Wenn sich erhärten sollte, dass die im Vormarsch befindliche Virus-Variante Omikron nur in geringem Maße zu schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen führt, lasse sich der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht rechtfertigen, sagte der Augsburger Verfassungsrechtslehrer und Medizinrechtsexperte Josef Franz Lindner unserer Zeitung.

Eine allgemeine Impfpflicht mache schon deshalb keinen Sinn, weil der Sars-CoV-2-Erreger nicht auf den Menschen beschränkt sei und ständig Veränderungen durchmache, unterstrich der Erlanger Immunologe Christian Bogdan, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) ist.

Eine allgemeine Impfpflicht sei vor allem dann sinnvoll, wenn es sich nicht nur um einen gefährlichen, sondern auch stabilen Infektionserreger handelt, der sich einer Immunantwort nach Impfung nicht entziehen kann, ausschließlich beim Menschen vorkommt und somit durch eine Impfung ausgerottet werden kann, erläuterte Bogdan, der Leiter des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene am Universitätsklinikum Erlangen ist. Beispiele dafür sind die Erreger von Menschenpocken, der Kinderlähmung sowie der Masern. Sars-CoV-2 hingegen verändert sich, ist nicht auf den Menschen beschränkt und ist deswegen nicht dauerhaft eliminierbar. Bei diesem Virus seien weltweit schon mehrfach Varianten aufgetreten, die sich der durch die zur Zeit verfügbaren Impfstoffe ausgelösten Immunantwort zumindest teilweise entziehen, erläutert Bogdan.

Bei der aktuellen Omikron-Variante wisse man seit kurzem, dass durch eine dreimalige Impfung mit den vorhandenen mRNA-Impfstoffen noch Schutz vor schwerer Erkrankung erzielt werden könne. "Entsprechend sollte sich jeder impfen und unbedingt auch boostern lassen", betont Bogdan. Allerdings sei bisher nicht bekannt, wie lang dieser Schutz anhält, vor allem wenn weitere Veränderungen des Virus auftreten. "Ergo wird es mit drei Impfungen nicht getan sein. Diese erwartbare Notwendigkeit von regelmäßigen Wiederimpfungen spricht gegen eine Impfpflicht".

"Braucht es da noch eine Impfpflicht?"

Drittes Argument des Erlanger Wissenschaftlers: Die Impfquote in Deutschland sei insbesondere in der besonders gefährdeten Gruppe der über 60-Jährigen wesentlich besser als es in der Öffentlichkeit mitunter dargestellt werde. Mittlerweile seien in dieser Gruppe fast 90 Prozent der Menschen grundimmunisiert, weitere 65 Prozent durch eine dritte Impfung geboostert. Unter den verbliebenen zehn Prozent Ungeimpften seien zudem viele Menschen, die bereits eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben.

"Braucht es da noch eine Impfpflicht? Natürlich nicht, zumal diese bis zur Umsetzung ohnehin zu spät käme, keinen Einfluss auf die bereits begonnene Omikron-Welle hätte und einen unnötigen administrativen Aufwand, gesellschaftlichen Widerstand, gerichtliche Klagen und andere Ausweichmanöver von Impfgegnern auslösen würde", meint Bogdan.

Zudem zeigten aktuelle Daten, dass die Omikron-Variante im Vergleich zur bisher zirkulierenden Delta-Variante weniger häufig schwere Krankheitsverläufe auslöse. Bei einer kommenden Omikron-Welle dürften weite Teile der Bevölkerung mit dem Virus in Kontakt kommen, erwartet Bogdan. Infolge der hohen Impf- und Auffrischquote sei zu erwarten, "dass diese Viruskonfrontation zu einer natürlichen Boosterung ohne schweres Erkrankungsrisiko führen wird."

Juristischer Gegenwind

Die Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht müssen auch mit juristischem Gegenwind rechnen. Gegen Delta wäre eine Impfpflicht nach Ansicht des Augsburger Juraprofessors Lindner "verfassungsrechtlich
vertretbar" gewesen, bei Omikron sei es "problematischer". Sollte sich "belastbar" herausstellen, dass Omikron harmloser ist, lasse sich der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht legitimieren. Gerechtfertigt werden könne die allgemeine Impfpflicht allein mit der konkreten Gefahr einer Überlastung der Krankenhäuser.

Weil die aktuellen Impfstoffe gegen Omikron offensichtlich nur eingeschränkt wirken, stehe dies ebenfalls der Einführung einer Impfpflicht entgegen, so der Verfassungsrechtslehrer: "Das heißt nicht, dass man nicht über die Einführung einer Impfpflicht im Hinblick auf künftige Varianten diskutieren und die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen bereits jetzt schaffen sollte."

"2G plus aktuell nicht verhältnismäßig"

Sowohl der Mediziner wie auch der Jurist unterstützen die Bedenken des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) gegenüber der Einführung einer "2G plus"-Regel als Voraussetzung für den Besuch von Gaststätten und Bars. Der bayerische Ministerrat will am Dienstag darüber entscheiden, ob diese Vorgabe auch im Freistaat eingeführt wird.

Menschen, die nur zweimal geimpft sind oder nach durchgemachter COVID-19-Infektion eine Impfdosis erhalten haben, tragen tatsächlich ein deutlich höheres Risiko an einer Omikron-Infektion zu erkranken als an einer Infektion mit der Delta-Variante, vor allem, wenn die letzte Immunisierung länger als 3 Monate zurückliegt, sagt Professor Bogdan. Daher sei "2G" ohne weitere Einschränkung "kein ausreichendes Schutzschild gegen die Omikron-Variante." Eine Antigentestung zusätzlich zu 2G leiste aber höchstens einen kleinen Beitrag zur Pandemiebekämpfung, da die Empfindlichkeit der Schnelltests nicht sonderlich hoch sei.

"Die eindeutig bessere präventive Maßnahme ist die Booster-Impfung", so Bogdan. Für alle Beteiligten am einfachsten und wissenschaftlich begründbar wäre nach seiner Ansicht eine Zugangserlaubnis für alle Grundimmunisierten, sofern die zweite Impfung innerhalb der letzten 3 Monate stattfand, und für alle Geboosterten: "Bei einer solchen Regelung könnte man auf die ohnehin nur begrenzt sensitiven Antigentests ohne weiteres verzichten."

Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP im bayerischen Landtag Dominik Spitzer griff die Bedenken gegen die "2G plus"-Testpflichten auf. Spitzer forderte für "frisch Zweitgeimpfte" die Befreiung von der Testpflicht, wenn die Zweitimpfung weniger als drei Monate zurück liegt. Es gebe keinen medizinischen Grund dafür, Drittgeimpfte gegenüber frisch Zweitgeimpften in irgendeiner Weise zu bevorteilen, erklärte Spitzer am Montag in München: "Der Schutz vor einer Infektion ist in beiden Fällen vergleichbar." Die 2G-Plus-Testpflicht schade massiv der Impfkampagne, weil für Noch-Ungeimpfte die Hürde sich impfen zu lassen immer höher werde, argumentierte der Liberale. Der Zeitraum bis zum Erreichen eines vollständigen Impfschutzes würde im optimalen Fall etwa vier Monate betragen.

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