Die Unvollendete: Nahles startete früh - nun gibt sie früh auf

2.6.2019, 11:11 Uhr
Die Unvollendete: Nahles startete früh - nun gibt sie früh auf

© Andreas Arnold/dpa

Früh gestartet und früh gescheitert. Auf diesen Nenner lässt sich die Karriere von Andrea Nahles vermutlich am besten bringen. Schon vor sagenhaften 22 Jahren, da war sie erst 27 Jahre alt, zog sie in den SPD Parteivorstand ein. Und bald kannte sie jeder in der Republik: in erster Linie als selbstbewusste, ziemlich weit links stehende Juso-Chefin, die von Oskar Lafontaine ein "Gottesgeschenk an die SPD" genannt wurde.


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Von ihren ersten Tagen in der Politik war die heute 48-Jährige eine Frau, die polarisierte. Sie war meist ein wenig lauter als die anderen, gebrauchte manchmal Formulierungen, die als anstößig empfunden wurden ("Ab morgen kriegen sie in die Fresse" über die Union) und sie brachte mit ihrer Kandidatur als Generalsekretärin einen beliebten Parteichef (Franz Müntefering) zum Rücktritt.

 

 

Man mag es eigentlich kaum glauben, dass Nahles noch nicht mal ihren 50. Geburtstag hinter sich hat - so lange spielt sie schon ganz vorne mit bei den Sozialdemokraten. Sie war dabei, als Parteichef Rudolf Scharping zu Gunsten von Oskar Lafontaine gestürzt wurde (1995), sie war eine der schärfsten Kritikerinnen von Gerhard Schröders Agenda-Politik (2004) und sie gehörte dem Schattenkabinett des Kanzlerkandidaten Steinmeier an (2009).

Dabei kämpfte die Germanistin (Abschlussarbeit: "Die Funktion von Katastrophen in Liebesromanen") stets mit einem Wahrnehmungsproblem: Innerparteilich wurde sie durchaus als unermüdliche Arbeiterin geschätzt, auch zuletzt als Fraktionschefin. Sogar der hessische Bundestagsabgeordnete Sebastian Raabe, der sie nächste Woche nicht mehr wählen wollte, nannte sie eine "tolle Fraktionsvorsitzende". Allerdings sei es tragisch, ergänzte er, "dass Du das nicht verkauft bekommst".

Womit der kritische Punkt an der öffentlichen Person Nahles angesprochen wäre. Sie war unter den deutschen Wählern nie so richtig beliebt, noch weniger als Sigmar Gabriel, was wirklich etwas heißen will. Es wäre zum Beispiel komplett unvorstellbar gewesen, sie als Kanzlerkandidatin ins Rennen zu schicken. Das war jedem in der Partei, auch ihr selbst klar, weswegen Finanzminister Olaf Scholz dafür gehandelt wurde.

Eine erneute Große Koalition hätte es 2018 ohne Andrea Nahles wohl kaum gegeben. Sie legte sich auf den entsprechenden Parteitagen ins Zeug. Wer dabei war, dem bleibt in Erinnerung, wie sie regelrecht ins Mikrofon schrie, um den Genossen ihre Verantwortung klar zu machen. Wichtigster Kontrahent war dabei Kevin Kühnert, einer ihrer Nachfolger als Juso-Vorsitzender. Die linken GroKo-Kritiker haben ihr das bis heute nicht verziehen, weswegen am Ende dann auch eher die Rechten in der SPD ihre Unterstützer waren.

Es ist nicht so, dass die Rheinland-Pfälzerin ihre Schwächen nicht kannte. Es gab einen großen Versuch, das Image zu korrigieren. Als Arbeitsministerin unter Angela Merkel (2013 bis 2017) stürzte sie sich in die Fachthemen, war kaum noch zu etwas anderem öffentlich zu vernehmen - und erwarb sich damit durchaus den Respekt mancher Vertreter der Union und insbesondere der Kanzlerin. Doch nachhaltige Wirkung entfaltete das nicht, zumal später immer wieder Ausrutscher wie das "Bätschi" (während der jüngsten Regierungsbildung) hinzukamen.

Spielte es für den fraktionsinternen Aufstand eine Rolle, dass sie eine Frau war? Zumal sich mit öffentlicher Kritik ausschließlich Männer an ihr abarbeiteten? Eine Teil-Erklärung mag das sein, aber nicht eine Erklärung für alles. Denn auch mit männlichem Spitzenpersonal geht die SPD nicht besonders zimperlich um. Sie selbst schenkte anderen - etwa dem am Ende durchaus beliebten Außenminister Sigmar Gabriel, den sie aus dem Amt entfernte - ebenfalls nichts.

Mit 48 Jahren in den Ruhestand

Dass sie nicht nur den Fraktions-, sondern gleichzeitg auch den Parteivorsitz aufgab, entspricht einer gewissen Logik. Denn ihre Kritiker hätten sich bestimmt nicht mit dem Verzicht auf das eine Amt zufriedengegeben, sondern gleich weitergemacht mit der Frage, ob nicht auch die SPD eine(n) andere(n) Chef(in) brauche. Die aus ihrer Sicht unwürdige Debatte wäre monatelang so weitergegangen.

Mit 48 Jahren ist es zu früh für den Ruhestand. Aber es dürfte für Nahles schwer werden, in der Politik noch etwas Attraktives zu finden, denn sie war ja fast schon alles. Eines aber nicht: Regierungschefin. Dabei hatte sie schon im Jahre 1989 in der Abiturzeitung angegeben, ihr Berufswunsch sei "Hausfrau oder Bundeskanzlerin". 

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