«Es war der Bäcker. Ich habe ihn erkannt»

6.11.2007, 00:00 Uhr
«Es war der Bäcker. Ich habe ihn erkannt»

© dpa

Wie ausgeprägt muss ein Sturkopf sein, all das schweigend zu ertragen? Das endlose Diskutieren der Juristen, das Murren der Zuhörer im Gerichtssaal, das Gerede der Leute daheim im Dorf. Hat Alfred B. nicht das Verlangen, all dem eigene Worte entgegenzusetzen? Aber auch diesmal schweigt der Dorfbäcker von Siegelsbach zu den Vorwürfen.

Das, wofür der 49-Jährige schon zum zweiten Mal vor Gericht sitzt, hat sich bereits am 7. Oktober 2004 zugetragen. Ein unmaskierter Mann überfiel damals die Sparkasse von Siegelsbach, einer baden-württembergischen Gemeinde mit 1700 Einwohnern. Mit vorgehaltener Pistole erbeutete der Räuber 33 154 Euro. Er zertrümmerte einem Sparkassen-Angestellten mit dem Pistolenkolben den Schädel. Auf ein Rentner-Ehepaar im Schalterraum schoss er: Erst setzte er dem Mann die Pistole ans Genick und drückte ab. Dann ballerte er der Frau zweimal von vorne ins Gesicht. Die 65-Jährige starb, die Männer überlebten schwer verletzt. Beide identifizierten den Räuber: Alfred B., dessen Bäckerei 200 Meter neben der Sparkasse liegt. Zwei Tage nach dem Überfall wurde B. verhaftet. Die Siegelsbacher waren geschockt. Einer der Ihren soll das getan haben?

Scheine wie aus dem Überfall

Im April 2005 begann in Heilbronn der Prozess. Die Beweise schienen erdrückend: Beide überlebende Opfer erkennen den Angeklagten «hundertprozentig» wieder als den Räuber. Bei der Durchsuchung des Bäckerhauses hatte die Polizei in der Rückwand eines Kühlschranks 14 970 Euro gefunden. Sofort nach dem Überfall hatte der verschuldete B. bei seiner Hausbank erst 14 970 Euro eingezahlt - überwiegend in 500-Euro-Scheinen, wie sie beim Überfall erbeutet wurden. Die Tatwaffe war eine umgebaute Walther PP - wie sie Jäger Alfred B. von seinem Vater geerbt und dann als gestohlen gemeldet hatte. In B.s Auto fanden sich Blutspuren mit DNA, die der des Sparkassen-Angestellten ähnelt.

All das überzeugte die Heilbronner Richter nicht. Sie sprachen den Angeklagten nach einjährigem Prozess frei. Der Bäcker sei erwiesenermaßen unschuldig. «Das Entsetzen über die Tat darf nicht blind machen», sagte der Richter. Nach 18 Monaten Untersuchungshaft kam B. im April 2006 frei. Er und seine Schwester versuchten, die Bäckerei weiterzuführen. Doch die Kunden mieden den Laden. Mittlerweile ist er geschlossen.

Im Mai 2007 wurde B. wieder verhaftet. Plötzlich stand er unter dem Verdacht, bereits 2003 Werkzeuge aus dem Bundeswehrdepot Siegelsbach gestohlen zu haben. Fast gleichzeitig hob der Bundesgerichtshof den Freispruch aus dem Raubmordprozess auf. Er schickte den Fall zur Neuverhandlung nach Stuttgart.

Dort beginnt der Prozess zäh. B. schweigt. Seine Verteidigerin Anke Stiefel-Bechdorf lehnt die Richter wegen Befangenheit ab. 99 Zeugen und acht Sachverständige sollen an 18 Tagen bis Mitte Januar vernommen werden. Das findet die Anwältin zu eng. Die Richter verschieben die Entscheidung über den Befangenheitsantrag, beginnen mit der Vernehmung des ersten Zeugen - des Sparkassen-Angestellten. Das Gehirn des 32-Jährigen ist geschädigt, sein Gedächtnis beeinträchtigt. Als er im Krankenhaus aufwachte, hatte er sein Leben vergessen. Vieles, was er über den Tattag erzählt, passt nicht zu den objektiven Erkenntnissen. «Ich weiß, dass einiges falsch ist», gibt er zu, «aber ich kann nur das sagen, was in meinem Kopf ist.» In einem ist er sich sicher: «Es war der Bäcker. Ich habe ihn erkannt. Er war eine Woche vorher bei mir, hat mir eine Laugenstange geschenkt und

gefragt, ob die Überwachungskamera immer läuft.» Alfred B. hört ohne Regung zu. Nur ein öffentliches Zitat des Dorfbäckers von Siegelsbach zum Tatvorwurf gibt es bisher - gesprochen im Letzten Wort des Prozesses in Heilbronn: «Ich war’s nicht.»