Musik
ESC-Analyse: Der Untergang des Raabendlands - oder nicht?
18.05.2025, 10:10 Uhr
Der Eurovision Song Contest ist eine fröhliche, mitunter absurde Bühnenshow im XXL-Format - irgendwo zwischen Musikfestival, Kostümparade und Leistungsschau der Windmaschinen-Industrie. Als aber Stefan Raab in der Nacht zum Sonntag das Wort bekam, klang es erst einmal danach, als gelte es eine Regierungskrise abzuwenden.
„Ich übernehme die Verantwortung“, gab „Deutschlands ESC-König“ zu Protokoll, um dann noch einmal seine Strategie der vergangenen Wochen und Monate für das Publikum zu entschlüsseln. „Natürlich verspreche ich immer, dass wir gewinnen. Und zwar so lange, bis das Gegenteil bewiesen ist.“ Sonst brauche man ja gar nicht erst anzutreten.

Klar war da längst, dass Deutschland den ESC 2025 nicht gewonnen hatte - was eigentlich das Ziel von Raab und der für den Wettbewerb zuständigen ARD gewesen war. Das viel gelobte Pop-Duo Abor & Tynna landete auf Platz 15 - also irgendwo jenseits von Gut und Böse. Die Top Ten, für die Raab einst als Garant galt, wurden ebenfalls verfehlt. Den Sieg holte sich stattdessen Österreich. Am Rande wurde der Wettbewerb von Protesten gegen die Teilnahme Israels getrübt.
ARD jubelt über Traumquote
Was das nun bedeutet? Das werden wohl erst die nächsten Wochen und Monate zeigen. Kurz nach dem ESC-Finale begann die Analyse-Maschinerie erst langsam anzulaufen.
Einerseits vermeldete die ARD eine Traum-Quote - die beste beim ESC seit 14 Jahren. Durchschnittlich saßen 9,13 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer vor dem Bildschirm. „Mit einer kreativen Allianz aus Stefan Raab, RTL und der ARD ist es gelungen, neue Zielgruppen zu erreichen und dem ESC in Deutschland neue Relevanz und Strahlkraft zu verleihen“, jubelte ARD-Programmdirektorin Christine Strobl.
Andererseits war die Fallhöhe extrem hoch. Und Raab gab zu: „Die Platzierung war leider nicht so gut, wie wir es erhofft hatten.“
„Baller“ wird gefeiert – aber nicht belohnt
Dabei sah es zunächst gar nicht schlecht aus. Die Geschwister Abor & Tynna hielten die in sie gesetzten Hoffnungen erst einmal mit viel Energie am Leben. Tynna tanzte beim Auftritt auf einem gigantischen Radiorekorder, Bruder Abor spielte auf einem Cello mit LED-Beleuchtung. Das Instrument war weiß lackiert - und stellt sich damit in eine Linie mit der berühmten weißen Gitarre, mit der Nicole 1982 zum ersten Mal den ESC für Deutschland gewonnen hatte.

In der Halle in Basel kam der Act gut an. ARD-Kommentator Thorsten Schorn tat sein Möglichstes, um Optimismus zu verbreiten. „“Baller“ ist der Knaller“, übermittelte er dem heimischen Publikum. „Das wird hier gefeiert.“ Nach Verkündung des Ergebnisses mischte sich mehr Ironie in seine Analyse: „Platz 15 ist das drittbeste Ergebnis seit 2012.“
Tatsächlich ist Platz 15 kein schlechtes Ergebnis. In der vergangenen Dekade hat Deutschland etliche Komplettpleiten eingefahren - so schlimm kam es diesmal nicht. Auch Raab ließ seine Schützlinge nicht fallen. „Auch wenn sie nicht in die Top Ten gekommen sind, glaube ich, dass ihre Karriere jetzt richtig losgeht – die Abrufe ihres Songs sprechen eine klare Sprache“, sagte er.
Publikums- und Jurygeschmack klaffen erneut auseinander
Gegen den Countertenor JJ, der den Sieg für Österreich holte, kamen die beiden Österreicher, die für Deutschland antraten, aber nicht an. Vor allem die Jurys quer durch Europa waren von seiner dreiminütigen Pop-Oper mit dem Titel „Wasted Love“ derart begeistert, dass es Höchstwertungen hagelte. Abermals zeigte sich allerdings, wie sehr sich der Geschmack der Jurys von dem des Publikums unterscheidet - und welche Auswirkungen das haben kann.

Beim Publikum lag Israel deutlich vorn. Das Land hatte die Sängerin Yuval Raphael nach Basel geschickt. Die 24-Jährige ist eine Überlebende des Massakers der islamistischen Hamas und weiterer Terrorgruppen vom 7. Oktober 2023. Wegen des Gazakriegs gab es in Basel immer wieder Proteste gegen ihre Teilnahme. Am Abend versuchten nach Angaben des ESC-Sprechers des Schweizer Senders SRF sogar ein Mann und eine Frau am Ende des israelischen Auftritts mit einem roten Farbbeutel als Symbol für Blut auf die Bühne zu gelangen. Sie wurden gestoppt.
Am Ende reichte es trotz der vielen israelischen Publikumspunkte für Österreich. Elf Jahre nach dem Triumph von Conchita Wurst hat die Alpenrepublik damit wieder einen ESC-Sieger.
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„Jetzt ist auch Stefan Raab wach“
Gleich zwei Jurys vergaben die Höchstwertung von 12 Punkten auch an Deutschland - die Ukraine und Tschechien. Als das Ergebnis aus der Ukraine verkündet wurde, sprang Raab auf und ballte die Faust. Ging vielleicht doch etwas? „Jetzt ist auch Stefan Raab wach“, stellte Kommentator Schorn fest. Es kam anders.
Was das Bild zusätzlich trübte: Ausgerechnet noch im vergangenen Jahr hatte Sänger Isaak einen 12. Platz für Deutschland errungen - war also unter dem Strich besser. Erst danach war Raab wieder in die deutsche ESC-Auswahl installiert worden und sollte nach noch höheren Zielen streben. Die ARD ging dafür extra eine Kooperation mit Raabs neuem Haussender RTL ein.
Spätestens seit dem unter seiner Ägide errungenen Sieg von Lena Meyer-Landrut im Jahr 2010 umgibt den mittlerweile 58-Jährigen die Aura des ESC-Gurus. Auch als Komponist für Guildo Horn (1998, „Guildo hat euch lieb“) und bei seinem eigenen Auftritt (2000, „Wadde hadde dudde da“) gelang ihm jeweils ein Top-Ten-Ergebnis.
Verpufftes „Raabinator“-Comeback?
Mit dieser Bilanz im Rücken hatte Raab dann die ganze Wucht seines Namens genutzt, um Abor & Tynna in mehreren Auswahlshows zum deutschen Beitrag zu küren. Die Entscheidung traf am Ende zwar das Publikum, aber Raab verantwortete die Vorauswahl. In den vergangenen Tagen hatte er selbst auch noch einmal intensiv für das Lied getrommelt. Unter anderem versuchte er, Deutsche auf Mallorca zu einer Stimme für Abor & Tynna zu bewegen. Aber ein Raab-Effekt? Blieb irgendwo zwischen Mallorca und Mittelmaß stecken.
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Auch für Raab stand beim ESC einiges auf dem Spiel. Erst im vergangenen September hatte er seine jahrelange Bildschirmpause mit viel Tamtam beendet.
Mittlerweile ist seine wieder aufgenommene Karriere vor der Kamera allerdings ins Stocken geraten. Erst vor wenigen Tagen verkündete sein Haussender RTL, dass man mit den Quoten von Raabs wöchentlicher Show („Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab“) nicht mehr zufrieden sei und sie in ihrer aktuellen Form beenden werde. Im Herbst soll es ein neues Format geben. Wie das aussehen kann, steht in den Sternen.
Ob der „Raabinator“ nochmal zurück ans ESC-Steuer darf? Fraglich. Die ARD hatte die Zusammenarbeit mit dem erhofften Erfolg verkoppelt. Als ARD-Programmdirektorin Christine Strobl von der „Hörzu“ im Januar gefragt wurde, ob das Konzept mit Raab wieder auf Eis gelegt werde, sollte nicht der Sieg herausspringen, antwortete sie: „Absolut.“ Der Anspruch sei „ganz klar“, zu gewinnen.
Das ist nicht eingetreten.
Über seine Schützlinge Abor & Tynna sagte er: „Ich finde, man muss den beiden einen riesigen Respekt zollen für das, was die in den letzten Wochen abgerissen haben.“ Man dürfe ja auch nicht vergessen, dass sie noch keine langjährige Karriere hinter sich hätten. Es sei ihr größter Auftritt aller Zeiten gewesen.
Tatsächlich hatte das Duo die geschürten Hoffnungen zunächst mit viel Energie am Leben gehalten. Schwester Tynna tanzte auf einem gigantischen Radiorekorder, Bruder Abor spielte auf einem Cello mit LED-Beleuchtung. Die zwei hatten sich etwas vorgenommen. Das Instrument war weiß lackiert - womöglich als Referenz an die weiße Gitarre, mit der Sängerin Nicole 1982 zum ersten Mal den Musikwettbewerb für Deutschland gewonnen hatte.
„“Baller“ ist der Knaller“
In der Halle in Basel kam der Act sehr gut an. ARD-Kommentator Thorsten Schorn versuchte dann auch, Optimismus zu verbreiten. „“Baller“ ist der Knaller“, übermittelte er nach dem Auftritt dem heimischen Publikum. „Das wird hier gefeiert.“
Noch besser kam allerdings Countertenors JJ an, der für Österreich den Sieg holte. Vor allem die Jurys quer durch Europa waren von seiner dreiminütigen Pop-Oper mit dem Titel „Wasted Love“ begeistert - es hagelte viele Höchstwertungen von 12 Punkten. Abermals zeigte sich allerdings, wie sehr sich der Geschmack der Jurys von dem des Publikums unterscheidet - und welche Auswirkungen das haben kann.
Beim Publikum lag Israel deutlich vorn. Das Land hatte die Sängerin Yuval Raphael nach Basel geschickt. Die 24-Jährige ist eine Überlebende des Massakers der islamistischen Hamas und weiterer Terrorgruppen vom 7. Oktober 2023. Wegen des Gazakriegs gab es in Basel immer wieder Proteste gegen ihre Teilnahme. Am Abend versuchten nach Angaben des ESC-Sprechers des Schweizer Senders SRF sogar ein Mann und eine Frau am Ende des israelischen Auftritts auf die Bühne zu gelangen. Sie wurden gestoppt.
Am Ende reichte es trotz der vielen israelischen Publikumspunkte für JJ. Elf Jahre nach dem Triumph von Conchita Wurst hat Österreich damit wieder einen ESC-Sieger.
„Jetzt ist auch Stefan Raab wach“
Tatsächlich ist Platz 15 für Abor & Tynna auch kein schlechtes Ergebnis. In der vergangenen Dekade hat Deutschland etliche Komplettpleiten eingefahren - so schlimm kam es diesmal keineswegs. Raab erklärte die Platzierung auch mit der Konkurrenz. „Du kannst Glück haben, dass Du mit nem guten Song in den Wettbewerb einsteigst in dem Jahr, wo die Konkurrenz vielleicht eher übersichtlich ist“, sagte er. „Dieses Jahr gab es viele starke Songs mit dabei.“
Gleich zwei Jurys vergaben auch die Höchstwertung von 12 Punkten an Deutschland - die Ukraine und Tschechien. Als das Ergebnis aus der Ukraine verkündet wurde, sprang Raab auf und ballte die Faust. Kommentator Schorn stellte fest: „Jetzt ist auch Stefan Raab wach.“
Was das Bild allerdings trübte: Ausgerechnet im vergangenen Jahr hatte Sänger Isaak einen 12. Platz errungen - das war also noch ein bisschen besser. Erst danach war Raab wieder in die deutsche ESC-Auswahl installiert worden und sollte nach noch höheren Zielen greifen.
Die Erwartungen waren dabei von Anfang an hoch. Spätestens seit dem unter seiner Ägide errungenen Sieg von Lena Meyer-Landrut im Jahr 2010 umgibt Raab die Aura des ESC-Gurus. Auch als Komponist für Guildo Horn (1998, „Guildo hat euch lieb“) und bei seinem eigenen Auftritt (2000, „Wadde hadde dudde da“) gelangen ihm Top-Ten-Ergebnisse. Das Portal eurovision.de bezeichnet ihn als „Enfant terrible und Deutschlands ESC-König“.
Verpufftes „Raabinator“-Comeback?
Abor & Tynna waren in mehreren Auswahlshows zum deutschen Beitrag auserkoren worden. Die Entscheidung traf am Ende zwar das Publikum, aber Raab verantwortete die Vorauswahl. Und er erklärte kühn: „Wenn man in Deutschland noch wetten könnte auf ESC-Songs, ich würde all mein Geld darauf setzen, dass dieser Song gewinnt.“
In den vergangenen Tagen hatte er selbst auch noch einmal intensiv für das Lied getrommelt. Unter anderem versuchte er, Deutsche auf Mallorca zu einer Stimme für Abor & Tynna zu bewegen. Die ganz große Wirkung blieb aus.
Auch für Raab stand mit dem Abschneiden beim ESC einiges auf dem Spiel. Erst im vergangenen September hatte er seine jahrelange Bildschirmpause mit viel Tamtam und deutlich formulierten Ambitionen beendet. Teil des „Raabinator“-Comebacks war auch, wieder bei der Auswahl des deutschen ESC-Acts mitzumischen.
Mittlerweile ist seine wieder aufgenommene Kamera-Karriere allerdings ins Stocken geraten. Erst vor wenigen Tagen verkündete sein Haussender RTL, dass man mit den Quoten von Raabs wöchentlicher Show („Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab“) nicht mehr zufrieden sei und sie in ihrer aktuellen Form beenden werde. Im Herbst soll es ein neues Format geben. Wie das aussehen kann, steht in den Sternen.
Ob Raab noch einmal in die ESC-Maschinerie eingreifen darf, ist nun fraglich. Die ARD, die für den Wettbewerb zuständig ist, hatte die Zusammenarbeit mit dem erhofften Erfolg verkoppelt. Als ARD-Programmdirektorin Christine Strobl von der „Hörzu“ im Januar gefragt wurde, ob das Konzept mit Raab wieder auf Eis gelegt werde, sollte nicht der Sieg herausspringen, antwortete sie: „Absolut.“ Der Anspruch sei „ganz klar“, zu gewinnen. Das ist nun nicht eingetreten.