50 Millionen Euro in 50 Jahren

"Freude für alle", die Spendenaktion für die Region Nürnberg: Es begann mit 820 D-Mark

Wolfgang Heilig-Achneck

Lokalredaktion

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1.11.2019, 14:44 Uhr
Nicht nur Einzelpersonen oder Unternehmen spenden: Wie bei dieser Indoor-Cycling-Aktion strampeln sich für den guten Zweck auch Vereine, Schulklassen, Stammtische und andere Gruppen ab.

© Eduard Weigert Nicht nur Einzelpersonen oder Unternehmen spenden: Wie bei dieser Indoor-Cycling-Aktion strampeln sich für den guten Zweck auch Vereine, Schulklassen, Stammtische und andere Gruppen ab.

Die Geburt war alles andere als spektakulär. Es war kein Wunschkind. Einen Namen bekam das Baby auch erst später. Von der Redaktion weder geplant noch beworben, wurde eine bewegende Reportage zur Keimzelle der Spendenaktion vor Weihnachten, die unter dem Titel "Freude für alle" zum Begriff wurde. 2019 läuft sie zum 50. Mal. Und wie passend: In all den Jahren haben ihr Einzelpersonen, Vereine, Schulklassen, Firmen und andere insgesamt mehr als 50 Millionen Euro anvertraut. Das Geld kam und kommt Bedürftigen in der Region zugute – und genau das ist vielen Spenderinnen und Spendern besonders wichtig.

Im Kern versteht sich "Freude für alle" bis heute als Leseraktion: Sie bietet die Gelegenheit, Mitbürger zu unterstützen, die mit chronischen Krankheiten, Behinderungen, Schicksalsschlägen oder anderen Notlagen zu kämpfen haben. Denn es waren Leser, die den Anstoß dazu gegeben hatten. "Wunschzettel – nicht für Rentner": Unter dieser Schlagzeile war kurz vor Weihnachten 1969 ein Beitrag über die Situation von älteren Menschen erschienen, die über nicht mal 200 Mark im Monat verfügten. Ein neuer Mantel, warme Schuhe, geschweige denn ein Fernseher – davon konnten sie nur träumen.

Es begann mit 820 D-Mark

NN-Redakteur Siegfried Ruckdeschel schilderte das Los einer 98-Jährigen, die nach einem Sturz halb gelähmt war, und ihrer 60-jährigen Tochter, die ebenfalls auf Krückstöcke angewiesen war. "Bei Schnee und Glätte waren sie in ihrer 43-Quadratmeter-Wohnung praktisch eingeschlossen." Am folgenden Tag brachten Leser Zehn- und 20-Mark-Scheine ins Zeitungshaus mit der Bitte, die Spenden denen zu überbringen, die vom Wirtschaftswunder ausgeschlossen blieben. 820 D-Mark kamen zusammen, ganz ohne Spendenaufruf.

Leser und Redaktion waren so bewegt und berührt, dass die Nürnberger Nachrichten den Faden im Dezember 1970 aufnahmen und ausdrücklich um Gaben baten – diesmal am Beispiel eines Kriegsverletzten, der in armseligen Verhältnissen in einem alten Stadtmauerturm lebte. Nach dem Krieg hatte er sich die Kammer in Eigenarbeit hergerichtet und die Wände mit Packpapier verkleidet. "Früher hat der Rentner noch die Gitarre gespielt, die jetzt über seinem Bett hängt", schrieb Siegfried Ruckdeschel, der zum Vater der Weihnachtsaktion wurde. Über Jahrzehnte hinweg hat er sie auf- und ausgebaut, vor allem durch schrittweise Einbeziehung immer weiterer Städte und Landkreise im Großraum Nürnberg.

Neue Herausforderungen

Seit langem deckt "Freude für alle" das gesamte Verbreitungsgebiet dieser Zeitung ab – und ist zugleich auch darauf begrenzt. Mit einer Besonderheit: Um Menschen in Not in Westmittelfranken kümmert sich die parallel laufende Aktion "FLZ-Leser helfen" der Fränkischen Landeszeitung Ansbach, selbstverständlich auch dort in enger Abstimmung mit den örtlichen Sozialdiensten.

Der Ausdehnung war es zu verdanken, dass "Freude für alle" von Jahr zu Jahr ein kleines Plus verbuchen durfte. Vor der Jahrtausendwende war bereits die Millionenschwelle mit 2,3 Millionen D-Mark im Jahr 1999 überschritten. Seither zeigten sich die Spenderinnen und Spender noch großzügiger, so dass dieselbe Summe erreicht wurde – in Euro. Benötigt werden die Zuwendungen allemal, gilt es doch, jährlich mehr als 6000 Haushalte von Familien und Alleinstehenden zu bedenken.

Natürlich blieb die Weihnachtsaktion im Laufe des halben Jahrhunderts nicht unberührt von Herausforderungen: Die Altersarmut, quasi Auslöser, ist nicht kleiner, sondern größer geworden. Und unverändert bemüht sich "Freude für alle" um Unterstützung von Obdach- und Wohnungslosen sowie Menschen, die davon bedroht sind – auch durch Spenden, um Räumungen abzuwenden.

Erster Anlauf schon 1955

Dauerthemen sind auch Behinderungen und chronische Krankheiten wie Aids, Epilepsie, Muskelschwund und andere – weil viele Betroffene erfahren müssen, dass die Leistungen von Kassen und Sozialhilfeträgern für eine gute Versorgung oft nicht ausreichen. Und ganze Bände ließen sich füllen mit den Nöten von Alleinerziehenden.

Übrigens zeigt ein Blick ins Archiv, dass es bereits 1955 eine Vorläufer-Aktion gegeben hatte: Unter dem Namen "Das goldene Herz" war sie vor allem der Unterstützung von Mitbürgern gewidmet, die noch unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs zu leiden hatten. Schon da bildeten ergreifende Schilderungen von Einzelschicksalen das Rückgrat: etwa über 70 Parteien, die zusammengepfercht in kalten Bunkerräumen an der Hirsvogelgasse untergebracht waren, teils zu siebt auf 26 Quadratmetern. Bei einer Invalidenrente von knapp 130 D-Mark ließen sich ihre Sorgen in zwei Fragen zusammenfassen, wie die NN schrieben: "Was ziehen wir an? Wie werden wir satt?"

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