Hoffen auf die Jugend in der Ukraine

9.10.2014, 18:09 Uhr
Hoffen auf die Jugend in der Ukraine

© Foto: Günter Distler

Norbert Schürgers kann sich noch genau daran erinnern wie es war, damals Anfang der 90er Jahre, als eine Delegation aus Nürnberg den Partnerschaftsvertrag mit der ostukrainischen Stadt Charkiw aushandelte. „Die Idee, dass auch engagierte Bürger und nicht nur die Behörden der beiden Städte mitreden sollten, war unseren ukrainischen Partnern damals noch sehr fremd“, erzählt der Leiter des Amtes für Internationale Beziehungen der Stadt Nürnberg.

Und heute, gut 20 Jahre und einen blutigen Krieg später? Hat nicht nur Schürgers einen neuen Sinn für zivilgesellschaftliches Engagement in Nürnbergs Partnerstadt ausgemacht. Die geschätzt 35.000 bis 70.000 Flüchtlinge, die aus dem benachbarten Kriegsgebiet nach Charkiw gekommen seien, würden inzwischen vor allem von den Bürgern der Stadt versorgt und betreut — und nicht mehr nur von den Behörden, berichtet Professor Diether Götz, der als Mitglied des Vorstands des Partnerschaftsvereins die Stadt oft besucht hat.

Neues Volksbewusstsein

„Noch nie waren sich die Ukrainer so bewusst, dass sie ein Volk sind“, beschreibt Götz das Zusammenrücken der Menschen infolge des Krieges.

Natürlich sind Bürger, welche die Belange ihrer Kommune in die Hand nehmen, noch lange keine Lösung für den blutigen Machtkampf, der um die Ukraine entbrannt ist. Aber das neu erwachte Engagement der Menschen ist ein Beispiel dafür, dass in der Ukraine gerade viel passiert — jenseits der Auseinandersetzung um die Ost- oder Westanbindung des Landes.

Es sind vor allem solche Details, die das „Nürnberger Stadtgespräch“ beleuchtet — und weniger die großen machtpolitischen Zusammenhänge. Über 400 Interessierte sind zu der Veranstaltung gekommen, die vom Bildungszentrum der Stadt, dem Caritas-Pirckheimer- Haus und den Nürnberger Nachrichten organisiert wurde. Viele der Besucher machen sich Notizen, und die emotionalen, teils hitzigen Redebeiträge zeigen, dass das Thema kaum jemanden kalt lässt.

Ausgleich mit Russland?

Auch nicht zurückgekehrt ist. „Da passiert etwas sehr Wertvolles“, beschreibt der Außenpolitik-Experte seine Begegnungen mit vielen jungen, engagierten Ukrainern, die vielleicht eine „Temperaturverschiebung in dieser Gesellschaft bewirken“ werden. Das sei bei seinem ersten Besuch 1992 noch undenkbar gewesen, erinnert sich Escher.

Hoffnung machen ihm nicht zuletzt die Prognosen für den Ausgang der Parlamentswahl am 26. Oktober, bei denen das Lager von Präsident Poroschenko mit weitem Abstand in Führung liegt. Poroschenko stehe, anders als Premier Jazenjuk, so Escher, für einen gemäßigten, ausgleichenden Kurs gegenüber Russland.

Die radikalen Nationalisten könnten zwar die zweitstärkste Kraft im Parlament werden, aber nur weit abgeschlagen mit rund zehn Prozent der Stimmen. „Da muss man der Bevölkerung schon ein dickes Lob machen, dass sie der Versuchung widersteht, mehrheitlich radikal zu wählen“, findet Escher.

Und Professor Julia Obertreis, Historikerin an der Universität Erlangen-Nürnberg, ergänzt mit Blick auf die Geschichte des Landes: „Wir sollten Rücksicht darauf nehmen, dass die Ukraine noch ein sehr junger Staat ist, dessen nationale Identität noch nicht völlig ausgeprägt ist“. Schließlich existiere eine unabhängige Ukraine erst seit 1991.

Fehler der EU

Dennoch: Von Frieden ist die Ukraine noch immer weit entfernt. Unter anderem, weil die EU bei der Durchsetzung des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine gemacht habe, da sind sich die Podiumsteilnehmer einig. Doch das berechtige Russland, das die Unabhängigkeit der Ukraine im Budapester Protokoll garantiert haben, nicht, so Götz, die Souveränität des Landes anzutasten: „Wenn die Mehrheit der Ukrainer sich nach Europa orientieren will, dann hat Moskau das zu respektieren.“

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