Corona-Pandemie

"Jeder wird in Kontakt kommen": Warum es keine Herdenimmunität geben wird

5.8.2021, 06:00 Uhr
Die Hoffnung auf Herdenimmunität ist fast so alt wie die Corona-Pandemie.

© Sven Hoppe/dpa Die Hoffnung auf Herdenimmunität ist fast so alt wie die Corona-Pandemie.

"Einige reden von 70 Prozent, andere von 80 oder gar 85 und mehr. Doch diese Zahlen sind eher willkürlich gewählt. Selbst bei 85 oder 90 Prozent Immunisierungsquote kann SarsCov2 noch in Gruppen von empfänglichen Menschen zirkulieren", sagt Detlev Krüger, 27 Jahre Chefvirologe an der Charité in Berlin und heute Seniorprofessor an eben jener Einrichtung. Er widerspricht damit der Vorstellung, dass ab einem gewissen Anteil Immunisierter plötzlich Schluss mit Corona sei.

Über 15 Monate hinweg war genau diese Vorstellung so etwas wie eine Oase, die unzählige Menschen durch die Pandemie trug: Dass ab einem bestimmten Zeitpunkt ein derart großer Teil der Bevölkerung durch natürliche Infektion oder Impfung immunisiert sein würde, dass die Verbreitung von SarsCov2 komplett zum Erliegen käme. "Herdenimmunität", so die Bezeichnung für das scheinbar rettende Ufer, das bislang als Ziel sämtlicher Maßnahmen gehandelt wurde, und das einen wesentlichen Nutzen mit sich bringen soll: Den Schutz von Nicht-Immunen, die auf diese Weise ohne eigenen Viruskontakt vor einer Infektion gefeit wären.

"Jeder wird in Kontakt kommen"

Doch in letzter Zeit mehren sich die Stimmen der Experten, die überzeugt sind: Jeder wird früher oder später mit SarsCov2 in Kontakt kommen. "Diejenigen, die sich aktiv gegen die Impfung entscheiden, müssen wissen, dass sie sich damit auch aktiv für die natürliche Infektion entscheiden", formulierte es der Chefvirologe der Charité, Christian Drosten, vor einigen Wochen in seinem wöchentlichen NDR-Podcast.

Ein Szenario, das das bisherige Ziel einer Herdenimmunität zur bloßen Fata Morgana verblassen lässt, denn deren Nutzen - also eben der zusätzliche Schutz jener, die sich selbst nicht schützen können - wäre damit weitgehend hinfällig. Wenn wirklich jeder einzelne sich infiziert, könnte auch niemand durch eine immune "Herde" komplett abgeschirmt werden.

Grund hierfür ist vor allem die Art des Erregers: Ein schnell mutierendes Atemwegsvirus, bei dem weder eine vorangegangene Infektion noch die aktuellen Impfstoffe sterile Immunität bringen. Das heißt, ein Immunisierter erkrankt in der Regel zwar weniger schwer, kann das Virus aber dennoch weiterverbreiten.

Richtig ist: Je mehr Menschen bereits infiziert oder geimpft wurden, desto schlechter kann das Virus sich verbreiten und desto schwerer findet es empfindliche Personen. "Dies geschieht aber vielmehr in einem graduellen Prozess, der nichts mit konkreten Prozentzahlen zu tun hat", erklärt Krüger.

"Nicht länger an Prozentzahlen klammern"

Krüger rät deshalb dazu, sich nicht länger an konkrete Prozentzahlen zu klammern. "Das sind alles politisch motivierte Zahlen, die nur bedingt nutzen. Man wird nie eine vollständige Immunisierung erreichen, und man wird auch immer wieder Neueinträge aus der Umgebung, aus anderen Ländern oder vielleicht sogar von Tieren haben."

Das Entscheidende, so Krüger, sei der Schutz der Risikogruppen. "Die vollständige Herdenimmunität ist eine Illusion", sagt er. Wenn das Virus ähnlich wie ein harmloses Schnupfenvirus grassiere, weil die Alten und Empfindlichen bereits geschützt seien, seien Zahlen wie die konkrete Immunisierungsrate oder auch die Infektionsinzidenz in der Gesamtbevölkerung nicht mehr von entscheidender Bedeutung. "Deshalb sollte - ohne direkten oder indirekten Impfzwang - alles getan werden, um möglichst große Anteile der älteren und gesundheitlich vorbelasteten Bevölkerung zur Impfung zu bewegen."

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