Höchstens wenige Monate möglich
Keine Abschreckungseffekte und große Belastung: Was bringen die Zurückweisungen an den Grenzen?
23.05.2025, 05:00 Uhr
Ein großer Teil des Wahlkampfes vor der Bundestagswahl im Februar hat sich um das Thema Migration gedreht. Besonders die CDU/CSU hat schärfere Kontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen gefordert - und jetzt als eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung umgesetzt. Konkret bedeutet das, dass nun Geflüchtete, die Asyl suchen, aber aus einem sicheren Drittstaat einreisen, an der Grenze zurückgewiesen werden können beziehungsweise müssen. Das ist in einer neuen Weisung von Innenminister Alexander Dobrindt festgelegt.
Dafür müssen deutlich mehr Einsatzkräfte der Bundespolizei an den Grenzen zum Einsatz kommen - „eine außergewöhnliche Situation für die Bundespolizei“, sagt Sven Hüber, Erster Polizeihauptkommissar und Stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei bei einer Informationsveranstaltung von Mediendienst Integration. Seit Polen und Tschechien dem Schengen-Abkommen (ein internationales Übereinkommen zur Abschaffung der stationären Grenzkontrollen und freiem Personenverkehr in Europa) beigetreten sind, habe man die Grenzkontrollstellen sehr weit abgebaut. Inzwischen gebe es nur noch vereinzelte.
Auch deshalb seien die Arbeitsbedingungen für die Polizistinnen und Polizisten, die jetzt wieder vermehrt an den Grenzen eingesetzt werden, „durchaus kritikwürdig“, so Hüber. Die Dienstpläne wurden umgestellt, die Einsatzkräfte arbeiten in Zwölf-Stunden-Schichten, es wird auf Fortbildungen verzichtet und Überstunden können aktuell nicht abgebaut werden. „Die Bundespolizei ist solche Einsatzlagen gewohnt“, sagt Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei für den Bereich Bundespolizei. Die große Frage sei aber: „Wie lange können wir diesen Zustand aufrechterhalten?“ Roßkopf spricht von wenigen Wochen, höchstens einigen Monaten.
Aufgrund der Weisung des Bundesinnenministeriums ist man von EU-Recht auf nationales Recht umgestiegen. Zwar steht in der Weisung eine Kann-Formulierung, Roßkopf betont aber: „Menschen, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben, haben wir zurückzuweisen.“ Die Bundespolizei sei der Weisung klar gebunden.
Das Dilemma mit der neuen Weisung
Die hat derzeit aber einige Fragezeichen und Probleme in der Umsetzung. Zum einen gibt es da die Rechtsdebatte, die aktuell geführt wird. Diskutiert wird dabei unter anderem, ob die Zurückweisung von Geflüchteten an den Grenzen überhaupt rechtmäßig ist. „Darüber streiten Juristen, nicht wir“, sagt Roßkopf. Wichtig sei nur, dass die einzelnen Polizistinnen und Polizisten nicht haftbar für die Zurückweisungen sind, sollte entschieden werden, dass sie nicht rechtmäßig sind. Das Innenministerium müsse die Konsequenzen dann selbst ziehen.
Eine weitere rechtliche Frage ist die Drittstaatenregelung, also dass Menschen, die aus einem sicheren Nachbarland einreisen wollen, zurückgewiesen werden können. Das sei eigentlich nicht auf Mitgliedstaaten der EU anzuwenden, so Hüber. „Das ist ein Dilemma, das durch die Bundespolizei nicht aufgelöst werden kann.“ Die Haltung der Nachbarstaaten sei hier ambivalent, beispielsweise Polen habe Zurückweisungen bereits abgelehnt.
Denn Fakt ist auch, dass die betroffenen Personen an den Grenzen nicht einfach zurückgewiesen werden können. Es muss ein Antrag gestellt werden, die Entscheidung, ob ein Nachbarland zustimmt und die Person wieder aufnimmt, kann nicht Deutschland treffen, erklärt Hüber. „Die Achillesferse der Grenzpolitik ist die Zusammenarbeit mit den anderen Ländern.“ Lehnt ein Drittstaat ab, kommt die Person in eine Erstaufnahmeeinrichtung in Deutschland und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge behandelt sie im Rahmen des Dublin-Verfahrens (europäisches Verfahren, das die Kriterien für die Zuständigkeit für ein Asylverfahren festlegt).
Bundespolizei erwartet keine Abschreckungseffekte
Nicht betroffen von der Zurückweisung an der Grenze sind nur „erkennbar vulnerable Personen“. Dazu gehören Schwangere, Erwachsene mit sehr kleinen Kindern, allein reisende Kinder und kranke Menschen. Die Einsatzkräfte der Bundespolizei werden laut Hüber darauf vorbereitet, wie mit möglicherweise kranken, dehydrierten oder traumatisierten Personen umzugehen ist. Auch in den Dienstvorschriften sei der sensible Umgang mit Schutzsuchenden in breiten Passagen dargelegt. Außerdem seien Beamtinnen und Beamte auch dazu verpflichtet, medizinische Hilfe zu gewährleisten. „Die Beamten handeln da schon bewusst, niemand wird bei uns eine dehydrierte Schwangere nach Polen zurückschicken oder in eine Gewahrsamszelle stecken“, betont Hüber.
Familien beispielsweise gelten nicht als vulnerabel, so Hüber. Im Zweifel werde die komplette Familie zurückgewiesen. In der ersten Woche mit der neuen Weisung sei aber noch keine Familie an der Grenze angekommen und kontrolliert worden.
Die neue Weisung hat ein weiteres Problem: „Wir können nicht überall sein“, sagt Hüber. Deutschland habe eine 3800 Kilometer lange Binnengrenze, da würde auch der Aufbau von stationären Grenzkontrollen nicht helfen. Davon sei man bei der Bundespolizei sowieso kein Fan. „Einsickerung nach Deutschland passiert auf allen möglichen Ebenen. Schleiergrenzkontrollen wären viel effektiver.“ Für ein wirkliches Ablaufen und Kontrollieren der Grenzen sei die Bundespolizei aber nicht ausgestattet. „Eine hundertprozentige Überwachung kann und wird es aber auch damit nie geben“, sagt Roßkopf.
Das ist auch der Grund, warum die Polizei nicht erwartet, dass die neue Weisung für Abschreckung und damit in Zukunft weniger Migration sorgen wird. Die Schleusungsorganisationen seien hochprofessionell und reagierten schnell auf die Maßnahmen der Länder, so Roßkopf. „Die verfolgen ja auch, was bei uns passiert“, sagt Hüber. Die Menschen, die nach Deutschland gebracht werden sollen, bleiben dann eben erstmal in den Zwischenunterkünften. Hüber geht davon aus, dass die Schleuser darauf warten, dass die Grenzkontrollen wieder nachlassen, und die Menschen dann ins Land bringen. Der Ertrag der Zurückweisungen halte sich also in „sehr sehr engen Grenzen“.
Der richtige Weg für Hüber und Roßkopf sei das Vorgehen gegen die Schleuserstrukturen, woran Europol mit den einzelnen Ländern bereits arbeitet. Denn ohne Schleuser gebe es auch keine illegale Migration nach Deutschland.