Schärfere Regeln wären notwendig

Kommentar: Das Tabu der Geimpften - Corona-Politik steckt in einer selbstgeschaffenen Falle

9.11.2021, 13:46 Uhr
Ja, Corona-Schutzmaßnahmen wirken sehr oft wie eine Zumutung. Aber sie sind notwendig, soll die derzeitige Lage nicht eskalieren. Und die Politik muss auch den Geimpften wieder mehr abverlangen.

© Fleig / Eibner-Pressefoto via www.imago-images.de, imago images/Eibner Ja, Corona-Schutzmaßnahmen wirken sehr oft wie eine Zumutung. Aber sie sind notwendig, soll die derzeitige Lage nicht eskalieren. Und die Politik muss auch den Geimpften wieder mehr abverlangen.

Kurzfristige Absagen im Kulturbetrieb, das Staatstheater führt ab sofort 2G ein: Die momentan prekäre Corona-Lage mit Inzidenzhöchstwerten und roter Krankenhausampel in Bayern bringt nicht nur das kulturelle, sondern das gesamte gesellschaftliche Leben wieder enorm unter Druck.

Gleichzeitig verstärkt sich der Eindruck, dass die Politik – unabhängig vom langwierigen Regierungswechsel in Berlin – auch auf Länderebene auf die momentane Krisensituation kaum noch adäquat reagieren kann. Zentral für diese Handlungsunfähigkeit ist das immer wieder vorgetragene Argument, dass schärfere und konsequente Schutzmaßnahmen derzeit nicht möglich sind, weil sie für doppelt Geimpfte zu starke Grundrechtseinschränkungen bedeuten würden.

Gerade mal sechs Monate

Das könnte eine fatale Fehleinschätzung sein. Verdichten sich doch gerade die medizinischen Erkenntnisse – zum Beispiel in neuen Studien aus Israel, wo die 4. Welle nur durch massives „Boostern“ gebrochen werden konnte –, dass ein ausreichender Immunschutz bei doppelt Geimpften gerade mal sicher sechs Monate nach der zweiten Impfung hält.

Wer bis dahin nicht geboostert ist, wird damit womöglich selber wieder zum Gefährdeten und Gefährder. Auf diesem Erkenntnisstand ist die Politik aber noch nicht, deshalb sind die von ihr gerade veranlassten „Verschärfungen“ so lasch und inkonsequent.

Vielleicht will man nicht rasch und deutlich kommunizieren, dass die Impfungen nicht so dauerhaft wirken wie erhofft, um die Impfbereitschaft nicht weiter zu senken. Dabei sollte klar sein: Trotz möglicher Schwächen gibt es keine bessere Corona-Schutzmaßnahme als die Impfung!

Allerdings nimmt die vierte Welle Optimisten Wind aus den Segeln: Vielleicht müssen wir erstmal mit der Erkenntnis leben, dass alle sechs Monate eine Corona-Auffrischungs-Impfung nötig ist. Angesichts 83 Millionen Menschen in Deutschland mit einer mauen Impfquote von 70 Prozent sowie einer weltweiten Impfquote von nur 40 Prozent sind das keine rosigen Aussichten.

Wenigstens sollte nun die Politik in Deutschland sich von dem Dogma verabschieden, dass man den doppelt Geimpften – und den Genesenen, deren Status ja auch nur für sechs Monate als „sicher“ gilt – nicht wieder neue Schutzmaßnahmen zumuten könne.

Das Gegenteil muss der Fall sein. Und weiterführende Fragen sollten rasch und ehrlich beantwortet werden: Wird das digitale Impfzertifikat bald zeitlich befristet und ein Verfallsdatum bekommen? Können volle Theater oder Clubs in kritischen Corona-Zeiten ohne Abstand und Maske bald nur noch von Menschen besucht werden, wenn sie geimpft und zugleich getestet sind?

Die Antworten könnten unangenehm sein. Aber Politiker wie Merkel, Scholz und die gerade wieder sehr unkoordiniert agierenden Ministerpräsidenten sollten sie klar und rasch geben.

Eine Ahnung, wie die Antworten ausfallen könnten, bekam man in der Pressekonferenz von Ministerpräsident Söder und dem bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek am Dienstag. Sie lieferte ein paar jener Denkanstöße, die nun dringend notwendig sind.

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