Kommentar: Es brennt schon lange in Moria

10.9.2020, 10:34 Uhr
Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos stand nach dem Ausbruch mehrerer Brände in der Nacht zum Mittwoch fast vollständig in Flammen.

© ANGELOS TZORTZINIS / AFP Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos stand nach dem Ausbruch mehrerer Brände in der Nacht zum Mittwoch fast vollständig in Flammen.

Moria? Da war doch was . . . Ja. Das Lager auf Lesbos ist seit Jahren ein Sinnbild für die europäische Flüchtlingspolitik. Dort ist auf den ersten Blick sichtbar, wie der Kontinent mit Migranten umgeht: Er hält sie ab, er will sie erst mal loswerden und zurückschicken. Das geschieht aber dort, wo man nicht unbedingt hinsehen muss - auf einer Insel im Mittelmeer. Und das Thema "Flucht" wurde, auch von uns Medien, in den vergangenen Corona-Monaten weitgehend ausgeblendet. Dabei erhöht auch Corona gerade in ärmeren Staaten die Fluchtursachen.

Dass Europa da nicht alle aufnehmen kann, das liegt auf der Hand. Zumal die Zahl der Migranten in den kommenden Jahren weiter steigen dürfte – so, wie sie es in der Vergangenheit regelmäßig tat. Dafür gibt es zu viele Gründe: Bürgerkriege, die nach wie vor wüten (Syrien, Jemen etc.); Perspektivlosigkeit in zahlreichen Staaten; die für alle dank sozialer Medien inzwischen auf einen Blick sichtbare globale Ungleichheit mit einem nach wie vor reichen Westen und vielen Krisenländern. Hinzu kommen neue Fluchtursachen wie der (ebenfalls aktuell zu sehr ausgeblendete) Klimawandel, der Regionen unbewohnbar zu machen droht.

Europa verhält sich in Sachen Flucht zwiespältig. Seit Jahren wird um das Dublin-Abkommen gestritten, das vorsieht, dass das Land für die Aufnahme von Flüchtlingen zuständig ist, in dem Migranten ankommen. Das führt zu jener Belastung der Mittelmeer-Anrainer, die nun zum Beispiel Lesbos buchstäblich in den Brennpunkt stellt.

Das EU-Türkei–Abkommen ist ein höchst pragmatischer Deal: Erdogans Regime bekommt Geld, weil es Flüchtlinge aufnimmt (und zwar weit mehr als europäische Staaten) und von der Weiterreise in die EU abhält. Eine schlüssige Migrationspolitik sieht anders aus.

Aber sie scheitert aktuell und wohl noch länger an der Uneinigkeit der Europäer, ablesbar an einer Ost-West-Kluft: Staaten wie Ungarn oder Polen lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen ab. Andere sind bereit, Kontingente zu übernehmen - zumindest verbal. Erinnert sei allerdings an den blamablen Vorfall vom Frühjahr, als Deutschland darüber stritt, ob es 50 (fünfzig) junge Migranten aufnehmen soll oder nicht.

Erbärmlicher Streit

Das wiederholt sich nun, angesichts der Bilder aus Moria. Und es ist ein erbärmlicher Streit: Humanitäre Hilfe ist das Mindeste, was Staaten nun leisten können, ja müssen, die durch ihre (Nicht)Politik Zustände wie die in dem Lager verschärfen.


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Und danach wäre es dringlich, noch einmal ein EU-Konzept zu suchen. Oder es, falls das scheitert, zu lassen und auf nationale Lösungen zu setzen. Das Flüchtlingsdrama ist ja nur ein Eiertanz, den eine EU zwischen Anspruch und Wirklichkeit vorführt. In Sachen Nawalny und Weißrussland ist ähnliches zu erleben: Hehre Worte, keine Taten.

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