Kommentar: Seehofer ist der "Problem-Minister"

7.9.2018, 08:16 Uhr
Innenminister Horst Seehofer sieht "die Migrationsfrage" als "die Mutter aller politischen Probleme" in Deutschland.

Innenminister Horst Seehofer sieht "die Migrationsfrage" als "die Mutter aller politischen Probleme" in Deutschland.

Nehmen wir mal an, Horst Seehofers Satz stimmt und "die Migrationsfrage" ist wirklich "die Mutter aller politischen Probleme" in Deutschland. Wer, bitte, trägt dann die Verantwortung für diese "Mutter", wenn nicht die Unionsparteien im Allgemeinen und der von ihnen seit 2005 gestellte Bundesinnenminister im Besonderen?

Seehofers These wäre daher in erster Linie eine Selbstanklage: Für politische Probleme ist die Politik zuständig; für Zuwanderung vor allem der Innenminister. Der heißt zwar erst seit knapp einem halben Jahr Horst Seehofer. Doch auffällig ist, wie viel der CSU-Chef fordert, redet und kritisiert - und wie wenig er selbst in seinem Riesenressort konkret tut.


Seehofer spaltet die Nation: Was sagen deutsche Politiker?


Hätte Seehofer gesagt: Die Massenzuwanderung von 2015 hat viele bestehende Probleme verschärft - niemand hätte ihm ernsthaft widersprechen können. Natürlich drängen auch Flüchtlinge auf einen ohnehin überhitzten Wohnungsmarkt. Natürlich finden manche, aber längst nicht alle Migranten einen Arbeitsplatz - sehr viele beziehen Hartz IV. Natürlich wäre die sinkende Gewaltkriminalität noch niedriger ausgefallen, hätte es nicht viele Messerattacken durch Zuwanderer gegeben, deren letzte der Auslöser der Chemnitzer Unruhen war.

Alles gewaltige Herausforderungen für einen Bundesinnenminister: den Wohnungsbau fördern, für eine bessere Integration von Migranten mit Bleibeperspektive sorgen - da könnte Seehofer sich profilieren. Wenn er die Themen denn ernsthaft anpackte.

Manischer Kampf gegen Merkel

Aber er steckt fest im Dauerwahlkampf. Und vor allem im längst manisch zu nennenden, pathologischen Kampf gegen jene Dame, die viele in der Union gern "Mutti" nennen - und die Seehofers politisches Problem ist: Angela Merkel. Letztlich ist Seehofers Satz nichts anderes als die x-te Neuauflage seines Kleinkriegs mit der Kanzlerin, an dem im Frühsommer beinahe die Koalition zerbrochen wäre - wegen, man kann es nicht oft genug wiederholen, einer Handvoll Flüchtlinge, die durch Seehofers Vorhaben an der Grenze zurückgewiesen werden könnten.

Es heißt, Seehofer wolle die AfD bekämpfen. Eine AfD, der Markus Söder inzwischen knallharte Gegnerschaft angesagt hat - weil er erkennt, wohin sie steuert: Sie erklärt sich zum Gegner jenes "Systems", in dem sie prächtig gedeiht. AfD-Chef Gauland rief zur "stillen Revolution" auf, manche in der AfD fordern das Recht auf Bewaffnung: Da ist ein Teil einer Partei auf dem Weg zum Möchtegern-Umsturz und übt, siehe Chemnitz, den Schulterschluss mit Nazis. Die ein teils gewalttätiges Drohszenario aufbau(t)en nach dem schlimmen Todesfall: Der Streit darüber, ob es "Hetzjagden" gab oder nicht, kann nicht vertuschen, welche Wucht an Emotion und Aggression sich da entlud (übrigens auch beim Großkonzert vom Montag, bei dem etliche Bands unerträgliche Zeilen sangen).

Kaum zu fassen

Seehofer wäre, sagte er, mitmarschiert beim Protest, "nicht bei den Radikalen". Bei allem Verständnis für Trauer und (weit mehr) Wut: Die Stoßrichtung war unübersehbar. Und da will sich ein Verfassungsminister einreihen? Kaum zu fassen. So bekämpft er die AfD nicht, so fördert er sie. Und grätscht voll hinein in jene von Söder angestoßene Kurskorrektur des CSU-Schlingerwahlkampfs.

Migration als Grundproblem? Die These an sich ist ebenso falsch wie pauschal fremdenfeindlich. Unser Land profitierte immer wieder von Zuwanderung. Und die entsteht oft aus der Not geboren. Wegen Kriegen, Verfolgung, auch wegen Armut oder Klimakatastrophen. Das sind die Mütter sehr vieler Probleme; wegen solcher Missstände, für die auch die Politik des Westens mitverantwortlich ist, entsteht Migration erst. Seehofers Parteifreund, Entwicklungsminister Gerd Müller, sollte ihm das mal erklären.

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