Kommentar: Unangebrachter Spott gegen Lehrer in der Krise
07.05.2020, 10:10 Uhr
Lehrerinnen und Lehrern mangelt es in diesen Tagen an einigem: An technischer Ausstattung, an Serverkapazitäten, an klaren Ansagen von Schulbehörden und an didaktischen Blaupausen für eine nie dagewesene Form des Heimunterrichts. Was sie zur Genüge bekommen: Klagen und Spott. Weil kein ausgereiftes Konzept für das E–Learning in der Schublade lag, nicht in jedem Fach eine Team-Konferenz stattfindet und nicht täglich ein selbst erstelltes Erklärvideo zur Photosynthese hochgeladen wird. Jetzt sehe man, welche Dinosaurier in den Schulen ihr Unwesen treiben! Und überhaupt: schicken ein paar Arbeitsaufträge und legen sich dann wieder auf die Terrasse.
Die Nerven liegen daheim blank
So oder ähnlich dürfen es Lehrer in Elternmails lesen, in Blogs, in manchen Medien und in sozialen Netzwerken sowieso. Es ist nachvollziehbar, dass die Nerven daheim blank liegen. Den Frust an den Lehrern auszulassen ist weder gerechtfertigt noch fair. Sie sind das letzte Glied in der Kette und baden in dieser Ausnahmesituation das politische Schneckentempo bei der Digitalisierung genauso aus wie Familien.
Noch immer stecken die Milliarden aus dem Digitalpakt vielerorts im Förderrichtlinien-Dickicht fest, und wer nicht weiß, ob seine Schule vor dem Sankt Nimmerleinstag WLAN und Tablets bekommt, konzentriert sich zu Recht lieber auf guten analogen Unterricht als auf E-Learning-Konzepte. Es überrascht niemanden, dass 66 Prozent der befragten Lehrer in einer aktuellen Forsa-Umfrage angeben, dass ihre Schule technisch weniger gut oder schlecht für die aktuelle Situation ausgestattet ist, bei den Grundschulen sind es gar 82 Prozent. Dazu kommen Widrigkeiten wie Eltern, die kein Deutsch sprechen, oder Kinder ohne Zugang zu Rechner und Drucker. Der Heimunterricht kann unter diesen Umständen gar nicht mehr sein als absoluter Notbetrieb.
Natürlich gibt es auch unter den Lehrern – wie in jedem Job – Drückeberger und Faule. Übersehen werden die anderen: Die einem Dutzend Kinder ohne technische Ausstattung jede Woche die Arbeitsmaterialien an die Haustür bringen, die im Freundeskreis hausieren gehen, um alte Laptops für ihre Schüler aufzutreiben, und die sich mit aller Macht dagegen stemmen, dass Corona die soziale Kluft in ihren Klassen nicht noch vertieft. Die meisten geben unter schwierigen Bedingungen ihr Bestes.
Öffnung der Schulen: Eltern fordern "glasklare Ansagen an Lehrer"
Und: Seit dem Kaltstart haben viele in einem Sprint didaktisch und digital aufgeholt. So wie durch die Corona-Krise in den Unternehmen der Turbo in Sachen Digitalisierung gezündet wurde, wird das Know-how, das sich die Lehrer jetzt aneignen, hoffentlich auch beim E–Learning und der weiteren Digitalisierung in den Schulen als Katalysator wirken. Bis dahin wäre es angebracht, auch Lehrern ein Mindestmaß an Anerkennung und Solidarität entgegenzubringen – und sich blöde Sprüche zu verkneifen.
Über aktuelle Entwicklungen in der Corona-Krise berichten wir im Liveticker. Sie haben selbst den Verdacht, an dem Virus erkrankt zu sein? Hier haben wir häufig gestellte Fragen zum Coronavirus zusammengestellt.
Die Anzahl der Corona-Infizierten in der Region finden Sie hier täglich aktualisiert. Die weltweiten Fallzahlen können Sie an dieser Stelle abrufen.
Wir informieren Sie mit unserem täglichen Corona-Newsletter über die aktuelle Lage in der Coronakrise, geben Ihnen Hinweise zum richtigen Verhalten und Tipps zum alltäglichen Leben. Hier kostenlos bestellen. Immer um 17 Uhr frisch in Ihrem Mailpostfach.
Sie bevorzugen Nachrichten zur Krise im Zeitungsformat? Erhalten Sie mit unserem E-Paper-Aktionsangebot immer die wichtigsten Corona-News direkt nach Hause: Ein Monat lesen für nur 99 Cent! Hier gelangen Sie direkt zum Angebot.
16 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen