Kommentar: Warum die EU ein einheitliches Wahlrecht braucht

3.7.2019, 11:00 Uhr
Der EU-Sondergipfel in Brüssel bedeutete das Aus für den Spitzenkandidaten-Prozess.

© Jean-Francois Badias, dpa Der EU-Sondergipfel in Brüssel bedeutete das Aus für den Spitzenkandidaten-Prozess.

Dieser EU-Gipfel in zwei Etappen bedeutet das Ende einer Idee. Mehr Demokratie sollte der sogenannte Spitzenkandidaten-Prozess schaffen. An diesem Dienstag wurde das Modell begraben – nicht explizit, wohl aber durch das faktische Handeln der Staats- und Regierungschefs. Sie haben den Bürgern nämlich vor Augen geführt, dass es tatsächlich keinen Automatismus zwischen dem Wahlsieg bei einer Europawahl und der anschließenden Beförderung in das höchste Amt der EU geben kann.

Es sei denn, die Union schafft ein einheitliches Wahlrecht. Darin kann man dann einen Anspruch der siegreichen Parteienfamilie auf den Job des Kommissionspräsidenten verankern. Ohne eine solche Vertragsänderung sind Spitzenkandidaten nicht durchsetzbar – und die EU bleibt weiter Schauplatz für nationale Interessen, egoistische Rachefeldzüge oder schlicht Kungelei.

Hinterzimmer schlägt Bürgerwillen

Alles, was die Erfinder des Spitzenkandidaten-Modells beseitigen wollten, ist nun wieder aufgebrochen. Am Ende wurden Kandidaten und hohe Ämter beschädigt. Der Stuhl des Parlamentspräsidenten ist keine Entsorgungsstelle für gescheiterte oder abgelehnte Spitzenkandidaten.

Nein, es ist zunächst nicht undemokratisch, wenn die Chefs von 28 Mitgliedstaaten lange um Mehrheiten für ihr neues Führungspersonal ringen müssen. Solche politischen Spielchen gehören bei der Regierungsbildung in jedem Mitgliedsland dazu. Und auch in Deutschland werden Ministerämter und andere Topjobs nicht vom Wähler, sondern von den Parteien besetzt, die in Koalitionsverhandlungen ihre Personalvorstellungen abgesprochen haben. Dennoch bleibt der Eindruck, dass die Hinterzimmer-Mauschelei am Ende eben doch entscheidender war als das Abstimmungsergebnis. Es wird sehr schwer sein, dieses Bild bis zur nächsten Wahl zu korrigieren.

Es braucht ein neues Wahlrecht

Eine wirklich transparente und faire Europawahl ist nur dann möglich, wenn es europäische Listen gibt. Wenn die Top-Leute der Christ- und Sozialdemokraten, der Grünen und Liberalen von allen Europäern gewählt werden können. Und wenn, das wird gerne übersehen, auch schon vor dem Tag des Urnengangs feststeht, welchen Fraktionen sich die Parteien und Gruppierungen im Europäischen Parlament anschließen. Außerdem muss absehbar sein, welche Bedeutung das Wahlergebnis für die Besetzung der Spitzenpositionen hat.

Diese Fragen kann man in einem neuen Wahlrecht für alle Mitgliedstaaten regeln, ohne in nationale Hoheiten oder Eigenheiten einzugreifen. Die fast 200 Millionen EU-Bürger, die im Mai ihre Stimme abgegeben haben, müssten dann nicht anschließend verständnislos zusehen, wie die Mächtigen dieser Europäischen Union machen, was sie wollen.

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