Kommentar: Warum man Hartz IV nicht abschaffen sollte

19.11.2018, 10:13 Uhr
Kommentar: Warum man Hartz IV nicht abschaffen sollte

© Marijan Murat/dpa

Mit der Forderung, Hartz IV abzuschaffen, ist es wie mit den meisten einfachen Botschaften: Sie mögen gut klingen, doch je länger man über sie nachdenkt, desto mehr kommt man zum Schluss: Eigentlich sind sie ziemlich unsinnig.

Das gilt vor allem in den Fällen, in denen die Verkünder dieser Botschaften wichtige Details vorenthalten: Da hat sich Andrea Nahles zwar den Namen "Bürgergeld" als Nachfolger von Hartz IV ausgedacht, schreibt aber nicht, wie hoch sie denn nun sein soll, die "auskömmliche Leistung" mit weniger Sanktionen.

Wann lohnt sich Arbeit noch?

Nun hätten wohl die wenigsten Bürger etwas dagegen einzuwenden, wenn Menschen, die es aus unterschiedlichsten Gründen nicht leicht im Leben haben – manche selbst verschuldet, andere durch tragische Schicksalsschläge –, ein paar Euro mehr erhalten. Da Nahles aber nicht bloß eine Hartz-IV-Reform, sondern eine ganz neue Grundsicherung will, darf man an dieser Stelle wohl davon ausgehen, dass es eben nicht nur um ein paar Euro mehr geht.

Eine starke Erhöhung der Grundsicherungs-Sätze, wie sie Nahles offenbar vorschwebt, hätte aber negative Konsequenzen. Ein Beispiel: Eine Familie in Hartz-IV-Bezug mit zwei Kindern im schulpflichtigen Alter erhält derzeit 1340 Euro, zusätzlich übernimmt der Staat die Mietkosten. Es gibt Studien, die sagen, dass es sich in solchen Fällen gar nicht lohnt, wenn einer der beiden Partner arbeiten gehen würde. Diese Studien sind strittig – bei einer massiven Erhöhung der Sätze wären sie es nicht mehr.

Dass Nahles darüber hinaus die Gängelung von Hartz-IV-Beziehern beklagt, kann jeder nachvollziehen, der den Ton kennt, in dem manche Schreiben der Jobcenter gehalten sind. Doch: Mit weniger Sanktionen geht es nicht. Wer jeden Tag früh aufsteht, hart arbeitet und mit seinen Steuern den Lebensunterhalt von Hartz-IV-Empfängern mitfinanziert, der darf erwarten, dass Grundsicherungsbezieher nicht einfach unentschuldigt Termine beim Jobcenter platzen lassen oder wiederholt zumutbare Arbeit ablehnen. Geben und Nehmen – nur so funktioniert Sozialstaat.

Es gäbe so vieles anzupacken

Sollte man Hartz IV also einfach lassen, wie es ist? Das nicht. Es gäbe so viel zu tun: Bei der Berechnung der einer Familie zustehenden Leistungen braucht es mehr Pauschalen statt Einzelfallkalkulationen, die in seitenlangen Hartz-IV-Bescheiden münden – dann hätten die Jobcenter-Mitarbeiter mehr Zeit für ihre eigentliche Tätigkeit, das Vermitteln in Arbeit. Auch müssten die Hinzuverdienstgrenzen dringend angepasst werden, damit sich auch die Aufnahme geringfügiger Beschäftigung lohnt.

Und nicht zuletzt sollte die Arbeitslosenversicherung so ausgestaltet werden, dass sie für mehr Menschen wieder eben das ist: eine Versicherung. Denn inzwischen erhalten zwei Drittel der Erwerbslosen statt des auskömmlicheren Arbeitslosengeldes nur Hartz IV.

Diese Dinge anzupacken, wäre die "Sacharbeit", zu der sich die SPD nach ihren Wahlniederlagen doch eigentlich bekannt hatte. Einfach mal Hartz IV abschaffen und durch eine irgendwie höhere Sozialleistung ersetzen zu wollen, ist dagegen Populismus. Und den können andere Parteien besser.

 

 

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