Ex-Bundespräsident im Rathaussaal

Kongress in Nürnberg: Gauck ist Feuer und Flamme fürs Ehrenamt

2.7.2021, 15:43 Uhr
Joachim Gauck während seiner Rede im Historischen Nürnberger Rathaussaal.

© Stefan Hippel, NNZ Joachim Gauck während seiner Rede im Historischen Nürnberger Rathaussaal.

Joachim Gauck hat das Reden nicht verlernt. Sein Haar ist etwas silberner geworden seit seiner Zeit als Bundespräsident, aber seine 81 Jahre sieht man dem Norddeutschen nicht an. In seinen Augen blitzt immer noch ein hellwacher Verstand.

Seine Rede im Historischen Nürnberger Rathaussaal vor rund 50 Zuhörern, die untereinander brav Abstand halten, gilt als heimlicher Höhepunkt des Ehrenamtskongresses Bayern - einer zweitägigen Veranstaltung, die auf das Engagement der Technischen Hochschule Nürnberg zurückgeht, die aber auch vonseiten des Freistaats kräftig unterstützt wird.

Gauck ist gerne gekommen, sagt er, und man nimmt es ihm ab. "Der lange Schatten der Pandemie lag jetzt lange Zeit auf dem gesamten Globus. Daher freue ich mich, heute Menschen zu begegnen, die nicht für Schatten stehen, sondern für das Licht", erklärt er eingangs und hat damit die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen.

Dass "ein Netzwerk des Guten und der Guten" existiere, sei für Deutschland besonders wichtig, fährt der Alt-Präsident fort. Denn: "Wir Deutschen haben die Neigung, uns über negative Dinge aufzuregen. Wir suchen Gründe, die zu einer Kultur oder besser einer Un-Kultur des Unbehagens führen", hat er beobachtet. Daran hätten bisweilen auch die Medien ihren Anteil, führt Gauck aus, "sie richten ihre Augen oft auf das, was nicht gelingt." Umso froher sei er, dass er in einem Land lebe, welches Netzwerke des Gelingens hervorbringe, sagt Gauck und meint damit all jene, die ein wie auch immer geartetes Ehrenamt ausüben.

Es klingt nicht aufgesetzt, wenn der ehemalige DDR-Bürgerrechtler so etwas sagt. Alles, was dem Land mehr inneren Halt verschafft, lag ihm seit jeher am Herzen - das hatte er schon während seiner Zeit als Bundespräsident immer wieder betont. Und so ist es glaubwürdig, wenn er erklärt, seine schönsten Erlebnisse als deutsches Staatsoberhaupt seien nicht die Begegnungen mit gekrönten Häuptern gewesen, sondern Begegnungen mit Menschen, "die zu einer Form gekommen sind, die man nicht so ohne weiteres erwarten könnte, eben im Ehrenamt. Das gibt uns allen das Gefühl, dass wir uns etwas zutrauen dürfen und ermächtigt sind, die Veränderung hin zum Guten anzustreben", schlussfolgert er.

"Lieber sich engagieren als meckern von der Seitenlinie"

Jene, die beispielsweise in ihrer Freizeit auf dem Dorf am Nachmittag eine Fußballmannschaft trainieren und abends dann auch noch im Gemeinderat sitzen, bewundere er zutiefst, gibt Gauck zu. Wer sich nicht einbringe, brauche sich später nicht zu wundern, dass sein Input nicht gehört werde. "Lieber sich engagieren als meckern von der Seitenlinie", fasst er zusammen. "Das Ehrenamt", sagt er mit Verve, "macht das Land schöner und bringt es zum Strahlen." Natürlich könne es auch mit Frust verbunden sein - etwa wenn die trainierte Mannschaft in Bedrängnis ist oder sich ein politischer Plan schlicht nicht umsetzen lasse. "Aber für diesen Frust gibt es Netzwerke, die einen auffangen", denn wer ein Ehrenamt ausübe, sei niemals allein, lobt der Ex-Politiker.

Doch Gauck wäre nicht Gauck, wenn er nicht den Bogen von diesem ehrenamtlichen Mikrokosmos zur Gesamtgesellschaft schlüge. Die Zivilgesellschaft und das Ehrenamt seien notwendig für das Überleben jeder liberalen Demokratie,

so seine Überzeugung. Um das zu untermauern, und da wird es dann etwas philosophisch, zitiert er das sogenannte Böckenförde-Diktum, das zurückgeht auf den Juristen Ernst-Wolfgang Böckenförde, der unter anderem Richter am Bundesverfassungsgericht war: "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Das Ehrenamt, so Gauck, sei eine zentrale Voraussetzung zur Aufrechterhaltung der pluralistischen Gesellschaft - besonders in einer Zeit, in der Grenzen durchlässiger würden und manche Bürger Angst vor einer Überfremdung hegten. "Die Freiheit ist ein fragiles Konstrukt, das von innen gestützt werden will", schließt er seinen Gedankengang.

Und wird zum Schluss noch ganz pragmatisch: Das Ausüben eines Ehrenamts sei nicht nur der Kitt, der uns alle zusammenhält, sondern nutze auch jedem einzelnen. "Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass ehrenamtlich tätige Menschen länger leben", wirft der Alt-Bundespräsident ein und fügt augenzwinkernd hinzu: "Ich bin jetzt 81 Jahre alt und habe festgestellt, dass jenseits des Rentenalters noch einiges möglich ist."​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​

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