Lang und kurvenreich: Der weite Weg zum Fahrlehrer
14.06.2017, 11:31 Uhr
Der griechischen Antike verdankt die Menschheit vieles. Unter anderem auch die Idee von der Pädagogik, von Erziehung und Bildung. Deshalb stehen an der Tafel in dem nüchternen Seminarraum gerade Sätze wie "Der Mensch ist ein Verstandswesen, das heißt, er muss alles lernen, was er zum Überleben braucht". Und die 19 Schüler diskutieren darüber, was Toleranz, Respekt und Höflichkeit für eine Bedeutung haben, was für die Persönlichkeitsentwicklung nötig, warum Kultur die Ausdrucksform einer Gesellschaft ist.
Was sich nach einem Einführungskurs für Philosophie anhört, findet aber nicht an der Universität statt, sondern beim Verkehrsinstitut Schielein im Nürnberger Stadtteil Altenfurt. Die Männer und Frauen, die hier sitzen, wollen Fahrlehrer werden. Fahrlehrer?
Sind das nicht die in erster Linie männlichen Angehörigen eines Berufsstands, die ihr Geld damit verdienen, sich auf dem Beifahrersitz herumkutschieren zu lassen und nebenbei flotte Sprüche klopfen, vor allem wenn junge Frauen am Steuer sitzen? Die einfach nur darauf aus sind, möglichst viele Schüler möglichst schnell zur Führerscheinprüfung zu bringen, damit in ihrem muffigen Theorieraum mit den alten Gardinen am großen Fenster schnell wieder Platz für die nächsten ist?
Kündigungsgrund statt Kavaliersdelikt
Jürgen Schielein kennt alle Vorurteile gegenüber Fahrlehrern. 1987 wurde er selber einer und stieg in das vom Vater gegründete Geschäft ein. Seit 21 Jahren werden bei ihm mit Genehmigung der Regierung von Mittelfranken Fahrlehrer ausgebildet, im Schnitt zwischen 40 und 50 im Jahr, was sein Institut zu einem der führenden Ausbildungsbetriebe in Bayern macht. Es sei in den letzten Jahren besser geworden, aber das Image des Berufs ist nach wie vor ein Problem, meint der 50-Jährige. Die Zeiten aber, in denen sich manche Fahrlehrer wie Gutsherren benommen haben, sind längst vorbei. Anmache und andere grobe Verfehlungen sind kein "Kavaliersdelikt", sondern ein sofortiger Kündigungsgrund, sagt Schielein.
Im Vordergrund steht für ihn der Dienstleistungsgedanke. "Die Erinnerung an die Zeit in der Fahrschule muss positiv sein." Und angesichts des zunehmenden Verkehrs auf den Straßen geht es für ihn vor allem darum, dass der Fahrlehrer pädagogisch wirkt. Allein 240 Stunden in der Ausbildung werden diesem Bereich gewidmet, ab 2018 werden es sogar 380 Stunden sein. "Ich will unsere Branche nicht überbewerten, aber wir sind zumindest ein kleines Rädchen, das zur Verkehrssicherheit in Deutschland beiträgt", sagt Schielein. Das Problem dabei ist, dass sich immer weniger Menschen für den Beruf des Fahrlehrers entscheiden.
Nach einer Schwemme in den 1980er Jahren geht es jetzt langsam aber stetig bergab und die Branche leidet unter einem massiven Fachkräftemangel, der in der Öffentlichkeit bisher kaum Thema ist. 44 610 Fahrlehrer gibt es aktuell in Deutschland, das sind etwa 10 000 weniger als noch vor sechs Jahren.
In Bayern gibt es noch rund 4000 Fahrlehrer, sagt der Vorsitzende des Landesverbands bayerischer Fahrlehrer, Walter Weißmann. Der Altersdurchschnitt liegt bei etwa 55 Jahren. In den nächsten fünf Jahren werden schätzungsweise 30 Prozent der heutigen Fahrlehrer in Rente gehen. Neu ausgebildet werden pro Jahr im Freistaat aber nur rund 130 Fahrlehrer. Die Zahl der Fahrschüler bleibt gleichzeitig auf konstantem Niveau.
Kein familienfreundlicher Beruf
Auch wenn das eigene Auto in den großen Städten immer unattraktiver wird. 2015 machten in Deutschland rund 1,6 Millionen Frauen und Männer den Führerschein, in etwa ebenso viele wie 2010. Gerade in Ballungsräumen wie München sei der Mangel auch bereits spürbar.
Die Gründe dafür sind vielfältig, sagt Weißmann. "Die Bezahlung spielt eine Rolle, vor allem aber die Arbeitszeiten." Die können sich Fahrlehrer zwar relativ frei einteilen, dennoch müssen sie sich nach ihren Kunden richten, was oft genug alles andere als familienfreundlich ist.
Gerade die Umstellung auf das achtjährige Gymnasium hätte dazu geführt, dass viele Führerscheinanwärter kaum noch nachmittags Zeit hätten, sondern ihr Pflichtprogramm hinter dem Steuer in den Abendstunden oder am Samstag ableisten wollen und müssen.
Früher kamen zudem sehr viele Fahrlehrer von der Bundeswehr, die nach ihrer Zeit als Soldat auf dem zivilen Markt weitergemacht hätten. Heute bildet die Bundeswehr nach vielen Reformen und Standortschließungen praktisch nur noch an einem Standort in Bremen "in homöopathischen Dosen" aus, wie auch Schielein meint. Und nicht zuletzt sind eben auch die Anforderungen an Menschen, die diesen Beruf ergreifen wollen, immens hoch.
Die 17 Männer und zwei Frauen, die in Schieleins Räumen sitzen und sich bei der Pädagogin gerade anhören, dass die bestandene Führerscheinprüfung "ein nachrangiges Ausbildungsziel" ist und es vor allem darum geht, auch hinter dem Steuer verantwortlich handelnde Menschen zu formen, haben eine harte Zeit vor sich.
Altergrenze beim Einstieg
Wer anderen beibringen will, einen Pkw zu lenken, muss mindestens 22 Jahre alt sein, die Schule plus eine Berufslehre abgeschlossen haben oder Abitur nachweisen können, ebenso wie den eigenen Pkw-, Motorrad- und Lkw-Führerschein. Diese Regelung soll zwar Anfang 2018 wegfallen. Dafür aber wird dann die Ausbildung noch einmal ausgebaut.
Die besteht heute aus einem fünfmonatigen Grundkurs in einer Fahrlehrer-Ausbildungsstätte und noch einmal fünf Monate Praktikum. Dazu müssen eine fahrpraktische Prüfung, eine schriftliche und mündliche Fachkundeprüfung und zwei Lehrproben bestanden werden. "Es ist eine unwahrscheinliche Fleißarbeit", sagt Schielein. Und die Kosten für diesen "klassischen Quereinsteigerberuf" müssen die angehenden Fahrlehrer selber tragen, weil es sich hierbei eben nicht um einen anerkannten Lehrberuf handelt. Unter dem Strich liegen sie bei 8000 Euro. Erschwerend hinzu kommt, dass in der Ausbildungszeit ein geregeltes Einkommen fehlt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die meisten seiner Schüler eine Förderung bekommen, sei es von der Bundesagentur für Arbeit, der Berufsgenossenschaft oder über Bafög.
Das nimmt auch der 27-jährige Christopher May in Anspruch, der eigentlich Einzelhandelskaufmann gelernt hat und jetzt "etwas Neues" machen wollte und sich, wie die meisten hier, im Gegenzug für die langwierige und teure Ausbildung vor allem einen zukunftssicheren Job mit "immer wieder neuen Gesichtern und Menschen" verspricht. Zusammen mit einem festen Einkommen. Pro Stunde verdient ein Fahrlehrer laut Schielein derzeit 13 bis 14 Euro brutto, 200 bis 220 absolviert er pro Monat. Doch nicht jeder bleibt auch bei dem Job. "Etwa 50 Prozent werden innerhalb der nächsten fünf Jahre wieder aufhören", so Schielein.
Daran, dass der Berufsstand auch in den nächsten Jahrzehnten dringend gebraucht wird, hat Schielein keinen Zweifel. "Ich bin ein gnadenloser Optimist", sagt er. Vor allem aber sieht er in den durch die fortschreitende Digitalisierung anstehenden Umbrüchen im Straßenverkehr keine Bedrohung, sondern eine riesige Chance.
Bis Autos wirklich flächendeckend autonom fahren werden, dauert es in seinen Augen "noch 25 Jahre". Und auch dann wird von dem Menschen wohl noch verlangt werden, dass er im Notfall eingreift und selber steuert.
Was sich sprunghaft entwickelt ist die Verbreitung teils komplexer Fahrerassistenz-Systeme, die aber schon jetzt von vielen kaum verstanden und wenig benutzt würden. Kommt die Elektromobilität in die Gänge, wird noch deutlich mehr Technik an Bord sein. "Fahrlehrer werden in Zukunft viele andere Aufgaben übernehmen, zum Beispiel die Einweisung für diese Systeme", glaubt Schielein. Schon jetzt mehrten sich die Anfragen der Hersteller in dieser Hinsicht. Der Fahrlehrer könnte so zu einem Mobilitätsberater werden. "Wir müssen einfach nur am Ball bleiben."
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