Mutlos, ideenlos, ohne Vertrauen: Wie Jamaika zerredet wurde

20.11.2017, 04:38 Uhr
Jamaika hätte eine Chance verdient und auch gehabt, meint NN-Chefredakteur Alexander Jungkunz.

© Bernd von Jutrczenka/dpa Jamaika hätte eine Chance verdient und auch gehabt, meint NN-Chefredakteur Alexander Jungkunz.

Noch als am Sonntagabend um Jamaika verhandelt wurde, gingen einige Beteiligte während der Gespräche in die Talkshow von Anne Will, um sich dort zu beharken und mit den immer gleichen Vorwürfen zu überziehen: Dieser Vorgang ist bezeichnend dafür, dass und warum dieses schwierige Bündnis scheitern musste.

Viel zu viele Beteiligte haben es zerredet - und die Hauptverantwortliche hat zu wenig getan, um dies zu verhindern: Angela Merkel ist es nicht gelungen, die potenziellen Partner zusammenzuführen.

Natürlich waren da Parteien zu Kompromissen gezwungen, die sich teils jahrelang erbittert bekämpften. Vor allem die CSU und die Grünen haben da Feindbilder aufgebaut, die tief in den Köpfen stecken. Das war während der Sondierungen stets zu spüren - mit persönlichen Attacken, die geprägt waren von Abneigung, bisweilen von Hass.

Wer aber so agiert, der zerstört die Grundlage für Vertrauen. Und wenn ein Gutteil der Akteure noch während der Sitzungen Details an die Öffentlichkeit durchsticht, wenn Verhandelnde lieber Interviews geben als um die Sache zu ringen - dann kann aus so einem schwierigen Bündnis nichts werden, dann wird es zerredet.

Sondierungen der Kleingeister

Dabei hätte Jamaika eine Chance verdient und auch gehabt. Wenn sich alle Beteiligten daran gemacht hätten, zuerst einmal zu schauen, was denn geht. Was sie denn gemeinsam anpacken können. Aber sie haben vor allem darauf geblickt, was nicht geht.

Wo sie nicht zusammenkommen können. Das ist der falsche Ansatz. Politik braucht Mut, Politik braucht Ideen, Politik braucht auch Visionen. Davon war aber nie auch nur der Hauch zu spüren bei diesen Sondierungen der Kleingeister.

Nun steckt die sonst stets stabile Bundesrepublik in einer veritablen Vertrauenskrise - weil vier Parteien kein Vertrauen zueinander fassen konnten, weil sie es nicht ernsthaft genug versuchten. Und es stellen sich viele Vertrauensfragen - bis auf die eine nicht: Die Kanzlerin kann nun im Bundestag keine Vertrauensfrage stellen, um so wie ihre Vorgänger Brandt, Kohl und Schröder Neuwahlen herbeizuführen. Denn sie ist von diesem neu gewählten Bundestag gar nicht bestätigt worden, sie ist nur die noch amtierende Regierungschefin.

Merkel hat Vertrauen verspielt

Aber die erste Vertrauensfrage gilt Angela Merkel: Sie hat Vertrauen verspielt. Es liegt natürlich auch an ihr, wenn vier Wochen lange Sondierungen scheitern. Nie war zumindest öffentlich ihr Wille ersichtlich, aus Jamaika etwas zu machen – außer ihrem Willen zum Machterhalt war da kein Plan, keine Idee, schon gar keine Leidenschaft.

Daher stellt sich nun die Frage: Kann es mit Merkel weitergehen? Eher unwahrscheinlich, ihre Autorität wurde schon durch das Wahl-Debakel beschädigt und ist nun auf einem Tiefpunkt.

Fest steht: Horst Seehofer wird nicht mehr lange CSU-Chef und Ministerpräsident bleiben. Er wollte ein Jamaika-Ergebnis, um sich als starken Verhandler zu präsentieren und so seine Ämter zu retten. Aber er konnte seine Hardliner Dobrindt und Scheuer nicht einbremsen.

Was nun? Es stehen spannende, zu spannende Tage bevor. Bundespräsident Steinmeier hat noch am Wochenende die Parteien davor gewarnt, Jamaika scheitern zu lassen. Er scheint sich nicht darauf einlassen zu wollen, Neuwahlen herbeizuführen.

Es sind keine einfachen Lösungen in Sicht. Eine Minderheitsregierung, entweder ohne die Grünen oder ohne die CSU, die sich am heftigsten bekämpften? Schwer vorstellbar, ein gewagtes Experiment auf jeden Fall. Neuwahlen? Sie würden womöglich erneut ein Ergebnis bringen, das Jamaika erzwingt.

Große Koalition als Not-Rettungsanker?

Oder doch noch eine Neuauflage der Großen Koalition mit der in Krisen stets staatstragenden SPD? Ohne Merkel, ohne Seehofer, ohne Schulz? Die Sozialdemokraten sind dazu bisher nicht bereit, und sie haben dafür gute Gründe. Denn die Verantwortung liegt bei anderen, vor allem bei Angela Merkel.

Eine erneute Große Koalition könnte allenfalls ein Not-Rettungsanker für unsere durch verantwortungslose Verhandlungspartner ins Schlingern geratene Demokratie sein. Für sie wäre eine lange Hängepartie voller gegenseitiger Schuldzuweisungen verhängnisvoll.

Anmerkung des Autors: In meinem früh um vier Uhr geschriebenen Kommentar wird die momentan eher fragwürdige Rolle der FDP - auf die hier einige zu Recht eingehen - noch zu wenig beleuchtet. Wir holen das nach - und auch Stimmen dazu ein.

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