Nürnberger Experte erklärt: So gefährlich ist Alkohol wirklich

21.4.2019, 13:20 Uhr
Nürnberger Experte erklärt: So gefährlich ist Alkohol wirklich

Für Genusstrinker ist es eine ernüchternde Nachricht. Gerade kurz vor Ostern, denn ein guter Wein gehört für viele zum Fest dazu. Vorfreude herrscht besonders bei jenen, die in der Fastenzeit auf Alkohol verzichtet haben. Doch eine neue Studie räumt auf mit bekannten und beliebten Mythen: Es soll keine ungefährliche und erst recht keine gesundheitsfördernde Menge Alkohol geben. So das Ergebnis einer Studie, die im Fachmagazin The Lancet veröffentlicht wurde.

Die beteiligten Wissenschaftler aus China und Oxford haben untersucht, wie der Konsum von Alkohol mit Herz-Kreislauf- und Hirnerkrankungen zusammenhängt. Über zehn Jahre hinweg wurden über 500.000 Chinesen untersucht. Und weil ein Teil der Probanden aufgrund eines Gendefekts keinen Alkohol verträgt, ist auch sichergestellt, dass diese Kontrollgruppe tatsächlich nichts trinkt. Bei früheren Studien, die sich nur auf Befragungen stützen, gab es diese Gewissheit nicht. "Es ist eine große, methodisch sehr anspruchsvolle Studie", so die Einschätzung von Prof. Alexander Dechêne, dem Leiter der Gastroenterologie am Klinikum Nürnberg. "Aber sie greift nur einen Aspekt heraus. Eine Studie allein stellt die Welt nicht auf den Kopf, es muss mehrfach reproduzierbar sein."

Alexander Dechêne vom Nürnberger Klinikum.

Alexander Dechêne vom Nürnberger Klinikum.

"Es gibt keinen minimalen Konsum, der von Vorteil ist"

Dennoch gibt es keine Hoffnung, dass die beliebten Erzählungen vom gesunden Gläschen fürs Herz doch stimmen könnten. "Die Studie zeigt: Es gibt keinen minimalen Alkoholkonsum, der von Vorteil ist im Hinblick auf die Herz-Kreislauf- und Hirngesundheit", betont Dechêne. Frühere Studien lagen da offenbar falsch. "Das waren keine Vergleichsstudien, bei denen man Leute mit genau derselben Ausgangsbasis jahrelang entweder ein bisschen Alkohol oder gar keinen Alkohol trinken lässt", erklärt er. "Da werden Dinge quasi zusammengeworfen, das haben wir öfters in der Medizin."

Dechêne nennt ein Beispiel: "Wenn jemand am Abend ein Glas Rotwein trinkt, dann besteht ein relativ hohes Risiko, dass er einer gewissen sozioökonomischen Schicht angehört." In dieser Schicht geht man vielleicht im Durchschnitt auch öfter zu ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen und kauft sich bessere Lebensmittel. "Das führt dazu, dass der Rotwein an sich als entscheidendes Kriterium erscheint, warum es einem Menschen besser geht als jemand anderem. Dabei ist der Rotwein im Grunde genommen genauso eine Folgeentscheidung wie die Gesundheit."

Zu Rotwein gibt's häufig Biofleisch

Natürlich sind das Verallgemeinerungen, doch allerlei Abweichungen zum Trotz gibt es bestimmte Tendenzen, wenn man eine große Zahl von Personen betrachtet: "Da ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand gesünder lebt, höher bei den Menschen mit einem Glas Rotwein am Abend als bei Menschen, die die gleiche Menge Alkohol in Form von Schnaps trinken", sagt Dechêne.

In Frankreich gab es eine Studie, bei der Kassenzettel von Supermärkten ausgewertet worden sind. "Da hat man gesehen, dass bei Rotweinkäufern oft auch Dinge wie Biofleisch und weniger verarbeitete Lebensmittel draufstanden", berichtet der Mediziner. Wo die gleiche Alkoholmenge hingegen in Form von Bier oder Schnaps gekauft wird, sind oft auch die weiteren Lebensmittel auf dem Kassenzettel anders zusammengesetzt. "Der Getränketyp kann also ein Indikator dafür sein, dass der Mensch ein anderes Leben lebt."

"Kein Beweis bekannt, dass Alkohol positiv wirkt"

Wenn es allein ums Getränk geht, lässt sich aber schwerlich sagen, ob man nun lieber zu Wein, Bier oder Schnaps greifen sollte. "Die Menge ist das wichtigste Kriterium", stellt er klar. "Und es gibt keine Menge Alkohol, von der man sagen kann: Es ist besser, dieses bisschen zu trinken, als gar nichts." Sobald man anfängt zu trinken, erhöht sich das Risiko für Herz- Kreislauf-Erkrankungen.

Für einige weitere Erkrankungen wie Krebs oder Demenz gab es ähnliche Annahmen von einer schützenden Wirkung von Alkohol. Diese Krankheiten wurden in der britisch-chinesischen Studie nicht untersucht; doch der Nürnberger Chefarzt sieht für alle Alkoholmythen schwarz: "Generell ist mir kein Beweis bekannt, dass der Alkohol an sich positiv wirkt." Rotweintrinkern bleibt höchstens noch die Hoffnung auf eine wundersame Wirkung der Tannine oder Pflanzenstoffe im abendlichen Glas.

Pausen sind sinnvoll

Beim Trinken wirkt sich aber nicht nur die Menge aus, sondern auch der Rhythmus. Wenn es um die Leber geht, stehen Quartalstrinker besser da als Dauerkonsumenten: "Das Risiko, eine Leberzirrhose zu bekommen, ist bei denen am höchsten, die ohne Pause trinken, jeden Tag", sagt Dechêne. "Das Risiko scheint bei denen etwas niedriger zu sein, die zwar auch viel trinken, aber Quartalstrinker sind, also etwa nur drei Tage in der Woche oder nur am Wochenende." Das ergeben zumindest Befragungen.

Pausen sind in jedem Fall sinnvoll – und auch für starke Konsumenten machbar: "Es ist nicht jeder Trinker süchtig. In Studien ist etwa ein Drittel der Heavy Drinkers, die jeden Tag trinken, erstaunlicherweise nicht wirklich abhängig", berichtet Dechêne. "Man weiß nicht genau, warum das so ist. Aber die könnten es sich eigentlich einteilen."

Während sich Genusstrinker das Märchen vom guten Gläschen abschminken müssen, gibt es somit immerhin am anderen Ende des Spektrums gute Nachrichten für manche Kampftrinker.

12 Kommentare