Oster-Rückzieher: So peinlich war es für die Kanzlerin in 16 Jahren nur selten

24.3.2021, 17:43 Uhr
Es sei "einzig und alleine mein Fehler", räumte die Kanzlerin in ihrer Erklärung am Mittwoch ein.

© Emmanuele Contini via www.imago-images.de, imago images/Emmanuele Contini Es sei "einzig und alleine mein Fehler", räumte die Kanzlerin in ihrer Erklärung am Mittwoch ein.

Es war ein nur ein ganz kurzer Moment, eine halbe Sekunde vielleicht, da hätte man auch etwas ganz anderes, weit Dramatischeres vermuten können. Angela Merkel begann ihre überraschend anberaumte Erklärung mit den Worten "Ich habe mich zu diesem kurzen Pressetermin entschlossen, weil ich heute Vormittag entschieden habe...". Einen derartigen Wortlaut hat man von Rücktrittserklärungen zahlloser Politiker(innen) im Ohr.

Doch darum ging es natürlich nicht. Ein halbes Jahr vor dem Ablauf ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft tritt eine Angela Merkel nicht zurück. Nicht wegen der Sache, um die es ging, und schon gar nicht mitten in der dritten Welle einer Pandemie. Sie teilte statt dessen mit, dass die von der Regierung gerade erst erfundenen "Ruhetage" am Gründonnerstag und am Karsamstag wieder einkassiert werden.

Es war ein Vorgang von höchster Brisanz, der sich da im Kanzleramt und wenige Minuten später wortgleich im Plenum des Bundestages abspielte. Man kann lange suchen in der Ära Merkel und wird nichts Vergleichbares finden: Die Regierungschefin gestand in aller Öffentlichkeit einen Fehler ein und sie bat die Bevölkerung um Entschuldigung. Drei Minuten und 50 Sekunden nahm sie sich Zeit dafür.

"Einzig und alleine mein Fehler"

Es sei "einzig und alleine mein Fehler", räumte die Kanzlerin ein. Sie bedauere ihn "zutiefst" und bitte "alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung" für die entstandene Verwirrung. Sie nahm also alles auf ihre Kappe, obwohl der Vorschlag ursprünglich von ihrem Amtschef Helge Braun gestammt haben soll und 16 Ministerpräsident(innen) zugestimmt hatten, unter ihnen immerhin sechs Jurist(inn)en.

Bis heute kann es sich niemand erklären, warum damals bei keinem der Teilnehmer die Alarmglocken schrillten. Psychologen würden vermutlich sagen, dass man nach 15-stündiger Beratung und zur Schlafenszeit keine solchen Beschlüsse mehr fassen sollte. Oder sie würden darauf hinweisen, wie sehr einen solche Krisensituationen selbst wichtigste Dinge übersehen lassen.

Die Idee der Osterruhe, zu nächtlicher Stunde um 3:27 Uhr verkündet, war quasi im selben Moment verrissen worden, als Verbände, Medien und Öffentlichkeit von ihr erfahren hatten. Also dann, als die ersten fachkundigen Menschen aufwachten und die Radionachrichten hörten. 1000 Probleme taten sich auf: Gelten die Tage als Feiertage? Wie ist es dann mit dem Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern? Können komplizierte Lieferketten bei der Lebensmittelversorgung noch eingehalten werden? Und ist das alles überhaupt sehr schnell zu klären?

Der Beschluss musste dringend "abgeräumt" werden

Von Montagmorgen bis Mittwochmittag wuchs der Druck beständig. Sogar in der eigenen Regierung regte sich erheblicher Widerspruch, so von Innenminister Horst Seehofer. Die Frage war eigentlich nur noch, wer den Beschluss "abräumen" würde - am Ende vielleicht sogar die Gerichte. So weit wollte es Angela Merkel offensichtlich nicht kommen lassen.

Im Parlament musste sich die Kanzlerin einiges anhören. Zwar bekundeten viele Teilnehmer der Regierungsbefragung zunächst durchaus Respekt vor ihrer Offenheit, einen Fehler abzuräumen. Aber dann wurden sie sehr deutlich in ihrer Kritik. Dietmar Bartsch (Linke) forderte Angela Merkel auf, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. Nur so könne man feststellen, ob die Fraktionen von Union und SPD noch hinter ihr stünden. Dasselbe hatte zuvor schon Christian Lindner (FDP) via Twitter getan. Zur Erinnerung: Die bisher letzte Vertrauensfrage gab es 2005. Gerhard Schröder hatte sie gestellt, um Neuwahlen herbeizuführen.

Wegen der Nähe zum Wahltag am 26. September, aber auch wegen anderer Gründe (satte Mehrheit der GroKo) ist eine derartige Vertrauensfrage so gut wie auszuschließen. Aber eine andere Konsequenz könnte dieser turbulente Mittwoch dann doch haben: ein Ende der Ministerpräsidentenkonferenzen in der bisherigen Form. Ein Jahr lang hat diese politische Format die Pandemiebekämpfung in Deutschland gesteuert, aber es verliert zunehmend an Anhängern.

Niemandem war das Problem aufgefallen

"Hören Sie endlich damit auf", rief Marco Buschmann (FDP) der Kanzlerin zu. Er meinte damit die nächtlichen Corona-Gipfel mit ihren erst nachträglich von den Landtagen abgesegneten Beschlüssen. Buschmanns These: In einem normalen parlamentarischen Ablauf, unter Einbeziehung von Fachpolitikern und Beamten, wäre solch eine unausgegorene Angelegenheit wie die Osterruhe frühzeitig gestoppt worden.

Eine besonders unangenehme Situation, fast so peinlich wie die der Kanzlerin, durchlebte NRW-Ministerpräsident und CDU-Chef Armin Laschet. Er war am Vormittag in Düsseldorf bereits zu seiner Regierungserklärung unterwegs, als die Meldung von der einer kurzfristig anberaumten neuen Schaltkonferenz hereingereicht wurde. Da ahnte er, dass er nun etwas ganz anderes als den geplanten Redetext würde vortragen müssen.

Laschet verzog den kompletten Schwenk von Berlin in Windeseile nach und verkündete, man habe "die Notbremse" ziehen müssen. Immerhin, er gab nicht nur Angela Merkel die Schuld, sondern bezog sich selbst ein ("Wir alle haben dem zugestimmt"). Der Hesse Volker Bouffier, dienstältester Landesvater, ärgerte sich über die Verwirrung. "Wir sind jetzt die Deppen", soll er während der Schaltkonferenz ausgerufen haben. Dem Vernehmen nach widersprach ihm niemand.

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