Krieg in der Ukraine

Putins Waffenruhe - Kiew und Moskau beklagen viele Verstöße

08.05.2025, 05:19 Uhr
Die Ukraine beklagt auch nach dem Start einer von Moskau angekündigten dreitägigen Waffenruhe Angriffe von russischer Seite.

© Iryna Rybakova/Ukraine's 93rd Kholodnyi Yar Separate Mechanized Brigade press service/AP/dpa Die Ukraine beklagt auch nach dem Start einer von Moskau angekündigten dreitägigen Waffenruhe Angriffe von russischer Seite.

Russland hält nach Angaben aus Kiew die eigens erklärte Waffenruhe in seinem Krieg gegen die Ukraine nicht ein. „Unseren militärischen Daten nach greifen russische Kräfte weiter an der gesamten Frontlinie an“, schrieb der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha auf der Plattform X. Insgesamt habe das russische Militär seit Mitternacht mehr als 700 Mal gegen die Waffenruhe verstoßen. 

Dagegen behauptete das Verteidigungsministerium in Moskau, die russische Armee halte sich streng an die von Kremlchef Wladimir Putin angeordnete dreitägige Feuerpause und reagiere nur auf ukrainische Angriffe. Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow sagte, dass von der Einhaltung der Waffenruhe auch abhänge, wie sich die Lage im Krieg weiter entwickle. Er bestätigte, dass es weiter Verhandlungen mit den USA gebe für eine Lösung des Konflikts, bisweilen auch täglich.

Abgeordneter: Ukraine hält Waffenruhe stillschweigend ein

Im russischen Gebiet Kursk habe es einen ukrainischen Durchbruch-Versuch gegeben, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau weiter mit. Das russische Militär beklagte bis zum Nachmittag 488 ukrainische Verstöße gegen die Waffenruhe. 

Die Führung in Kiew hat der Waffenruhe öffentlich nicht zugestimmt. Es gab aber Berichte, dass die ukrainischen Streitkräfte doch einen Befehl für eine Waffenruhe aus Kiew erhalten hätten. Der ukrainische oppositionelle Parlamentsabgeordnete Olexij Hontscharenko schrieb bei Telegram, sein Land halte sich trotz teils anderslautender Bekundungen stillschweigend an die dreitägige Waffenruhe. 

Die Angaben der Kriegsparteien sind von unabhängiger Seite nicht unmittelbar überprüfbar. Die Ukraine wehrt sich seit mehr als drei Jahren gegen den russischen Angriffskrieg.

Feuerpause soll bis einschließlich Samstag andauern

In drei Einheiten an den Abschnitten Pokrowsk im Donezker Gebiet und in der Südukraine wurde dem ukrainischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Vorliegen eines Befehls bestätigt, wonach die Soldaten das Feuer nur erwidern dürfen. Es seien aber von russischer Seite weiter Artilleriebeschuss und Drohnenangriffe im Frontgebiet erfolgt, hieß es.

Die von Putin angesetzte Waffenruhe trat mit Beginn des Donnerstags in Kraft. Die Feuerpause soll 72 Stunden gelten - also einschließlich Samstag. Sie deckt damit die Tage ab, in denen Russland an den Sieg über Nazi-Deutschland und das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 erinnert. An diesem Freitag ist die traditionelle Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau geplant. Die Waffenschau gilt auch als wichtige Machtdemonstration Moskaus. Der 9. Mai ist der wichtigste Feiertag in Russland.

Russland will mit einer Militärparade ungestört von möglichen ukrainischen Angriffen den 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland feiern.

Russland will mit einer Militärparade ungestört von möglichen ukrainischen Angriffen den 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland feiern. © Dmitry Serebryakov/AP/dpa

Ukraine pocht auf 30-tägige Waffenruhe für Friedensgespräche

Die Ukraine bestand bei einer Reihe von Gesprächen mit westlichen Sicherheitsberatern auf ihrem Vorschlag für eine 30-tägige Waffenruhe. „Wir haben betont: Eine vollständige und bedingungslose Feuerpause muss zum ersten Schritt für einen gerechten und dauerhaften Frieden werden“, schrieb Kiews Kanzleichef Andrij Jermak bei Telegram. Die von Moskau verkündete Waffenruhe sei nur „Manipulation“ und solle lediglich die Sicherheit der Militärparade in Moskau garantieren.

An den Gesprächen mit den US-Sondergesandten Steve Witkoff und Keith Kellogg, dem französischen Präsidentenberater Emmanuel Bonne und dem britischen Nationalen Sicherheitsberater Jonathan Powell war demnach auch der neue Kanzlerberater Günter Sautter beteiligt. Von ukrainischer Seite nahmen zudem Verteidigungsminister Rustem Umjerow und Außenminister Andrij Sybiha an den Unterredungen teil.

Jermak zufolge wurden auch Druckmittel diskutiert, falls Russland sich einer Waffenruhe verweigert. Eine 30-tägige Waffenruhe sei ein Test auf Ernsthaftigkeit der russischen Seite. „Wenn Moskau wirklich Frieden will, ist es an der Zeit zu handeln“, erklärte Jermak. Im Falle einer Eskalation müsse reagiert werden.

Putin wollte mit der dreitägigen Feuerpause bis Samstag die Feiern zum Gedenken an den sowjetischen Sieg über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg vor 80 Jahren schützen. Höhepunkt der Festlichkeiten wird eine große Militärparade in Moskau vor ausländischen Gästen am Freitag sein. Die Ukraine hatte den Vorstoß des Kremlchefs aber zurückgewiesen und erklärt, sie könne die Sicherheit der Besucher bei der Parade nicht garantieren.

Zwar wurde die deutsche Kapitulation am 7. Mai 1945 in Reims unterzeichnet und trat am 8. Mai in Kraft. Doch folgte in der Nacht darauf auf sowjetischen Wunsch eine zweite Unterzeichnung in Berlin-Karlshorst, weshalb Russland den 9. Mai als Tag des Sieges feiert.

Ukraine will nicht 3, sondern 30 Tage Feuerpause

In Kiew wird - ähnlich wie in Washington - Putins Angebot einer kurzen Feuerpause nicht als ernst gemeinter Einstieg in eine mögliche Friedensregelung betrachtet. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bekräftigte den weitergehenden Vorschlag einer Waffenruhe von 30 Tagen. „Wir ziehen diesen Vorschlag nicht zurück, der der Diplomatie eine Chance geben könnte“, sagte er in seiner Videobotschaft vom Mittwochabend.

Die ukrainische Armee hatte zuletzt fast zwei Tage lang den zivilen Flugverkehr um die russische Hauptstadt Moskau mit Drohnenangriffen lahmgelegt. Dutzende Flugzeuge konnten aus Sicherheitsgründen nicht starten oder landen oder mussten auf andere Flughäfen ausweichen. Nach Medienberichten waren etwa 60.000 Passagiere betroffen. Auch in der Nacht zu Donnerstag gab es Einschränkungen: Der Flughafen der Millionenstadt Nischni Nowgorod wurde vorübergehend für Starts und Landungen gesperrt, wie die Luftfahrtbehörde Rosawiazija mitteilte.

Russland hatte die Ukraine den ganzen Mittwoch über mit Raketen und Drohnen angegriffen. In der Hauptstadt Kiew brach ein Brand aus, der zwei Menschen das Leben kostete. Bis zum Abend gab es der Luftwaffe zufolge auch Gleitbomben-Angriffe über den Gebieten Donezk, Saporischschja und Dnipropetrowsk. Ob möglicherweise die Kämpfe am Boden nachlassen, war in der Nacht unklar.

Putin empfängt Chinas Staatschef Xi

Während in Moskau die letzten Vorbereitungen auf die große Militärparade auf dem Roten Platz laufen, trifft sich Putin bereits mit ausländischen Gästen, die zu den Feierlichkeiten angereist sind. Am Donnerstag stehen bilaterale Gespräche mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping an, dem wichtigsten Gast.

Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha sieht bei Russland kein Bemühen zum Einhalten der eigens verkündeten Waffenruhe. (Archivbild)

Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha sieht bei Russland kein Bemühen zum Einhalten der eigens verkündeten Waffenruhe. (Archivbild) © Anna Ross/dpa

Erwartet wird der Abschluss mehrerer Verträge zwischen Russland und China, die einander als strategische Partner sehen. Nach Kreml-Angaben soll es um den Bau einer lange geplanten zweiten Leitung für Gasexporte nach China gehen. Energieminister Sergej Ziwiljow dämpfte indes Erwartungen, dass es schon zu einer Einigung kommen könnte. Weitere Themen sind der Krieg in der Ukraine und die Wiederaufnahme von Gesprächen zwischen Russland und den USA.

Russland erwartet zum Tag des Sieges nach Kreml-Zählung 29 ausländische Delegationen. Wegen Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine sind die früheren westlichen Alliierten nicht vertreten; die meisten Gäste kommen aus früheren Sowjetrepubliken oder sind Bündnispartner Russlands. Dazu zählen Staatschef Nicolás Maduro aus Venezuela, Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel sowie der brasilianische Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

USA unzufrieden mit Verlauf der Friedensbemühungen

Die US-Regierung äußerte sich unzufrieden über mangelnde Fortschritte bei ihren Friedensbemühungen und hält russische Vorbedingungen für überzogen. „Die Russen stellen im Moment eine Reihe von Forderungen“, sagte Vizepräsident JD Vance bei einer Veranstaltung der Münchner Sicherheitskonferenz in der US-Hauptstadt Washington. „Wir denken, dass sie zu viel verlangen.“ Er trat für direkte Gespräche zwischen Moskau und Kiew ein. „Wir kommen an einen Punkt, an dem einige Entscheidungen getroffen werden müssen. Ich bin nicht zufrieden damit“, sagte auch Präsident Donald Trump.

US-Beauftragter: Kiew schlägt Pufferzone vor

Trumps Ukraine-Sondergesandter Keith Kellogg berichtete unterdessen von angeblichen Vorschlägen der ukrainischen Seite für einen Waffenstillstand - dazu gehöre eine entmilitarisierte Zone entlang der Front. Die Ukraine sei dazu bereit, die Kämpfe in den derzeitigen Positionen einzufrieren und eine 30 Kilometer breite Pufferzone einzurichten, sagte der Ex-General dem US-Sender Foxnews.

Ein weiterer Vorschlag sei, dass europäische Länder wie etwa Frankreich, Großbritannien und Deutschland den Luftraum westlich des Flusses Dnipro überwachen sollten. Aus der Ukraine gab es für diese Angaben keine Bestätigung. In Moskau sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow, Russland habe von den Amerikanern nichts zu einem solchen ukrainischen Vorschlag gehört.

Russland will mit einer Militärparade ungestört von möglichen ukrainischen Angriffen den 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland feiern.

Russland will mit einer Militärparade ungestört von möglichen ukrainischen Angriffen den 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland feiern. © Dmitry Serebryakov/AP/dpa

Russland will mit einer Militärparade ungestört von möglichen ukrainischen Angriffen den 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland feiern.

Russland will mit einer Militärparade ungestört von möglichen ukrainischen Angriffen den 80. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland feiern. © Dmitry Serebryakov/AP/dpa

Parlament in Kiew stimmt über Rohstoffabkommen ab

In Kiew soll das Parlament über das jüngst unterzeichnete Rohstoffabkommen mit den USA abstimmen. Die Partner planen einen gemeinsamen Investitionsfonds, der Geld für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes erwirtschaften soll. Dafür bekommen die USA Zugang zu Bodenschätzen in der Ukraine.

Selenskyj rief die Abgeordneten auf, dem lange umstrittenen Vertrag zuzustimmen. „Amerikas strategische Vision ist es, neue Wirtschaftspartnerschaften zu bilden“, sagte er. „Dies wird der Verteidigung der Ukraine und unserer Verteidigungszusammenarbeit zugutekommen.“

EU-Staaten arbeiten an neuem Sanktions-Paket

In der EU wird wegen des anhaltenden Angriffskriegs ein 17. Paket mit Sanktionen gegen Russland vorbereitet. Nach dpa-Informationen diskutieren Vertreter der 27 Mitgliedstaaten seit Mitte dieser Woche über neue Vorschläge der Europäischen Kommission, die eine weitere Verschärfung des Vorgehens gegen die sogenannte russische Schattenflotte für den Transport von Öl und Ölprodukten vorsehen. Zudem ist geplant, Dutzende weitere Unternehmen zu bestrafen, die an der Umgehung von bestehenden Sanktionen beteiligt sind oder die russische Rüstungsindustrie unterstützen. Darunter sind neben russischen etwa auch türkische und chinesische Firmen.

Erste Gespräche über die Sanktionsvorschläge auf politischer Spitzenebene könnte es bereits heute bei einem informellen EU-Außenministertreffen in der polnischen Hauptstadt Warschau geben, zu dem auch der neue Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) angereist ist. Im Idealfall sollen die neuen Sanktionen in knapp zwei Wochen bei einem regulären EU-Außenministertreffen beschlossen werden. Das bislang letzte Paket der EU mit Russland-Sanktionen war im Februar beschlossen worden.

Zum Abschluss des zweitägigen Außenminister-Treffens in Warschau soll es neben dem Krieg auch um die schwierigen Beziehungen der EU zur neuen US-Regierung gehen und ein Arbeitsessen mit Vertretern aus Ländern geben, die EU-Beitrittskandidaten sind. Dazu gehören neben den Westbalkan-Staaten auch die Ukraine, deren westlicher Nachbar Moldau und die Türkei.