S-Bahn-Tragödie: Respekt vor Trauer statt Sensationsgier

1.2.2019, 14:33 Uhr
Zwei Jugendliche aus Heroldsberg sind am vergangenen Wochenende gestorben, als sie auf Gleisen einer Nürnberger S-Bahn-Station von einem Zug erfasst wurden. Nun trauert der ganze Ort.

© News5/Merzbach Zwei Jugendliche aus Heroldsberg sind am vergangenen Wochenende gestorben, als sie auf Gleisen einer Nürnberger S-Bahn-Station von einem Zug erfasst wurden. Nun trauert der ganze Ort.

Zwei Jugendliche aus Heroldsberg haben bei der Auseinandersetzung am Nürnberger S-Bahnhof Frankenstadion auf besonders grausame Art und Weise ihr Leben gelassen - nach allem, was wir bislang wissen, weil sie von 17-Jährigen nach einem Streit in das Gleisbett gestoßen und kurz darauf von einem Zug überrollt wurden. Als wäre dieses Unglück nicht schon tragisch genug, mischt sich in die Trauer vor Ort zunehmend Entsetzen über das Verhalten von einigen Medienvertretern.

Tatsächlich haben sich in Heroldsberg, einer 8500 Einwohner zählenden Marktgemeinde vor den Toren Nürnbergs, ganze Teams von völlig skrupellosen Berichterstattern eingenistet. Ohne Distanz und ohne Pietät belästigen sie die Trauernden. Indem sie filmen, Menschen befragen und Fotos schießen. Heroldsberg steht stellvertretend für die Auswüchse eines völlig aus der Kontrolle geratenen Boulevardjournalismus.

Völlig ungeniert und distanzlos

Den Vogel schossen die Kollegen der Bild-Zeitung ab. In großer Aufmachung versuchte das Blatt, aus dem tragischen Tod der 16-Jährigen Kapital zu schlagen. Die zum Springer-Konzern zählende Tageszeitung druckte ungeniert das Konterfei der beiden Verstorbenen ab. Gegen den Willen der Familien, gegen jedwede journalistische Anstandsregel, gegen den Pressekodex.

Ähnliches Fehlverhalten muss diversen Kamerateams attestiert werden. An den Orten, an denen die Menschen sich getroffen haben, um gemeinsam zu trauern, haben sie sich durch distanzlose Belästigungsversuche den Zorn vieler Menschen zugezogen. Von Mitgefühl keine Spur. Wer aus Profitgier so handelt, bringt eine ganze Branche in Verruf.


Schlägerei endete tödlich: EKO "Frankenstadion" eingerichtet.


Auch auf unseren Kanälen war und ist das S-Bahn-Unglück Thema der Berichterstattung. Auch wir haben uns dabei vereinzelter Kritik aussetzen müssen, weil wir (wenn auch distanziert) über die Trauerarbeit an einer Schule berichteten, die einer der Verstorbenen besucht hatte. Wir sind nicht fehlerfrei und nehmen deshalb jede Stimme zum Anlass, um über die Grenze, die zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit und der Privatsphäre von Betroffenen verläuft, nachzudenken.

Im Zweifelsfall Zurückhaltung

Diese Abwägung kommt einer ständigen Gratwanderung gleich. Die Nürnberger Nachrichten entscheiden sich dabei im Zweifelsfall für Zurückhaltung. Diese lassen wir auch bei der bevorstehenden Trauerfeier walten. Zwar werden wir das Abschiednehmen durch einen Mitarbeiter begleiten lassen, doch ein Beitrag in unseren Mantelausgabe ist nicht geplant. Allenfalls weitere, nach den Vorkommnissen der vergangenen Tage nicht auszuschließende Verfehlungen von Medienvertretern könnten zu einer Folgeberichterstattung führen.

Jedes andere Vorgehen wäre mit unserem Anspruch, seriös über das Geschehen in der Region zu berichten, unvereinbar. Ähnlich haben wir uns beispielsweise beim Amoklauf in Ansbach verhalten. Damals konnten wir beobachten, wie andere Medienvertreter teils mit Geldbeträgen versucht haben, an O-Töne von unmittelbar Beteiligten zu kommen. Ein Vorgehen, das wir ebenfalls strikt ablehnen. Mit Qualitätsjournalismus hat eine solche Arbeitsweise nichts zu tun.


Kommentar: Soziale Netzwerke - Wo Mitgefühl überbewertet wird.


Zu unserem Anspruch weiterhin zu stehen, das wird angesichts der durch die sozialen Netzwerke beeinflussten Rahmenverhältnisse immer schwieriger. Wer sich einschlägige Kommentare im Netz durchliest, dem wird schnell klar: Die Hemmschwelle ist rapide gesunken, es gibt in vielen Foren keine Untergrenze des schlechten Geschmacks.

Schade. Umso wichtiger ist es, aus der Heroldsberger S-Bahn-Tragödie die richtigen Lehren zu ziehen. Eine davon könnte lauten: Die Trauer von Menschen hat Vorrang vor jeder Schlagzeile. Eigentlich selbstverständlich.

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