Schatten über dem Bamf: Eine Chronologie der Skandale

26.5.2018, 05:56 Uhr
Das Bamf steht weiter negativ in den Schlagzeilen.

© Stefan Hippel Das Bamf steht weiter negativ in den Schlagzeilen.

Das Bamf steht massiv in der Kritik, Bundesinnenminister Horst Seehofer will es jetzt auf "systemische Mängel" prüfen lassen. Doch schon seit Jahren berichten die Nürnberger Nachrichten über Missstände in der Asylbehörde: Es geht um Qualitätsmängel bei der Ausstellung von Asylbescheiden oder der Ausbildung von Mitarbeitern, Probleme bei der Identitätsprüfung und die Sicherheitsprobleme, die sich dadurch auftun. Wir haben einen chronologischen Überblick über die wichtigsten Recherchen dieser Zeitung zusammengestellt.

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In einem Brandbrief prangert der Personalrat des Bundesamts schon im November 2015 die beschleunigten Asylverfahren an: Syrer, Eritreer und manche Iraker werden nach Beantwortung eines schriftlichen Fragebogens in aller Regel anerkannt. Diese Verfahren wiesen "systemische Mängel" auf, heißt es. Primär wird der Verzicht auf eine Identitätsprüfung bei vielen Flüchtlingen gerügt. Dadurch werde auch das "Einsickern von Kämpfern" der Terrormiliz IS erleichtert. Gleichzeitig wird die mangelnde Qualifizierung der Entscheider kritisiert - die müssten nach Turboschulungen "massenhaft" Bescheide erstellen und über das Schicksal von Menschen bestimmen.

Vorbestrafte Mitarbeiter

Das Bamf muss einen Berg von Asylfällen abarbeiten - und sucht dafür händeringend nach Personal. Doch dabei schaut das Amt offenbar nicht auf deren Qualifikation - und stellt sogar Vorbestrafte ein. Man habe von "zahlreichen Kündigungen während der Probezeit Anfang März" erfahren, heißt es in einem Bamf-internen Schreiben, über das diese Zeitung im März 2016 berichtete. Und die wurden teils aus gravierenden Gründen ausgesprochen, etwa "wegen Einträgen in das polizeiliche Führungszeugnis". Wer einen solchen Eintrag hat, gilt als vorbestraft.

Laut Handreichungen der Bamf-Leitung, über die diese Zeitung im April 2016 berichtet, soll jeder Entscheider "durchschnittlich wöchentlich 20 Anhörungen inklusive Anhörungsprotokoll sowie sofortiger Herstellung der Entscheidungsreife" durchführen. Selbst für eine komplizierte Anhörung bleibe da oft nur eine Stunde Zeit. Besonders schnell muss es bei Menschen aus vorgeblich sicheren Herkunftsländern gehen, hier wird nach Insideraussagen nur sehr oberflächlich angehört - und der Asylbescheid fällt oft entsprechend aus. Aber auch andere Bescheide leiden unter dem Druck.

Eigentlich sollten nach einer Gesetzesänderung die Fragebogenverfahren der Vergangenheit angehören, doch noch Mitte April 2016 werden Tausende Asylbewerber nicht angehört, sondern nach Ausfüllen des Katalogs durchgewinkt. Nach Recherchen dieser Zeitung rutschen so weitere rund 50.000 Menschen durch das System - zusätzlich zu 185.000, die das beschleunigte Verfahren bereits durchliefen.

Der Fall Franco A.

Franco A. wird im Frühjahr 2017 enttarnt: Der Bundeswehrsoldat gab sich als Syrer mit dem Namen David Benjamin aus und wurde vom Bundesamt tatsächlich als Schutzsuchender anerkannt. Seine Asylakte lag den Nürnberger Nachrichten exklusiv vor. Sie zeigt: Schon bei seiner Ladung zur Asylanhörung hätte man stutzig werden können. Denn diese wird von einem zuständigen Helfer an das Bamf zurückgeschickt. "Herr Benjamin kam noch nie nach Baustarring" (dem Ort seiner angeblichen Asylunterkunft), schreibt er. Auch A.s Anhörung strotzt vor Nachlässigkeiten: Sie wird auf Französisch durchgeführt, seine Angaben - obwohl teils unglaubwürdig - werden nicht geprüft. Nachfragen gibt es kaum. Geradezu absurd klingen heute die letzten Sätze des Anhörprotokolls: Der Antragsteller, heißt es, habe bestätigt, "dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gab". Zudem wurde ihm - dessen Muttersprache ja eigentlich Deutsch ist - die auf Deutsch verfasste Niederschrift ins Französische zurückübersetzt.

Dass die Qualität im Bamf leidet, gerät immer mehr in den Fokus: Die damalige Staatssekretärin Emily Haber mahnt im Februar 2017 Bamf-Präsidentin Jutta Cordt: "Die Quantität der Entscheidungsfülle kann nicht von der Qualität der Asylverfahren und der Entscheidungspraxis getrennt werden." Eine gründliche Untersuchung müsse gewährleistet sein. Außerdem müssten Mitarbeiter verstärkt geschult werden, entsprechendes Wissen gehöre zu einer "verantwortlichen Entscheidung".

Mängel bei Entscheiden

Auch Stichproben im Frühjahr 2017 im Bamf zeigen: die Asylverfahren sind mangelhaft. Bei einer internen Überprüfung von 2000 Asylentscheidungen, die als Reaktion auf den Fall Franco A. untersucht wurden, stellen die Prüfer in vielen Fällen besonders eine unzureichende Dokumentation fest. Bei Antragstellern aus Afghanistan wurden solche Mängel bei mehr als 45 Prozent der überprüften Entscheidungen festgestellt. Stephan Mayer (CSU), damals innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion und heute Staatssekretär im Innenministerium: "Das Bamf muss seine Qualitätssicherung deutlich verbessern."

Hinter verschlossener Tür muss die inzwischen amtierende Bamf-Präsidentin Jutta Cordt zugeben, dass 5000 Asylbewerber anerkannt wurden, obwohl sie nicht erkennungsdienstlich behandelt wurden. Man unterließ zum Beispiel, ihnen wie vorgegeben Fingerabdrücke zu nehmen. Bis dahin hatte das Bamf in Anfragen erklärt, dass Antragsteller erkennungsdienstlich erfasst würden. Kurz darauf zeigt eine weitere Recherche: Die Sicherheitslücke ist noch größer als gedacht. Denn: Die Betreffenden wurden im schriftlichen Verfahren anerkannt - sie sahen nie einen Anhörer. "Diese sogenannte Risikogruppe umfasst 3638 Antragsteller aus den Herkunftsländern Syrien und Irak, über die im schriftlichen Verfahren entschieden wurde", heißt es Mitte Juni 2017 in einer internen Mail.

Entscheider sind nicht geschult

Asylentscheider sind Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens, doch eine Recherche im Juni 2017 zeigt: Viele konnten "aus Kapazitätsgründen keine Entscheider-relevante Qualifizierungsmaßnahme absolvieren" - trotz reduzierter Qualifizierungsdauer. Konkret sind 15 Prozent von 3033 Mitarbeitern, die zwischen 1. August 2015 und 1. März 2017 beim Bamf angefangen haben, nicht ausreichend qualifiziert - 454 Entscheider, so steht es in der als "vertraulich" gekennzeichneten Analyse. Noch verheerender ist die Quote bei den Mitarbeitern des Asylverfahrenssekretariats. Ihr Job ist es unter anderem, Anträge anzunehmen, die Dokumente der Asylbewerber zu prüfen und sie erkennungsdienstlich zu behandeln, doch 80 Prozent haben "keine Qualifizierungsmaßnahmen erhalten".

Im November 2017 zeigt eine Recherche, dass das Bamf mit einer erheblichen Sicherheitslücke kämpft. Rund 5000 Mitarbeiter haben zu diesem Zeitpunkt Zugang zu dem System Maris, in dem zwei Millionen Asyl-Akten elektronisch gespeichert sind. Gleichzeitig kann kaum nachvollzogen werden, wer wann welche Informationen aufgerufen hat. Insider der Behörde sowie Asyl-Experten sprechen von einem Einfallstor für ausländische Nachrichtendienste, die relativ leicht und unentdeckt an Informationen über Dissidenten gelangen können. Während zwar verfolgt werden kann, wer welche Akte verändert oder bearbeitet hat, kann kaum überprüft werden, wer wann welche Akte lediglich einsah. Das Innenministerium will zuerst keine Sicherheitslücke erkennen, doch dann folgt eine Kehrtwende: Eine neue Arbeitsgruppe soll Zugriffsmöglichkeiten überprüfen. Die "Gefahr der Nutzung von Zugriffsmöglichkeiten außerhalb des dienstlichen Gebrauchs" wird nun in internen Papieren benannt. Und auch: "Gefahr einer Weitergabe von Informationen an Externe".

Sicherheit wird vorgegaukelt

Die nächste Sicherheitslücke zeigt sich in einem großen Bericht, den wir nach wochenlanger Recherche im März 2018 veröffentlichen: Neue technische Instrumente zur Feststellung der Identität werden groß angepriesen - doch viel seltener eingesetzt als angekündigt. Zudem gibt es massive Zweifel, ob Systeme wie die Dialekterkennung oder Namensanalyse überhaupt funktionieren. Mitarbeiter nennen sie "ein nettes Spielzeug – aber nicht mehr". Die Recherche offenbart noch etwas anderes: Das Asylamt hat ein problematisches Eigenleben entwickelt. So entschied die Bamf-Spitze, Hinweise auf gefährliche Flüchtlinge nahezu ohne eigene Bearbeitung gleich an die Sicherheitsbehörden weiterzuleiten - wo sich schließlich ein Stau bildete. Und: Das übergeordnete Ministerium wurde über die Entscheidung, umzustellen, nicht informiert.

Schatten über dem Bamf: Eine Chronologie der Skandale

© Carmen Jaspersen/dpa

Vor vier Wochen kocht der Skandal um die Bremer Außenstelle des Bamf hoch: Die frühere Leiterin, Ulrike B., soll zwischen 2013 und 2016 in mindestens 1200 Fällen Asylanerkennungen zu Unrecht ausgestellt haben. Die Recherchen zeigten: Mehrfach versuchten Mitarbeiter Alarm zu schlagen. Doch die Affäre, so wies die Nürnberger Zentrale an, solle man "geräuschlos" behandeln und nicht detailliert prüfen. Informiert war, auch das zeigen unsere Recherchen, auch die Leitung des Bamf. Trotzdem konnte Ulrike B. weiter agieren.

Auch die spätere Leiterin der Außenstelle, Josefa Schmid, versuchte, Gehör zu finden. Sie wandte sich auch an Bundesinnenminister Horst Seehofer und seinen Staatssekretär Stephan Mayer. Seehofer beteuert – trotz diverser Anrufe Schmidts in seinem Büro und einer von ihr verschickten SMS - , erst Mitte April informiert worden zu sein. Mayer musste nach unseren Recherchen einräumen, bereits Anfang April von Schmidt einen Bericht bekommen zu haben.

Qualitätsreferat schlägt Alarm

Trotz aller Beteuerungen, man habe die Qualität verbessert, zeigen unsere Recherchen Mitte Mai: Prüfungen, mit denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kontrollieren soll, ob bei einem Asylbewerber noch Schutzgründe vorliegen, werden offenbar oft mangelhaft durchgeführt. Gleichzeitig wird viel zu selten die Identität überprüft, selbst wenn es Hinweise auf eine andere Staatsangehörigkeit gibt, beklagt das Referat für Qualitätssicherung in einer Mail. Außerdem würden erkennungsdienstliche Behandlungen, mit denen die Identität eines Antragstellers geklärt werden soll, oft nicht nachgeholt.

Auch andere Behörden machen keine gute Figur, zeigt die nächste Recherche, die diese Woche erschien: Rund 200 Ausländerbehörden (das sind 40 Prozent aller in Deutschland) und offenbar sämtliche Sozialleistungsbehörden können bislang keine Fingerabdrücke von Asylsuchenden oder anerkannten Asylbewerbern elektronisch vergleichen. Demnach haben Behörden erhebliche Schwierigkeiten, Mehrfachidentitäten und möglichen Sozialmissbrauch festzustellen, sofern die Personen vor 2016 eingereist sind. Das Equipment soll erst Ende des Jahres vorhanden sein.

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