SPD-Kandidatenkür in Nürnberg: "Eine Heimat der Weltverbesserer"

13.9.2019, 08:25 Uhr

So viel Auswahl war nie: Die Parteimitglieder können sich zwischen sieben Duos und Einzelbewerber Karl-Heinz Brunner entscheiden. © Michael Matejka

"Der Club ist ein Depp", sagt Dierk Hirschel. Der Chefökonom der Gewerkschaft Verdi ist nicht das prominenteste Gesicht im 15-köpfigen Bewerberfeld um den Parteivorsitz der SPD, aber als gebürtiger Nürnberger hat er einen Heimvorteil. So wagt er eine Analogie zwischen dem "Ruhmreichen" und seiner Partei: "Und die SPD war ein Depp, denn sie hat in den 2000er-Jahren Politik gegen Gewerkschaften und Arbeitnehmer gemacht." Damit müsse Schluss sein – und mit der Großen Koalition sowieso, finden Hirschel und seine Tandempartnerin, die linke Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, die betont, dass beide von Anfang an gegen das Bündnis mit der Union gewesen sein.

Das ist wohl ein Seitenhieb gegen Karl Lauterbach, der inzwischen aber ebenso eifrig für einen Regierungsausstieg der SPD plädiert: Bürgerversicherung, Grundsicherung, Abschaffung von Hartz IV, Wiedererhebung der Vermögensteuer – "nichts von dem wird in der GroKo umgesetzt", sagt der Medizinprofessor, der auch in Nürnberg ohne sein Markenzeichen, die Fliege, auftritt. Das Losverfahren will es, dass nach dem Bundestagsduo Lauterbach/Nina Scheer sowie Mattheis/Hirschel mit Norbert Walter-Borjans, dem früheren Finanzminister Nordrhein-Westfalens (NRW), und Saskia Esken gleich noch ein Duo auftritt, das der schwarz-roten Zusammenarbeit "keine Zukunft" (Esken) bescheinigt.

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Dafür gibt es ebenso Applaus wie für die umweltpolitischen Akzente, die Scheer und Lauterbach setzen. "Die Kinder stehen da, weil wir versagt haben", sagt die Tochter des verstorbenen Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises, im Hinblick auf "Fridays for Future".

Doch richtig laut wird es im Saal, als Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, die Idee der Vereinigten Staaten von Europa als "Bollwerk des Friedens" feiert. Die SPD müsse eine "Heimat der Weltverbesserer" sein.

Ralf Stegner und Gesine Schwan wollen das Profil der SPD schärfen. © Michael Matejka

Seine Partnerin Christina Kampmann fordert das Ende der "Schwarzen Null" – die hat Bundesfinanzminister und Mitkandidat Olaf Scholz gerade erst wieder im Bundestag präsentiert. Scholz selbst bleibt im Ton moderat, redet dem "starken Sozialstaat" das Wort, während seine Mitstreiterin Klara Geywitz die Bedeutung von Regierungsverantwortung betont: Die rot-rote Koalition habe Brandenburg voran gebracht, meint die 43-Jährige, die im dortigen Landtag ihr Mandat verloren hat.

Schwan will "geistige Erneuerung" der Partei

Die Bedeutung von kommunalpolitischer Erfahrung wiederum betonen der frühere Osnabrücker Oberbürgermeister und jetzige niedersächsische Innenminister Boris Pistorius und die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping. Sie verstünden etwas davon, wie man Politik umsetzt, so Pistorius, der sich selbst bescheinigt, im Gegensatz zu Bundesinnenminister Horst Seehofer für eine moderne Flüchtlingspolitik zu stehen: "Wir haben keine Ankerzentren." Gesine Schwan, mit 76 die Alterspräsidentin im Kandidatenfeld, mahnt eine "geistige Erneuerung" der Partei an: "Unser Profil ist nicht klar genug." Ihr Partner Ralf Stegner ("Die meisten kennen mich ja wegen meines heiteren Gemüts") wird seitens des Publikums gefragt, ob der Einfluss des rechten Seeheimer Kreises nicht zurückgedrängt werden müsse: "Die Gegner sind nicht in der eigenen Partei", kontert Stegner und erhält viel Applaus.

Auch der wackere Einzelkämpfer Karl-Heinz Brunner und Staatsminister Roth nutzen den Abend für Appelle um Geschlossenheit. Roth bemüht hierfür einen Humor, der gut ankommt. Er und Kampmann wollten lange Parteichefs bleiben, kündigt er an, denn "Ex-Vorsitzende, die uns das Leben schwer machen, haben wir schon genug".