Regierungsbildung

SPD sagt Ja zu Koalition – Klingbeil soll Vizekanzler werden

30.04.2025, 00:24 Uhr
Die SPD sagt „Ja“ zur schwarz-roten Koalition.

© Kay Nietfeld/dpa Die SPD sagt „Ja“ zur schwarz-roten Koalition.

Die SPD hat den Weg für eine schwarz-rote Koalition mit großer Mehrheit der Mitglieder frei gemacht und will mit Parteichef Lars Klingbeil an der Spitze in die neue Regierung einziehen. Der 47-Jährige soll Vizekanzler und Chef des wichtigen Finanzministeriums werden. Damit steigt der bisherige Faktionschef zum mächtigsten Mann neben Kanzler Friedrich Merz von der CDU im neuen Regierungsbündnis auf.

Das Parteipräsidium beauftragte Klingbeil auch damit, die sechs anderen Ministerinnen und Minister der SPD am Montag zu benennen. Das politische Schicksal der Co-Vorsitzenden Saskia Esken bleibt offen.

„Große Rückendeckung“

CSU und CDU haben dem Koalitionsvertrag bereits zugestimmt, damit kann das Papier am kommenden Montag, einen Tag vor der angestrebten Kanzlerwahl im Bundestag, nun von allen drei Partnern unterzeichnet werden.

Das Votum der SPD-Mitglieder fiel deutlicher aus als bei vorangegangenen Entscheidungen über schwarz-rote Koalitionen. 84,6 Prozent stimmten für das 144 Seiten starke Vertragswerk, das mit CDU und CSU ausgehandelt wurde. 2013 und 2018 waren es nur 76 und 66 Prozent. Die Beteiligung war diesmal mit 56 Prozent der 358.000 SPD-Mitglieder aber geringer.

Miersch verkündete: Klingbeil soll Vizekanzler werden.

Miersch verkündete: Klingbeil soll Vizekanzler werden. © Kay Nietfeld/dpa

SPD-Generalsekretär Matthias Miersch zeigte sich erleichtert: „Damit bekommt die SPD eine große Rückendeckung von der Basis für das Eintreten in die Bundesregierung“, sagte er. Die SPD werde aber auch die mehr als 30.000 Nein-Stimmen nicht einfach beiseitelegen. „Ja, es gibt eine Skepsis“, räumte Miersch ein. Nun müsse durch gutes Regierungshandeln bewiesen werden, dass diese unnötig sei.

Juso-Führung war gegen Koalitionsvertrag

Die einzigen Alternativen zu Schwarz-Rot wären eine Koalition zwischen Union und AfD, eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen gewesen. In der SPD gab es vor allem Kritik an den im Koalitionsvertrag angelegten Verschärfungen der Migrations- und Sozialpolitik. Die Führung der Jusos hatte das Vertragswerk deswegen abgelehnt und Nachverhandlungen gefordert.

Nun erklärte Juso-Chef Philipp Türmer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, man werde das Ergebnis akzeptieren. Aufgabe sei jetzt aber, die Partei programmatisch neu aufzustellen. „Wir müssen wieder Partei der Arbeit werden“, betonte er. In einer schwarz-roten Koalition müsse die SPD „das Soziale nach vorne“ stellen.

Klingbeil griff früh nach der Macht

Klingbeils Vorgehen seit der historischen Niederlage der SPD bei der Bundestagswahl mit dem schlechtesten Ergebnis seit 138 Jahren hat fast machiavellistische Züge: Noch am Abend des Wahldebakels griff er in der Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus in Berlin, nach dem Fraktionsvorsitz. Eine strategisch ausgebuffte, aber nicht unbedingt rücksichtsvolle Entscheidung, die dafür sorgte, dass er zum Haupt-Ansprechpartner für den wohl künftigen Kanzler Merz wurde.

Unangefochten führte der Niedersachse die Sozialdemokraten in die Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU. Allein – ohne Co-Parteichefin Saskia Esken – führte er einige entscheidende Gespräche, etwa mit dem CSU-Politiker Alexander Dobrindt, als die Koalitionsverhandlungen auf der Kippe standen.

Vizekanzler mit internationalem Anstrich

Als Vizekanzler wird Klingbeil nun der zweite starke Mann in der Regierung neben Merz und wird darauf achten, dass er dem Regierungschef nicht nur nach Körpergröße auf Augenhöhe begegnet – Klingbeil ist 1,95 Meter groß, Merz 1,98 Meter.

Vom Vizeposten dürfte er versuchen, sich für eine Kanzlerkandidatur 2029 in Stellung bringen. Denn als Finanzminister wird Klingbeil nicht nur das mächtigste Ressort leiten und ein Vetorecht bei so gut wie allen Regierungsprojekten haben. Er wird auch auf internationalem Parkett, bei den Gipfeln der Staats- und Regierungschefs im G20- und G7-Format präsent sein.

Vizekanzler und Finanzminister: Dass das eine gute Ausgangsposition für eine Kanzlerkandidatur sein kann, hat 2021 zuletzt Olaf Scholz bewiesen. Mit dem Unterschied, dass Klingbeil zusätzlich SPD-Chef bleiben dürfte – und damit eine noch breitere Machtbasis in der Partei hat.

Was wird aus Esken?

Als Vizekanzler hat Klingbeil nun den Auftrag, die weiteren sechs Ministerinnen und Minister auszuwählen. Erst auf Nachfrage erklärte Generalsekretär Miersch, der Parteichef werde das in Absprache mit Esken, ihm selbst sowie den SPD-Ministerpräsidentinnen und -Ministerpräsidenten tun.

Die SPD will ihr Regierungsteam am kommenden Montag präsentieren – und sich dabei möglicherweise auch zum Fraktionsvorsitz und zur künftigen Parteispitze äußern.

Mit Spannung wird vor allem erwartet, was aus Esken wird. Darf sie neben Klingbeil ins Kabinett einziehen und zum Beispiel das Entwicklungsministerium übernehmen? Tritt sie auf dem Parteitag im Juni erneut für den Parteivorsitz an?

Esken hat in der SPD auch viele Gegner. (Archivbild)

Esken hat in der SPD auch viele Gegner. (Archivbild) © Matthias Bein/dpa

In der SPD-Basis stößt jedenfalls vielen auf, dass Esken leer ausgehen könnte, während Klingbeil so kalt nach der Macht greift – wo doch beide gemeinsam und zusammen mit Scholz die Wahlniederlage zu verantworten haben. Besonders SPD-Frauen und Parteilinke fordern deshalb eine herausgehobene Position auch für Esken.

Verteidigungsminister Pistorius gilt als gesetzt

Bei der Aufstellung des SPD-Regierungsteams sollen laut Miersch nicht nur Erfahrung und Kompetenz eine Rolle spielen. Es soll auch das Versprechen erfüllt werden, dass neue Gesichter ins Kabinett einziehen. Trotzdem gilt als sicher, dass der 65-jährige Boris Pistorius Verteidigungsminister bleibt.

Für das mit viel Geld ausgestattete Ministerium für Arbeit und Soziales wird die frühere Bundestagspräsidentin Bärbel Bas gehandelt. Außerdem übernimmt die SPD das Justizministerium, das Ministerium für Umwelt und Klimaschutz, das Entwicklungsministerium und das Bauministerium.

Damit die Regierung am kommenden Dienstag genau ein halbes Jahr nach dem Bruch der Ampel-Koalition ihre Arbeit aufnehmen kann, muss aber noch eine allerletzte Hürde genommen werden: Merz muss mit den Stimmen von Union zum Kanzler gewählt werden.

In der geheimen Abstimmung ist die sogenannte Kanzlermehrheit von 316 der 630 Abgeordneten notwendig. Schwarz-Rot stellt 328. Auch wenn es nur ein Polster von zwölf Stimmen gibt, gilt eine Mehrheit im ersten Wahlgang als sehr wahrscheinlich.

Seit dem 15. April konnten die 358.000 SPD-Mitglieder online über das 144 Seiten starke Vertragswerk mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ abstimmen. Um 23.59 Uhr in der Nacht zu Mittwoch schloss das digitale Wahllokal.

56 Prozent der Mitglieder beteiligten sich an der Abstimmung. Damit wurde die notwendige Mindestbeteiligung von 20 Prozent deutlich übertroffen. Der CSU-Vorstand und ein kleiner Parteitag der CDU hatten bereits zuvor zugestimmt.

Juso-Führung war gegen Koalitionsvertrag

In der SPD gibt es vor allem Kritik an der im Koalitionsvertrag angelegten Verschärfungen der Migrations- und Sozialpolitik. Die Führung der Jusos hatte das Vertragswerk deswegen abgelehnt und Nachverhandlungen gefordert. Die einzigen Alternativen zu Schwarz-Rot wären eine Koalition zwischen Union und AfD, eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen gewesen.

Ministerinnen und Minister werden am Montag vorgestellt

Am kommenden Montag will die SPD nun ihre sieben Ministerinnen und Minister für die neue Regierung vorstellen. Als sicher gilt, dass Boris Pistorius Verteidigungsminister bleibt. Wahrscheinlich ist zudem, dass Parteichef Lars Klingbeil Vizekanzler und Finanzminister wird.

Die Wahl von Merz zum Kanzler am Dienstag gilt als sicher, auch wenn SPD und Union nur zwölf Stimmen mehr als die notwendige sogenannte Kanzlermehrheit haben. 316 von 630 Abgeordneten müssen für den CDU-Chef votieren.

Auch 2013 und 2018 deutliche Mehrheit

Die SPD hatte die Mitglieder auch 2013 und 2018 über die Koalitionsverträge mit der Union abstimmen lassen. Beide Male gab es große Zustimmung. Obwohl es 2018 eine vom damaligen Juso-Chef Kevin Kühnert organisierte, große „NoGroKo“-Kampagne gegen Schwarz-Rot gab, votierten 66 Prozent der Mitglieder mit Ja. 2013 hatte die Zustimmung sogar bei 76 Prozent gelegen.