Corona-Auffrischimpfung

Stiko-Mitglied appelliert: "Lassen Sie sich impfen und boostern!"

18.11.2021, 12:13 Uhr

Herr Bogdan, bislang galt die Stiko-Empfehlung zur Auffrischimpfung für Menschen ab 70, solche mit Vorerkrankungen und medizinisches wie Pflege-Personal. Jetzt für alle ab 18. Warum?
Christian Bogdan: Es ist klar, dass jeder Geimpfte über kurz oder lang eine Auffrischimpfung braucht. Alle bisher zugelassenen COVID-19-Impfstoffe sind funktionell Totimpfstoffe. Solche Impfstoffe verleihen in den wenigsten Fällen nach zwei Dosen eine lebenslange Immunität. Wir haben bereits im September und Oktober die Empfehlung für eine Auffrischimpfung von Risikopersonen gegeben, bei denen entweder ein eingeschränkter Impfschutz zu erwarten war oder die besonders gegenüber SARS-CoV-2 exponiert sind. Wer zu dieser Gruppe gehört, war früh mit der Erstimpfung dran und sollte es demnach auch beim Boostern sein. Wenn die Stiko von vornherein gesagt hätte, dass ab sofort jeder eine Booster-Impfung haben soll, dann hätte das in der Praxis ohnehin nicht umgesetzt werden können. Deswegen unsere Abstufung im Hinblick auf die unterschiedliche Dringlichkeit und die ursprüngliche Impfreihenfolge.

Warum kommt die Empfehlung der Stiko erst jetzt?
Bogdan: Die Stiko spricht Empfehlungen auf der Grundlage wissenschaftlicher Evidenz aus und trifft keine Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Wissenschaftliche Evidenz setzt voraus, dass entsprechende Forschungsarbeiten durchgeführt wurden und Ergebnisse vorliegen. Die wissenschaftliche Absicherung einer Impfempfehlung hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit ist essenziell für die Impfakzeptanz, gerade während einer Pandemie und dem breiten Einsatz der Impfstoffe.

Ist die Dosis bei der Booster-Impfung identisch mit der von Erst- oder Zweit-Impfung oder geringer?
Bogdan: Bei Comirnaty von Biontech/Pfizer ist die Dosis bei der Grundimmunisierung und Auffrischimpfung identisch. Bei Spikevax von Moderna wird bei immunkompetenten Personen zur Boosterung nur die halbe Dosis benutzt, bei immundefizienten Patienten hingegen die volle Dosis.

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Sind bei der dritten Impfung andere oder schwerere Nebenwirkungen als bei den vorherigen zu erwarten?
Bogdan: Nein, die bisher vorliegenden Untersuchungen zeigten, dass die dritte Impfung nicht zu einer Steigerung der Nebenwirkungen führt. Sie liegen im gleichen Rahmen wie nach der zweiten Impfung.

Sind die Impfstoffe von Moderna und Biontech gleichermaßen fürs Boostern geeignet?
Bogdan: Ja, allerdings empfiehlt die Stiko seit kurzem für Menschen unter 30 nur noch das Produkt von Biontech/Pfizer, und zwar sowohl für die Grundimmunisierung als auch für die Auffrischung.

Verwirrung gibt es über den Zeitpunkt der Auffrischimpfung: nach sechs Monaten heißt es allenthalben, nach fünf Monaten rät Ministerpräsident Söder, gar nach vier Monaten der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen. Was denn nun?
Bogdan: Grundsätzlich gilt die Sechs-Monate-Regel, da die meisten Menschen über diesen Zeitraum durch die Grundimmunisierung sehr gut vor schwerer Covid-19-Erkrankung geschützt sind und die Impfungen natürlich auch organisatorisch durchführbar sein müssen. Eine Verkürzung des Impfabstandes auf fünf Monate kann im Einzelfall, bei Vorliegen medizinischer Gründe, oder bei ausreichenden Impfkapazitäten erwogen werden. Auch bei vielen anderen Impfungen hat sich ein Abstand von sechs Monaten bewährt. Wenn die Booster-Impfung zu früh, also zwei bis drei Monate nach der Zweit-Impfung verabreicht wird, dann hat das eher einen negativen als einen positiven Effekt.

Inwiefern?
Bogdan: Wenn man zu früh boostert, kommt es nicht zu der beabsichtigten Steigerung der Immunantwort, die sich normalerweise unter anderem in Form einer deutlichen Zunahme der SARS-CoV-2-Antikörperspiegel zeigen würde.

Apropos Antikörper: Wie sinnvoll ist es testen zu lassen, ob man noch Antikörper hat und überhaupt eine Auffrischung braucht?
Bogdan: Dies ist nicht sinnvoll. Wir empfehlen Antikörpertests nur denjenigen, die stark immunsupprimiert sind und bei denen zu erwarten ist, dass sie auf die Grundimmunisierung wenig oder gar nicht ansprechen. Hier möchten wir sehen, ob es dann durch eine dritte oder vierte Impfung überhaupt zu einer messbaren Immunreaktion kommt. Bei allen anderen ist eine routinemäßige Kontrolle der Antikörper nicht zielführend.

Warum?
Bogdan: Man kann daraus in den meisten Fällen keine definitiven Aussage ableiten, ob jemand noch geschützt ist oder nicht. Wir brauchen für das Boostern bei immungesunden Menschen keine vorherigen oder nachfolgenden Antikörperuntersuchungen. Das würde nur Verwirrung stiften und uns mehr Probleme bereiten als helfen.

Wie exakt sollten denn die sechs Monate eingehalten werden?
Bogdan: Die sechs Monate sind eine Richtschnur, aber nicht in Stein gemeißelt. Impftermine muss man auch nach praktischen Aspekten auszurichten: Kommt zum Beispiel ein Ehepaar, dann wird man nicht den einen Partner impfen und zum anderen sagen, er sei erst nächste Woche dran. Auch immunologisch ist es nicht relevant, die sechs Monate Tag genau einzuhalten. Jetzt, wo demnächst Weihnachten und Familientreffen vor der Tür stehen, ist es alles andere als sinnvoll, Risikopersonen, die formal ihren Boostertermin kurz nach Weihnachten hätten, eine Impfung ein bis zwei Wochen vor Weihnachten zu verweigern. Hier kommt es auf Flexibilität zum Wohle des Patienten an.

Werden wir jetzt jedes halbe Jahr eine Auffrischung brauchen?
Bogdan: Die Frage nach späteren weiteren Impfungen hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab: Zum einen von der Schutzdauer der ausgelösten Immunantwort. Dies kann man nur durch Beobachtungsstudien zu Impfdurchbrüchen ermitteln. Zweitens von der möglichen Veränderung des Virus. Hier geht es um die Frage, ob Virusmutanten auftreten, die sich der impfbedingten Immunantwort entziehen. Dann wären erneute Impfungen mit angepassten Impfstoffen notwendig. Und drittens wird es natürlich eine Rolle spielen, wie viel natürliche Boosterung durch Kontakt mit dem Erreger stattfindet.

Was ist mit Boostern bei Genesenen?
Bogdan: Genesene haben zunächst infolge der durchgemachten Infektion eine gute Immunantwort gegen SARS-CoV-2 aufgebaut, die ab sechs Monaten nach der Infektion durch eine mRNA-Impfstoffdosis enorm gesteigert wird. Natürlich werden auch Genesene irgendwann eine weitere Impfung benötigen. Die Stiko wird hierzu die entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen abwarten und bewerten und dann eine Empfehlung herausgeben.

Wären nicht mehr Erstimpfungen wichtiger als eine hohe Auffrischungsrate?
Bogdan: Mein dringendster Appell ist tatsächlich, dass sich alle Ungeimpften impfen lassen. Außerdem sollten all diejenigen, die schon seit Wochen zur Booster-Impfung aufgrund hohen Alters oder Vorerkrankungen fällig sind, das jetzt auch tun. Denn es sind primär die Ungeimpften und die Risikopersonen, die derzeit wegen einer schweren Covid-19-Erkrankung in den Krankenhäusern liegen. Der dritte Appell: Alle sollten die Boosterimpfung wahrnehmen, wenn sie an der Reihe sind, um ihren Schutz aufrechtzuerhalten. Und ganz wichtig: alle müssen sich weiterhin an die Hygieneregeln halten, da Geimpfte zwar sehr gut gegen COVID-19 geschützt sind, was aber eine asymptomatische Infektion und eine daraus resultierende Virusweitergabe nicht ausschließt.